Gesunde vegane Ernährung: Bestens versorgt mit allen Makronährstoffen
Für vegane Ernährung spricht viel: sie ist tier- und umweltfreundlich und führt so gut wie immer zum Gewichtsverlust. Aber ist vegane Ernährung auch gesund? Ist es wirklich möglich, auf Lebensmittel tierischen Ursprungs völlig zu verzichten und unseren Körper rein pflanzlich mit allen Nährstoffen zu versorgen, die er braucht – auch langfristig?
Vegane Ernährung ist ein ganzheitliches Lebenselixier
Ja, das geht tatsächlich. Ich lebe seit mehr als zwanzig Jahren vegan und bin in dieser Zeit kein einziges Mal ernsthaft krank gewesen – erinnern kann ich mich an zwei grippale Infekte, denen eine über-intensive Arbeitsphase und wenig Schlaf vorangegangen waren. Meine Blutwerte sind exzellent, ich bin fit und habe ein ermitteltes „biologisches Alter“ von 28 Jahren – mein Lebensstil hat mich also um 15 Jahre verjüngt. Sicher spielt dabei genetische Veranlagung ebenso eine Rolle wie ausreichende Bewegung und mentale Ausgeglichenheit. Dennoch, fragt mich jemand nach dem Geheimnis meines Wohlbefindens, steht neben liebevoller Achtsamkeit allem Lebendigen gegenüber (einschließlich meiner selbst) vegane Ernährung ganz oben auf der Liste.
Für die meisten veganen Neuentdecker hat die vegane Ernährung überraschende Nebeneffekte. Zum einen weckt sie eine ungeahnte Kreativität und lustvolle Neugier im Hinblick auf Zutaten und Zubereitungsweisen. Durch eine rein pflanzliche Küche werden die Geschmacksknospen wie „gereinigt“; nach einiger Zeit rein pflanzlicher Nahrungsaufnahme nehmen wir Gerüche und Geschmäcker wesentlich differenzierter und aromatischer wahr als zuvor. Gleichzeitig nimmt das Bedürfnis nach Koffein, Zucker, saturiertem Fett und anderen für den Körper weniger zuträglichen Stoffen automatisch ab. Und vegane Ernährung ist die beste Präventionsmaßnahme gegen Alltagswehwehchen und schwerwiegendere Erkrankungen, die ich kenne.
Vegan leben heißt bewusst leben!
Deshalb bedeutet die vegane Ernährungsumstellung für viele Menschen zunächst „Arbeit“ – allerdings im besten Sinne des Wortes. Tatsächlich ist eine ausgewogene vegane Ernährung nicht kompliziert. Die Herausforderung ist der Fokus auf die richtige Auswahl und Balance der Lebensmittel untereinander und die Einbindung kulinarischer Inseln, einschließlich des Einkaufs und der Zubereitung, in den veganen Alltag. Damit die vegane Ernährung den Organismus rundum gesund erhält, sind ein paar Grundregeln wichtig. Sind diese einmal in tägliche Praxis übergegangen, ist vegane Ernährung für die meisten Menschen wesentlich abwechslungsreicher als ihr omnivorer Speiseplan es je war.
Prinzipiell ist niemand ausgeschlossen von veganer Ernährung. Vegane Ernährung ist, wenn ernährungsphysiologisch ausgewogen und gut geplant umgesetzt, auch für Kinder, ältere Menschen und Schwangere geeignet; ebenso (und ganz besonders) für Sportler und Menschen mit angegriffenem Immunsystem, chronischen oder akuten, vor allem psychosomatischen Erkrankungen. Wichtig ist nur, den jeweils individuell notwendigen Nährstoffbedarf zu kennen und die vegane Ernährung entsprechend anzugleichen. Hinzu kommt natürlich, dass dem Körper über die vegane Ernährung auch die richtige Menge an Kalorien bereit gestellt werden muss. Unser Stoffwechsel braucht Vitalstoffe und Energie im richtigen Maß.
Mikro- und Makronährstoffe für eine ausgeglichene vegane Ernährung
Woran also ist bei veganem Essen primär zu denken, um dem Körper alle notwendigen und darüber hinaus noch viele wohltuende Nährstoffe zu bieten? Die in den folgenden zwei Beiträgen gesammelten Empfehlungen gelten dabei genauso für eine komplette Ernährungsumstellung wie für die Integration von veganen Tagen in einen ansonsten omnivoren oder vegetarischen Alltag.
Für eine gesunde vegane Ernährung sollte auf einen regelmäßigen Genuss aller fünf Nährstoffgruppen geachtet werden: Gemüse, Getreide, Obst, Hülsenfrüchte einschließlich Soja sowie Nüsse und Samen. Im folgenden Beitrag beleuchten wir zunächst näher, wie diese eine optimale Zufuhr an Eiweiß, Fetten und Kohlehydraten bei veganer Ernährung gewährleisten können. Im zweiten Teil erläutern wir diejenigen Vitamine, Hormone und Vitalstoffe, die Veganer im besonderen Maß benötigen.
Als Richtschnur lässt sich übergreifend sagen: Solange jeder Tag drei bis fünf Mahlzeiten und Snacks beinhaltet, die alle fünf veganen Nahrungsmittelgruppen umfassen, ist die vegane Ernährung ausgewogen. Eine externe Zufuhr von Vitamin B12, ob als Zutat angereicherter Lebensmitteln, in Tabletten- oder flüssiger Form, ist dann die einzige wirklich unabdingbare Nahrungsergänzung (siehe unser nächster Artikel über Mikronährstoffe).
Roh-Vegan – eine Option?
Ob rohe Lebensmittel (plus solche, die unterhalb einer Temperatur von 48 °C verarbeitet werden) immer die bessere Ernährungsoption sind, ist umstritten. Fest steht: Es ist möglich, sich rein roh-vegan gesund zu ernähren; aber es ist auch eine echte Lebensentscheidung, bei der es Verschiedenstes zu bedenken gilt.
Tatsache ist, dass rohes Gemüse einen höheren Anteil an intakten Enzymen und Proteinen aufweist, die ab einer bestimmten Hitzebehandlung zerstört werden. Außerdem hat die roh-vegane Bewegung eine Vielzahl an innovativen, köstlichen und ganz einfachen Rezepten hervorgebracht oder neu entdeckt, die eine echte Bereicherung des Speiseplans darstellen.
Ich persönlich lege in regelmäßigen Intervallen ein bis drei „rohe“ Tage ein. Allerdings fällt eine gesunde vegane Ernährung den meisten Menschen einschließlich meiner selbst wesentlich leichter, wenn sie Kartoffeln, Reis und gekochte Hülsenfrüchte in ihren Speiseplan mit aufnehmen.
Eiweiß
Die Sorge, mit dem Verzicht auf tierische Produkte auch zu wenig Eiweiß zu konsumieren, ist verständlich. Fleisch, Fisch und Milchprodukte sind für viele Menschen tatsächlich die Hauptlieferanten von Proteinen. Vegane Ernährung kann allerdings genauso viel und hochwertiges Eiweiß liefern. In vielen Fällen ist die für den Organismus verfügbare Proteinqualität aus Pflanzen sogar noch wertiger – wobei „wertig“ für die Leichtigkeit steht, mit der Nahrungsprotein in körpereigenes Eiweiß umgewandelt werden kann.
Die Versorgung mit pflanzlichen Proteinquellen ist außerdem eine ausgezeichnete Osteoporose-Vorsorge und schützt die Nieren. Tierische Proteine maximieren den Säuregehalt des Körpers; um seinen idealen pH-Wert wieder herzustellen, scheidet dieser Calcium aus den Knochen aus. Der entstehende Calciummangel fördert die Osteoporose-Entstehung; das ausgeschiedene Calcium kann in der Niere zur Steinbildung führen.
Vegane Ernährung liefert unentbehrliche Aminosäuren quasi „automatisch“
Neben der richtigen Menge an Eiweiß pro Körpergewicht ist auch eine ausreichende Versorgung mit allen neun unentbehrlichen Aminosäuren (Protein setzt sich aus unterschiedlichen Aminosäuren zusammen) essenziell: Histidin, Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin. Zusätzliche Aminosäuren, wie Alanin, Asparagin, Asparaginsäure und Glutaminsäure stellt unser Körper aus Kohlenhydraten oder anderen Aminosäuren selbst her. Vegane Ernährung ist mit Leichtigkeit in der Lage, uns die unentbehrlichen Aminosäuren zu liefern. Interessant ist, dass die Aminosäuremuster veganer Ernährung dem menschlicher Muttermilch entsprechen, während das der Nahrung von Gemischtköstlern sich eher analog zum Aminosäureprofil von Kuhmilch darstellt.
Ungefähr zehn Prozent unserer gesamten, über den Tag aufgenommenen Nahrung sollte aus Protein bestehen. Anders ausgedrückt sind dies bei einem vegan lebenden Erwachsenen mit einem durchschnittlichen Energieverbrauch um die 0,9 g Eiweiß pro Kilo Körpergewicht täglich. Eine ausgewogene vegane Ernährung mit ausreichender Gesamtkalorienzufuhr deckt diesen Bedarf ganz automatisch. Allerdings: In Wachstumsphasen, Schwangerschaft und Stillzeit, bei hohem, körperlicher Belastung und eventuell bei älteren Menschen besteht ein erhöhter Proteinbedarf. Bei vegan lebenden Sportlern erhöht sich aufgrund der normalerweise geringeren Auswertung von pflanzlichen Proteinen (außer bei Soja) die benötigte Eiweißzufuhr auf 1,3 bis 1,8 g pro Kilo täglich.
Nur wenn mit der veganen Ernährung auch noch eine kalorienreduzierte Kost einher geht, etwa aufgrund einer Diät, sollte eine höhere Proteinzufuhr eventuell über Proteinpulver auf pflanzlicher Basis sicher gestellt werden. Denn wo dem Körper nicht mehr genug Kalorien über Fette und Kohlehydrate zur Verfügung stehen, zeiht er sich Energie aus Eiweißvorräten. In Biosupermärkten oder veganen Online-Shops gibt es diverse pflanzliche Proteinpulver speziell für die vegane Ernährung, hergestellt aus Soja, Reis oder meinem persönlichen Favoriten, Hanf.
Hülsenfrüchte sind Fleisch in jeder Hinsicht ebenbürtig
Dabei sind viele der verfügbaren pflanzlichen Proteinquellen den meisten Menschen gar nicht bewusst! Neben den Klassikern wie Kartoffeln und Vollkornprodukte, sind alle Hülsenfrüchte einschließlich Tofu (aus Soja), Bohnen, Linsen und Erbsen, Nüsse und Ölsamen exzellente Proteinzulieferer. Hülsenfrüchte sind dabei die Spitzenreiter: Sie führen dem Körper ebenso viel Protein zu wie Fleisch; der Stoffwechsel kann 90% ihres Eiweißes für sich umsetzen.
Für viele eine Neuentdeckung: die Lima- oder Mondbohne
Hülsenfrüchte schmecken zu jeder Tageszeit. Zum Frühstück etwa als Vanille-Sojadrink, pur oder mit Müsli; als leckerer, selbst gemachter Erbsen-, Linsen- oder Kidneybohnenauftrich, etwa mit Minze oder Kardamon zum Vollkornbrötchen mit Avocado. Mittags oder abends lassen sich mit Tofu oder Tempeh aus fermentierten Sojabohnen und den richtigen Gewürzmischungen fast alle Fleischgerichte nach kochen, sogar Burger, Bolognese und Gyros! Mit Kichererbsen lassen sich neben Humus und Falafel noch eine Vielzahl spannender orientalischer Köstlichkeiten zaubern – die übrigens traditionell vegan sind.
Wie immer bei veganer Ernährung ist die Lust am Experiment der Schlüssel. Wer sich noch nicht richtig ans Selbermachen von Veggie-Geschnetzeltem & Co. heran traut, probiert einfach mal verschiedene Fertigprodukte aus – die es übrigens auch sehr lecker aus Lupinen gibt, einer zu Unrecht lange vergessenen Hülsenfrucht, die alle unentbehrlichen Aminosäuren enthält, deutlich fettärmer ist als Soja und vor Carotinoide und Vitamin E nur so strotzt.
Überraschende Proteinlieferanten in der veganen Ernährung: Gemüse
Nicht nur Hülsenfrüchte sind wertvolle Proteinlieferanten für die vegane Ernährung. Auch Gemüse hat einen ungeahnt hohen Eiweißgehalt.
Mein diesbezüglicher Tipp für den perfekten Start in den Morgen, der nebenbei auch noch massig Vitamine und vitale Spurenelemente enthält: Grüne Smoothies. Denn um dem veganen Speiseplan wirklich optimal Eiweiß zu liefern, sollte vor allem grünes Gemüse roh verzehrt werden. Doch wer knabbert schon den ganzen Tag an Grünkohlblättern? Hinzu kommt noch, dass diese so gründlich wie möglich aufgespalten sein sollten – eine Aufgabe, an der unsere Kaufgewohnheit oft versagt. In grünen Smoothies hingegen geben Spinat & Co. ihr Bestes. Nichts geht über einen dieser chlorophyll-haltigen Wachmacher mit einem hohen Anteil an Brunnenkresse, Spinat. Grünkohl, Salatblättern, einem Esslöffel Haselnuss- oder Cashewnusscreme, aufgefüllt mit frisch gepresstem Grapefruit- oder Orangensaft.
Ebenfalls perfekt für die Proteinversorgung bei veganer Ernährung: Brokkoli und Rosenkohl, als Rohkostsalat mit Weizenkeimen und Erdnüssen angemacht. Oder wie wäre es mit rohem Blumenkohlrisotto mit Champignonscheiben, geschredderten Senfblättern und Artischocken in einer Walnussvinaigrette? Aber auch grüne Erbsen, Zuchini und grüne Paprika sind voller Eiweiß und Vitalstoffe und lassen sich perfekt etwa in Sesamöl marinieren.
Eine Schatztruhe der veganen Ernährung: Das volle Korn
Natürlich stehen bei der veganen Ernährung Vollkorngetreidearten ebenfalls eine wichtige Rolle. Vor allem Roggen und Hafer, aber auch Buchweizen und Gerste tun sich hier hervor. Ein Schale Wildreis zum Mittag, gemischt mit Kürbiskernen und Kürbiskernöl, dazu gebratener Tofu und zum Nachtisch einen Obstsalat aus Melonen, Erdbeeren, Papayas und Pfirsichen – so einfach kann ein leichter, veganer und proteinreicher Lunch aussehen, der sich außerdem noch ausgezeichnet transportieren lässt. Abends runden selbstgemachtes Buchweizenbrot mit Walnüssen und Grünkohlpesto den Tag ab.
Doch selbst, wenn dieser abwechslungsreiche, vegane Speiseplan aus zeitlichen oder organisatorischen Gründen mal nicht drin ist: Auch wer sich eine Woche lang hauptsächlich von Kartoffeln in den verschiedensten Variationen und Sandwiches aus Vollkorngetreide ernährt, nimmt immer noch genügend Eiweiß zu sich – nur eben nicht die langfristig notwendige Kombination aller unentbehrlichen Aminosäuren. Übrigens: Nicht jedes Gericht muss alle Komponenten einer ausgewogenen, veganen Ernährung abdecken. Solange innerhalb von 24 Stunden insgesamt alles auf den veganen Tisch kommt, was der Körper braucht, besteht kein Anlass zur Sorge.
Noch zwei heimliche Eiweiß-Stars: Algen und Hefe
Eine weitere, enorm wertvolle Quelle pflanzlichen Proteins sind Süßwasseralgen. Normalerweise stehen sie nicht auf dem westeuropäischen Speiseplan und sind deshalb für viele Neu-Veganer eine echte Entdeckung. Die tiefgrüne Spirulina etwa besteht zu 70% aus Protein; sie ist in Pulverform erhältlich und lässt sich ausgezeichnet in Smoothies, Müslis, Speiseeis, Joghurt und selbstgemachten Müsliriegeln und Energiebällchen verarbeiten.
Ebenfalls ein so überraschender wie effektiver Proteinlieferant: Speisehefe, die meist zur Hälfte aus wertvollem Protein besteht. Hefeflocken sind in der veganen Küche eine echte „Geheimzutat“; mit ihnen kann Schmelzkäse ebenso wie geflockter Parmesan geschmacklich fast ununterscheidbar „imitiert“ werden. Außerdem würzen sie Suppen, Soßen und Dips dezent und sehr aromatisch.
Energie
So gut wie alle Menschen stellen nach der vollständigen oder teilweisen Umstellung auf eine vegane Ernährung einen kontinuierlichen, gesunden Gewichtsverlust bis zum Wohlfühlgewicht bei sich fest. Alle diesbezüglichen Studien haben ergeben: Veganer oder Menschen mit hauptsächlich veganer Ernährung sind durchschnittlich etwas mehr als zehn Kilo leichter als Omnivoren. Auch ihr Körperfettanteil liegt zu 80% im Idealbereich.
Dieses Phänomen der automatischen Gewichtsregulierung verleitet aber auch dazu, sich umgekehrt bei Risikogruppen Sorge zu machen, eine vegane Ernährung könnte zu Versorgungsdefiziten führen. Leistungssportler fragen sich oft, ob sie bei veganer Ernährung nicht nur zu wenig Proteine, sondern in besonders aktiven Zeiten insgesamt zu wenig Energie aufnehmen. Bei abgestillten Babys und Kleinkindern mit hohem Bewegungsdrang ist die Befürchtung auf Seiten der Eltern, vegane Ernährung könnte zur Unterversorgung führen.
Hier soll gleich festgehalten werden: Bei Kindern unter 10 bis 13 Jahren sollte tatsächlich auf eine hohe Nährstoffzufuhr und Energiedichte der angebotenen Lebensmittel geachtet werden. Deshalb sind frische, möglichst unverarbeitete Nahrungsmittel hier entscheidend; außerdem tägliche Portionen von Getreide, Hülsenfrüchten und Nüssen. Von Natur aus ist Muttermilch mit einer besonders hohen Energiedichte versorgt. Mehr als 50 % der enthaltenen Kalorien werden von Fetten geliefert. Dieses Verhältnis sollte noch über längere Zeit beibehalten werden, allerdings mit „guten“ Fetten – mehr dazu weiter unten.
Ähnliches gilt für ältere Menschen, die generell weniger Essen und deren einzelne Portionen deshalb besonders nährstoffreich sein sollten.
Vorab gesagt: Die Energiezufuhr bei veganer Ernährung ist meistens ideal. Nicht nur, weil sie individuell auf die spezifische Situation des Einzelnen abgestimmt werden kann. Sondern auch, weil eine rein pflanzliche Ernährung meist dazu führt, dass wir unser natürliches Hungergefühl wiederfinden; unser Instinkt, was wir wann brauchen, kehrt zurück.
Ein besonders interessantes Phänomen tritt hier bei untergewichtigen Menschen ein, die eine vegane Ernährungsumstellung praktizieren: In den meisten Fällen nehmen sie nämlich langsam, aber kontinuierlich zu, bis ihr Körper sich wieder bei einem gesunden Gewicht eingependelt hat.
Warum das so ist? Es liegt am automatisch optimalen Verhältnis von Fetten, Kohlehydraten und Eiweißen bei veganer Ernährung. Zum Überblick: Fett stellt 9 kcal pro Gramm, Eiweiß und
Kohlenhydrate lediglich 4 kcal pro Gramm. So gut wie alle veganen Ernährungsberater empfehlen eine Mischung aus mindestens 50% bis 65% Kohlehydraten, 15% bis maximal 30% Fetten und
8-20 % Eiweiß für ein ideales Splitting unserer Kalorienaufnahme. Gemischtkost mit Tierprodukten ist in der Praxis meist zu fett und eiweißreich. Und auch lakto-ovo-vegetarische Kost, die also lediglich Milchprodukte und Eier beinhaltet, ist häufig immer noch zu fettreich.
Dies vorausgeschickt, muss bei der veganen Ernährung im Verglich zur omnivoren oder vegetarischen dennoch einiges beachtet werden, damit die Energiezufuhr den Organismus wirklich perfekt versorgt. Beginnen wir bei einer detaillierteren Betrachtung der Kohlehydratzufuhr.
Kohlehydrate
Die Umstellung auf eine vegane Ernährung ist ein exzellenter Zeitpunkt, sich von Industriezucker zu verabschieden und auf Alternativen wie Kokosblütenzucker (mein absoluter Favorit), Ahornsirup oder Apfeldicksaft umzusteigen.
Grundsätzlich lassen sich drei Kohlehydrat-Arten unterscheiden. Die für den Körper schnell verfügbaren, aber auch schnell wieder abgebauten Zucker, also einfache Kohlehydrate; hierzu zählen Glucose, Lactose, Saccharose und Fructose. Komplexe Kohlenhydrate aus langen Glucosemolekülketten tauchen als Stärke auf. Schließlich unverdauliche Ballaststoffe, die aber dennoch eine unverzichtbar positive Rolle für unsere Verdauung spielen.
Eine vegane Ernährung sollte so viel komplexe Kohlehydrate wie möglich beinhalten, die in Form von Hülsenfrüchten, Vollkorngetreide, Gemüse und Obst verzehrt werden. Wie auch in allen anderen Ernährungsformen, sollten reine Naschereien reduziert verzehrt werden. Allerdings gelingt dies gerade bei der veganen Ernährung überraschend leicht. Viele Süßigkeiten fallen als Option weg, da sie entweder Gelatine (wie etwa Gummibärchen), Milch (wie alle Vollmilchschokolade-Produkte) oder Ei (wie viele Backwaren vom Bäcker) enthalten.
Vegane Ernährung verführt zum Selbermachen
Die natürliche und auch viel günstigere Lösung heißt: selber machen. Eine heiße Schokolade aus Hafermilch, rohem Kakaopulver (bitte auf Fair Trade achten!) und Ahornsirup ist mega-gesund und stillt die kleine Lust auf Süßes sofort. Energiekugeln gibt es tatsächlich in tausend und einer Variante, sie halten sich ewig und liefern über einen langen Zeitraum Energie (Nomen est Omen). Bitterschokolade erscheint am Anfang gewöhnungsbedürftig; doch der Übergang ist schnell geschafft und wer nach ein paar Wochen veganer Ernährung mal wieder ein Stückchen Milchschokolade probiert, kann oft nicht mehr verstehen, wieso sich dieses Klebematerial überhaupt „Schokolade“ nennen darf.
Das wichtigste bei den Kohlehydraten ist: Natürlichkeit der Zutaten. Getreide wird als volles Korn gegessen. Ungeschältes Obst liefert wertvolle Ballaststoffe und zusätzlich noch Antioxidantien.
Fette
Die Umstellung auf vegane Ernährung bedeutet auch, sich von Denkmustern zu verabschieden. Eines davon ist die Gleichstellung von Fett und Schädlichkeit. Fette und Öle, ernährungsphysiologisch Lipide genannt, erfüllen im Organismus vitale Rollen: Sie sind nicht nur Energielieferanten und und Speicher, sie isolieren und schützen auch unsere Organe, sind Bauteile unserer Zellmembranen, transportieren essenzielle fettlösliche Stoffe wie Vitamine und machen die Bildung von hormonähnlichen Substanzen, Steroidhormonen (etwa Testosteron, Progesteron) und Vitamin D überhaupt erst möglich.
Wichtig bei veganer Ernährung: Lipide müssen über wertvolle Fette in den Körper gelangen
Eine balancierte, vegane Ernährung enthält ausreichende Mengen an essentiellen Fettsäuren, um rundum gesund zu sein. Betrachte ich zum Beispiel meinen eigenen, täglichen Speiseplan, ist dieser vollgepackt mit wertvollen Ölen und Fetten, die bereits in Lebensmitteln stecken und noch nicht extrahiert sind: eine große Auswahl an Nüssen und Samen, Avocados und Oliven und viele Sojaprodukte sind voller guter Lipide.
Diese – oder genauer gesagt die enthaltenen Fettsäuren – unterteilen sich nochmals in gesättigte Fettsäuren sowie einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Alle gesättigten und alle einfach ungesättigten Fettsäuren bildet der Körper selbst. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren benötigt unser Körper zwar, kann sie jedoch nicht selbst synthetisieren. Deshalb ist vor allem die Zufuhr mehrfach ungesättigter Fette so wichtig.
Nun ist vegane Ernährung von sich aus wesentlich ärmer an gesättigten Fettsäuren und Cholesterin als ihr omnivorer Gegenpart. Das kommt daher, dass gesättigte Fettsäuren überwiegend von tierischen Produkten, fetthaltigen Süßwaren und minderwertigen Speisefetten geliefert werden. Deshalb geht die Medizin auch davon aus, dass gesättigte tierische Fette die hauptsächliche Ursache für einen Cholesterin-Anstieg im Blut sind. Einzige Ausnahme: das überwiegend aus gesättigten Fettsäuren zusammengesetzte Kokosfett. Es wirkt sich nicht negativ auf den Cholesterinspiegel aus und ist außerdem ein echtes „Superfood“.
Wichtiger Unterschied, gerade für Veganer: Omega-3 versus Omega-6
Veganer nehmen deutlich mehr mehrfach ungesättigte Fettsäuren zu sich und beeinflussen so ihren Blutcholesterinspiegel positiv. Für unsere Blutfettwerte ist dies eine ausgezeichnete Nachricht.
Aber es gibt ein Aber. Denn auch die ungesättigten Fettsäuren müssen nochmals unterteilt werden – in Omega-6-Fettsäuren (Linolsäure) und Omega-3-Fettsäuren (alpha-Linolensäure). Aus Linolsäure und alpha-Linolensäure kann unser Stoffwechsel alle anderen ungesättigten Fettsäuren bilden. Linolsäure ist dabei eine omega-6-Fettsäure, Alpha-Linolensäure eine omega-3-Fettsäure. Vegane Ernährung benötigt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden, um gesund zu sein.
Dieses wird meist mit 4:1 bis 8:1 Omega-6- zu Omega-3 Fettsäuren beziffert. Der Grund: Die Aufnahme von überwiegend Omega-6-Fettsäuren kann die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren behindern. Veganer liegen beim täglichen Verzehr aber oft bei einem wesentlich ungünstigeren Verhältnis von etwa 15:1. Für eine optimale pflanzliche Ernährung empfiehlt es sich daher, Pflanzenöle mit einem hohem Anteil an Omega-3-Fettsäuren zu verwenden, also etwa Raps-, Soja-, Walnussöl. Diestel- und Sonnenblumenöl mit natürlich hohem Omega-6-Gehalt sollen sparsam zum Einsatz kommen.
Das bedeutet natürlich keinen Totalverzicht auf andere native oder geröstete, hochwertige Öle. Allerdings sollten diese eher wie Aromastoffe gehandhabt werden.
Omega-3-Fettsäuren in der veganen Ernährung
Alpha-Linolensäure wird im Organismus zu Eicosapentaensäure (EPA), der vor allem für die neuronale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen so wichtigen Docosahexaensäure (DHA) und anschließend in die Gewebshormone Prostaglandin E3, Thromboxan A3 und Leukotrien B5 verwandelt. Letztere wirken sind entzündungshemmend, gefässerweiternd und gerinnungshemmend.
Häufig wird die Notwendigkeit von Fischverzehr als Quelle von Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) herausgestellt. Dies stimmt zwar an sich. Tatsache ist aber nicht nur, dass der Fischverzehr die Existenzgrundlagen vieler Spezies belastet und durch die Meeresverschmutzung mit Umweltgiften oft riskant ist. Das Fleisch vieler Fischarten enthält auch einen hohen Anteil an Arachidonsäure, die Entzündungen fördert und so einen der signifikanten, positiven Effekte der omega-3-Fettsäuren wieder aufhebt. Dabei ist der Fischkonsum gar nicht notwendig – denn Fische bilden die omega-3-Fettsäuren gar nicht selbst, sondern nehmen sie durch Meeresalgen auf. Viel sicherer ist es also, die Omega-3 Versorgung bei veganer Ernährung direkt durch Algenverzehr zu gewährleisten.
Auch wenn ich persönlich sehr zurückhaltend in der Empfehlung von Nahrungsergänzungsmitteln bin, plädiere ich doch bei einem stressigen Lifestyle und veganer Ernährung für die präventive Einnahme von Mikroalgenölen in Kapselform, die besonders reich an EPA und DHA sind. Die tatsächlichen Risiken von niedrigen EPA- und DHA-Blutspiegeln sind noch nicht ausreichend erforscht, um mich hierin medizinisch hundertprozentig zu bestätigen; aber ich fahre gut mit 4 g ALA täglich als Teil meiner veganen Ernährung bzw. 300 mg DHA insgesamt pro Tag. Vegane Schwangere und Stillende sollten in jedem Fall mindestens 200 mg DHA pro Tag zuführen!
Auch auf natürlichem Weg ist diese Zufuhrmenge einfach zu bewerkstelligen. Über den Verzehr von Walnussöl und Walnüssen (im Salat), Leinsamen und/ oder Hanfsamen (im Müsli) und etwa 250 g Tofu zum Abendessen.
Mein absoluter Geheimtipp in dieser Richtung sind außerdem Chia-Samen. Ich nutze sie mit Wasser zu Chiagel vermischt als perfekten Eiersatz, der noch jedes Backrezept veganisiert hat. Morgens gebe ich zwei Esslöffel davon in meinen Wake-Up-Smoothie, wo ich sie vor dem Genuss etwa zehn Minuten lang quellen lasse. Aber auch über Müsli und Joghurt gestreut, in Salaten und Aufläufen macht sich dieses Superfood mit seinem nussigen Geschmack ideal.