„Heat-not-Burn“ und Nikotinshots: Wie Big Tabacco Rauchstoppwilligen weiter Tabak verkauft
Teil II: Reynolds setzt auf Zombies, Altria und Lorillard pumpen mehr Nikotin in ihre eCigs und NJOY soll zu Pharmazeutika greifen
Auch der weltweit zweitgrößte Zigarettenhersteller R.J.Reynolds schlägt den „Heat-not-Burn“ Weg ein, indem er sich auf nicht ganz so gute alte Zeiten besinnt: 2015 wird das Unternehmen versuchen, ein fast begrabenes Produkt wieder zum Leben zu erwecken. Ende der Achtziger Jahre, also lange vor dem ersten marktreifen, chinesischen eCig-Prototypen, wollte der Konzern schon einmal mit einem Tabak erhitzenden, aber nicht verbrennenden Produkt namens „Premier“ Geschichte schreiben. Auf Druck der American Medical Association, die von der FDA das Verbot des Produktes verlangte, nahm Reynolds es allerdings schon nach wenigen Monaten wieder vom Markt.
Beim zweiten Versuch Mitte der Neunziger Jahre wurde die Erfindung in „Eclipse“ umgetauft. „Eclipse“ war eine Zigarette mit einer Karbonspitze, die angezündet wurde und den enthaltenen Tabak lediglich erhitzte, statt ihn zu verbrennen. Die Eclipse war rauch- und aschefrei. Sie verströmte lediglich Dampf mit Tabakgeruch, schmeckte allerdings anders als Tabakzigaretten und war umständlicher in der Handhabung.
Auch bei seiner Zweiteinführung floppte das Produkt am Markt; Reynolds geht davon aus, dass Verbraucher einfach noch nicht reif dafür waren. Es starb jedoch nicht, sondern blieb zwei Jahrzehnte hindurch ein Bestseller in Reynolds eigener Firmenkantine – wo Rauchen natürlich längst verboten ist.
Ironie des Marktes: E-Zigaretten werden als Sprungbretter neuer Tabakprodukte genutzt
Die jetzige Auferstehung der „Eclipse“ heißt „Revo“, soll schon im Februar im US-Bundesstaat Wisconsin auf den Markt kommen und etwa so viel kosten wie Premium-Tabakzigaretten. J. Brice O’Brien, als Marketingchef auch verantwortlich für Camel und Pall Mall, gibt sich zuversichtlich: „Unsere bisherigen Heat-not-Burn Lösungen waren dem Verbraucher einfach 20 Jahre voraus. Es bedurfte der jetzigen Massenpräsenz von Dampfprodukten für eine Produkterfahrung, deren Vorteile auch Rauchern einleuchtet. Davor konnten sie das Heat-not-Burn Prinzip nur mit der Tabakzigarette vergleichen – und mit der konnte es einfach nicht mithalten. Das ist jetzt nicht länger der Fall“.
Mit anderen Worten: Für Reynolds sind E-Zigaretten eigentlich nur das Sprungbrett, um eine schon für tot erklärte Idee zu beleben, die dem Konsumenten nun besseres Dampfen statt unterlegenem Rauchen verkaufen soll. Folgerichtig nennt O’Brien die „Revo“ auch eine „moderne Version der klassischen Zigarette“, die im Gegensatz zum E-Liquid der elektrischen Zigarette echten Tabak enthält – und somit für Raucher automatisch attraktiver werden sollte.
Moderne Verbraucher steigen gerne um vom Tabak rauchen aufs…Tabak rauchen
Warum allerdings jemand vom Tabakprodukt zum…ähm…Tabakprodukt wechseln sollten, lässt O’Brien offen. Er sagt nur trocken „Revos sind komplizierter im Gebrauch als traditionelle Zigaretten – aber die Mühe ist es in jedem Fall wert.“ Aller Wahrscheinlichkeit nach spekuliert der Marketingexperte auf all die Raucher, die nichts gegen Tabakpartikel in ihren Lungen haben, wohl aber etwas gegen die soziale Marginalisierung, die öffentliche Rauchverbote mit sich bringen.
Generell wird dies wohl das Marketing-Pferd sein, auf dem all die neuen Heat-not-Burn-Produkte aufgezäumt werden. Das ist clever, denn aus eben diesem Grund wechseln viele Raucher momentan zur E-Zigarette; mit der angenehmen Nebenwirkung, dass sie in Folge häufig ganz vom tödlichen Tabak auf minimal riskantes E-Liquid umsteigen. Dieser Umstieg bleibt ihnen bei den neuen Produkten verwehrt – und genau dass ist es, worauf die Tabakmultis setzen.
Das modifizierte Risiko
Ob Heat-not-Burn-Produkte weniger krebserregend sind als Tabakzigaretten, dazu gibt es noch keine Langzeitstudien. Deshalb sprechen alle an der Entwicklung dieser Tabakerhitzer Beteiligten auch immer nur vorsichtig von einem aller Wahrscheinlichkeit nach geringerem Gesundheitsrisiko verglichen mit dem Rauchen – einem sogenannten „modifizierten Risiko“. Diese Aussage basiert auf dem Zustand von in-vitro dem Dampf der Produkte ausgesetzten menschlichen Lungenzellen, die anschließend auf biologische und genetische Veränderungen untersucht wurden.
An menschlichen Versuchspersonen wurden Blut und Urin auf toxische Partikel getestet. Die erste dieser Teststrecken, 2013 in Polen exekutiert, dauerte nur fünf Tage. Sie wies nach, dass einige der giftigsten Substanzen des Tabaks bei Konsumenten in erheblich niedrigerem Maße nachzuweisen waren als bei Rauchern – aber eben immer noch vorkamen. Die Ergebnisse der zweiten Studie mit 160 Teilnehmern über drei Monate ist noch nicht veröffentlicht worden. Eine dritte Studie über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten steht an. Alle Studien wurden jedoch unternehmensintern veranlasst.
Hauptsache, das Nikotin geht rein
Die Tabakmultis spiegeln den dualen Konsum vieler Raucher mit einer dualen Produktstrategie. Neben dem „Heat-not-Burn“Ansatz experimentieren sie alle parallel mit der E-Zigarette als dem zweiten Weg aus der Sackgasse abnehmender Zigarettenverkäufe. Ziel ist dabei, ein Dampferlebnis zu generieren, dessen Nikotinkick sich dem der zuvor konsumierten Tabakzigarette möglichst annähert. Um dieses Ziel zu erreichen, nutzen die Konzerne verschiedenste Methoden – nicht zuletzt eine drastische Erhöhung des Nikotingehalts ihrer E-Zigaretten.
Prominentestes Beispiel ist die E-Zigarette MarkTen des Tabakmultis Altria. Von allen eCigs ist diese am nächsten einer Zigarettenmarke verwandt, nämlich der vom selben Unternehmen vertriebenen Marlboro-Zigarette. Auch wenn Marlboro nicht auf der Verpackung steht, ist die MarkTen doch im Dunstkreis des weltberühmten Logos aufgetaucht, das für einen starken, kräftigen Geschmack steht. Um diesen ausreichend simulieren zu können, hat Altria den Nikotingehalt der MarkTen von 1,5 % (entspricht 15mg/ml) bei Markteintritt im Jahr 2013 auf nun optional 2,5% erhöht. Dies war sicherlich auch eine Reaktion auf viele Raucher, denen der Nikotinhit einfach zu bescheiden war, um einen echten Umstieg auf die MarkTen zu motivieren. Gleichzeitig hat Altria mit Philip Morris International vereinbart, deren HeatStick-Technologie zu übernehmen und für den amerikanischen Markt zu produzieren.
Tabakhersteller müssen auch auf die zunehmende Menge an Dampfgeräten der zweiten und dritten Generation reagieren, die ein völlig individualisiertes Dampferlebnis mit Liquids (noch) beliebigen Nikotingehalts zulassen. Lorillard hat in seiner neuen Version der blu eCigs den Nikotingehalt von 1,6 % konsequent auf 2,4 % angehoben, die Kartusche so umgestaltet, dass sie schneller mehr Nikotin verfügbar macht und alle Batterien vergrößert, um mehr Hitze erzeugen zu können. Insgesamt, so die Aussage von Lorillard, wird die Nikotinverfügbarkeit damit um 50% erhöht.
Übrigens: Wenn man schon von einem Big Player im Dampfbusiness sprechen dann kann, dann ist es wohl NJOY. Auch dort wird fleißig an einem intensiveren Nikotinhit gebastelt. Soeben macht in amerikanischen Dampferkreisen ein Gerücht die Runde, dass die neuen NJOY eCig-Versionen diesen Jahres einen zugelassenen pharmazeutischen Inhaltsstoff beinhalten sollen, der die Dampfaufnahme der Lungen verbessern soll. Anscheinend soll dies zu einer Nikotinaufnahme führen, die bis an 70% der des Zigarettenqualms heranreicht.
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Mit etwas wie Eclipse war man nicht zwanzig Jahre voraus. Es hat nur auch schon vor zwanzig Jahren für mich nichts getaugt. Ich erinnere mich noch an das unbefriedigende Erlebnis und an etwas Staubiges, Krümeliges im Mundraum.