E-Autos aus China sind das Symptom – und der Weckruf: Warum Europas Hersteller und Politik jetzt handeln müssen
Kommentar & Analyse
Chinesische Hersteller überrollen den europäischen Markt nicht nur mit Preisen, sondern mit Tempo, Integration und Software. Wer das Phänomen auf „Subventionen“ reduziert, verkennt die Lage: China baut komplette Wertschöpfungsketten auf – von der Zellchemie bis zur App im Cockpit. Europas Antwort bleibt fragmentiert, langsam und oft symbolisch. Die Zeit wird knapp.
Was wirklich hinter dem Vorsprung steckt
Der Kostenvorteil ist nicht bloß Buchhaltung, sondern Technik: LFP/LMFP-Zellen, hochintegrierte Packs, Leistungselektronik aus einer Hand. Dazu kommt eine Software, die das Auto zum Endgerät macht – mit Over-the-Air-Updates im Quartalstakt und einem App-Ökosystem, das Kunden bindet. Das Ergebnis: wettbewerbsfähige Fahrzeuge im Massenmarkt, die in Europa lange fehlten.
Europas blinde Flecken
- Batterietiefe: zu wenig Zell- und Materialfertigung in Europa, zu viel Importabhängigkeit bei Vorstufen.
- Software-Reife: langsame OTA-Zyklen, Insellösungen statt Plattform – Mehrwert entsteht anderswo.
- Beschaffung & Netze: Ausschreibungen belohnen den niedrigsten Preis, nicht Resilienz oder CO₂-Bilanz; Netze und Genehmigungen bremsen Fabriken und Ladeinfrastruktur.
Politik: Werkzeuge gibt es – genutzt werden sie zu selten
Zölle, Beihilfe- und Vergaberegeln verschaffen Luft, lösen aber keine Strukturprobleme. Entscheidend ist Umsetzung, nicht Ankündigung. Drei Schritte sind überfällig:
- NZIA/CRMA operativ machen: Genehmigungen in Monaten statt Jahren; Rohstoffdeals mit Volumengarantie; Recyclingquoten, die auch greifen.
- Beschaffung umstellen: Resilienz-, CO₂- und IT-Sicherheitskriterien verbindlich gewichten – nicht als Feigenblatt, sondern als Zuschlagsfaktor.
- Skalierung finanzieren: Spätphasen-Kapital für Zellchemie, Leistungselektronik, Recycling. Ohne Geld kein Maßstab.
Hersteller: Von der Pressemappe zur Produktkurve
- Batterie-Allianzen: LFP/LMFP parallel zu NMC, Vorstufen nach Europa holen, Pack-Integration als Kernkompetenz.
- Software als Produkt: quartalsweise OTA-Releases, Appstore, Bezahlinfrastruktur im Fahrzeug. KPIs: aktive Nutzer, OTA-Kadenz, Softwareumsatz pro Fahrzeug.
- NOA pragmatisch: Autobahn zuerst, Stadt schrittweise – mit belastbaren Sicherheitskennzahlen statt Marketinglevels.
- Plattformdisziplin: wenige BEV-Architekturen, maximale Teilegleichheit; Variantenvielfalt in Software, nicht in Hardware.
Über die Autoindustrie hinaus
Die Logik wiederholt sich in Solar, Wind und Medizintechnik: China liefert skaliert, Europa vergibt nach Preis. Wer so weitermacht, importiert nicht nur Produkte, sondern Abhängigkeiten. Ohne Resilienz- und CO₂-Kriterien in Ausschreibungen bleibt jede Industriepolitik ein Papiertiger.
Die Messlatte bis 2030
- 40 % EU-Fertigung bei Schlüssel-Cleantech (inkl. Zellen/Materialien) – real, nicht nur auf Folien.
- ≥ 15 % BEV-Bruttomarge bei Volumenmodellen in Europa – durch Kostenrunterlauf und Softwareerlöse.
- ≥ 4 substanzielle OTA-Updates/Jahr je Baureihe.
- NOA-Sicherheitsgewinn ≥ 50 % gegenüber manuellem Fahren in EU-Piloten – transparent belegt.
- Beschaffung: ≥ 30 % großer Vergaben mit Resilienz/CO₂/IT-Sicherheit als ≥ 30 % des Scorings.
Fazit
E-Autos aus China sind nicht die Ursache, sondern der Indikator einer strategischen Lücke. Europa braucht befristeten Schutz, der Zeit kauft – und aggressiven Angebotsaufbau, der Wettbewerbsfähigkeit schafft. Ohne sichtbare Fortschritte bei Batterien, Software und Beschaffung wird aus dem Weckruf ein Wehklagen. Noch ist Zeit. Nicht mehr viel.