Helfen e-Zigaretten wirksam bei der Nikotinentwöhnung?
Jede Diskussion über den möglichen Nutzen von e-Zigaretten zur Nikotinentwöhnung bewegt sich in einer medizinischen Grauzone. Es gibt einfach noch zu wenig Langzeitstudien, die einen klaren, generellen Erfolg der elektrischen Zigarette bei der Entwöhnung belegen könnten. Bei Nikotinpflastern etwa ist dies schon anders. Dort gibt es verlässliche Studien hinsichtlich der Prozentzahl an Rauchern, die von sich selbst behaupten, durch das Pflaster die Sucht durchbrochen zu haben und eine zweite Angabe dazu, wie viele von diesen langfristig mit dem Rauchen aufhören konnten.
Zusammenhang zwischen Nikotinentwöhnung und e-Zigaretten
Dennoch können einige interessante Beobachtung hinsichtlich des Zusammenhangs von Nikotinentwöhnung und elektrischen Zigaretten gemacht werden – in psychologischer, medizinischer und gesundheitspolitischer Hinsicht. Historisch war die eZigarette als Rauchentwöhner gedacht – oder wurde jedenfalls so vermarktet, als sie 2005 zunächst auf den chinesischen Markt kam und dann ihren weltweiten Siegeszug antrat. Die entsprechenden Behauptungen der Hersteller und Konsumenten motivierten die Weltgesundheitsorganisation WHO zum ersten Statement, das von einer internationalen Organisation zu den elektrischen Zigaretten überhaupt abgegeben wurde: Sie riet aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Beweise für die Wirksamkeit generell von ihnen ab.
Beweise für die Rauchentwöhnung
Bis heute hat sich an dieser Einstellung, die so gut wie alle offiziellen Stellen weltweit teilen, nicht viel geändert. Sie argumentieren, dass keine abschließenden, wissenschaftlichen Beweise für die Effektivität der eZigaretten bei der Rauchentwöhnung vorliegen. Das hat drei Gründe. Erstens wurden noch keine repräsentativen, langfristigen Vergleichsbefragungen und Analysen hinsichtlich des Erfolges der Rauchentwöhnung durch elektrische Zigaretten durchgeführt. Zweitens wird kritisiert, dass die eZigaretten oder ENDS (Electronic Nicotine Delivery Systems) das enthaltene Nikotin direkt in die Lungen abgeben (im Unterschied zu Nikotinpflastern und Nikotinkaugummis) und es keine biologischen Langzeitstudien über einen möglichen Entwöhnungs- und Gesundheitseffekt der direkten Abgabe von Nikotin in die Lungen gibt. Drittens existieren noch keine nationalen oder internationalen Standards hinsichtlich der Nikotinkonzentration in den von eZigaretten verdampften Liquids. Bei Stichproben hat die Dosis und Konzentration immer stark geschwankt. Es können daher keine grundsätzlichen Empfehlungen zu Produkten und Konzentration abgegeben werden.
Langsam allerdings kommt Bewegung in die wissenschaftliche Szene. So hat etwa der neuseeländische Forscher Christopher Bullen von der Auckland Universität im Oktober 2013 eine Studie zur Wirksamkeit der elektronischen Zigarette bei Nikotinentwöhnung veröffentlicht. Mit seinem neuseeländisch-englischen Team hat er 657 entwöhnungswillige Zigarettenraucher in drei Studiengruppen eingeteilt. 289 erhielten alles Notwendige für das elektrische Dampfen nikotinhaltiger Substanzen, 73 Teilnehmern bekamen nikotinfreie E-Zigaretten, 295 wurden mit Nikotinpflastern ausgestattet. Das Experiment selbst lief über drei Monate, drei Monate lang konnten die Teilnehmer anschließend selbst über Konsum und Ersatzmittel entscheiden und nach sechs Monaten wurden sie nach den Erfolgen befragt.
7,3 Prozent der „Nikotin-Dampfer“ hatten sich nach einem halben Jahr das Rauchen ganz abgewöhnt, 5,8 Prozent der Pflaster-Nutzer ebenfalls, aber nur 4,1 Prozent der „Placebo“-Raucher konnten dasselbe von sich behaupten. Auch interessant: Die medizinische Untersuchung ergab, dass zumindest kurzfristig das Nikotin der elektronischen Zigaretten nicht schädlicher war als das der Pflaster. Betrachteten die Forscher dann das Verhalten der Rückfälligen, konnten sie feststellen, dass die nikotinhaltigen eZigaretten einen klaren Vorteil hatten: Durch sie wurde der Verbrauch von Nikotin insgesamt um ganze 57% reduziert, bei Pflastern nur um 41%. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass diese Reduzierung bei längere Nutzung noch weiter zunehmen würde. Und: Wer innerhalb der Studie für E-Zigaretten ausgewählt worden war (ob mit Nikotin oder ohne), blieb dieser Methode mit merklich höherer Wahrscheinlichkeit treu als dem Pflaster. Der innerhalb der Szene bekannte Entwöhnungsexperte Peter Hajek (Queen-Mary-Universitä, London) fasst als Ergebnis dieser „Pionierstudie“ zusammen, dass E-Zigaretten mindestens so wirksam seien wie Nikotinpflaster – zumindest bei minimaler sonstiger, also verhaltenstherapeutischer Unterstützung.
Es ist also entscheidend, sich das psychologische Potenzial der elektronischen Zigaretten mal näher anzuschauen. Dafür ist es wichtig, sich nach den eigenen Rauchmotivationen zu fragen. Für viele Menschen ist die Zigarette gleichbedeutend mit einer Pause im Alltag, ein paar ruhigen Momenten, in denen man „beiseite“ tritt
(im wahrsten Sinne) und jenseits der Hektik und beruflichen Anforderungen zu sich kommt. Der Gedanke daran, diese gesellschaftlich akzeptierten Auszeiten einzubüßen, stellt für viele Menschen eine Hürde auf dem Weg zur Rauchentwöhnung da. Mit der eZigarette fällt diese psychologische Barriere weg. Alle liebgewonnenen Rituale bleiben gleich, während man selbst langsam und im eigenen Tempo die Nikotinzufuhr drosseln kann. Der Psychologe sagt dazu, dass die E-Zigarette nicht zu einem Bruch mit den eigenen Verhaltensmustern führt. Das ist einerseits wie oben beschrieben hilfreich, kann andererseits aber auch dazu führen, dass der ultimative Sprung hin zum kompletten Aufhören nicht gemacht wird.
Andererseits ist medizinisch erwiesen, dass es bei der Gesundheitsgefährdung durch Nikotin entscheidend auf die Menge ankommt. Je mehr diese gedrosselt wird, desto leichter ist der Körper zur Regeneration in der Lage. Für Menschen, die sich gut genug kennen, um die Chancen einer sofortigen Entwöhnung „über Nacht“ als gegen Null tendierend einzustufen, kann eine schleichende Drosselung der Nikotinzufuhr bei gleichzeitiger radikaler Reduzierung der giftigen Verbrennungsprodukte wie Teer und Kondensate also einen sinnvollen Einstieg in eine Verbesserung der eigenen Gesundheit darstellen. Gleichzeitig tritt eine automatische Entwöhnung der Rezeptoren durch die Reduzierung des Nikotins ein.
Auch das oft genutzte Argument, durch die eZigarette nähme der Leidensdruck durch negative Reaktionen aus dem Umfeld (Partner, Familie und Freunde) ab, der eine komplette Entwöhnung oft erst möglich mache, erweist von Fall zu Fall als falsch. Viele Menschen entwickeln nämlich bereits früh in ihrer Biografie Trotzmuster, mit denen sie auf Kritik von außen durch eine verheimlichte Intensivierung des kritisierten Verhaltens reagieren. Sie fühlen sich also in ihrer Identität hinterfragt und verstärken sich selbst quasi durch eine verstärkte Praxis des hinterfragten Verhaltens. Bei der elektronischen Zigarette wird der Umweltdruck zunächst drastisch reduziert, so dass die Entwöhnungsentscheidung vom Raucher autonom und im eigenen Tempo realisiert werden kann. Für viele Menschen ist dies entscheidend für einen erfolgreichen Abschied von lange bestehenden Angewohnheiten.
Fazit
Das Fazit scheint also zu sein, dass die elektrische Zigarette eine Reihe von Eigenschaften hat, die zumindest psychologisch und eingeschränkt medizinisch eine Rauchentwöhnung anschieben und erleichtern kann. Gleichzeitig ist es unbestritten, dass es das eine Wundermittel gegen Nikotinsucht nicht gibt – genau wenig, wie sich die Psyche aller Menschen ähnelt. Für manche funktioniert Hypnose, für andere eiserne Disziplin, für Dritte ein behutsames, bewusstes Brechen mit eingefahrenen Mustern.
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