Michael Siegel oder: Wie man öffentliche gesponsorte Verschwörungstheorien auseinandernimmt

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Michael Siegel oder: Wie man öffentliche gesponsorte Verschwörungstheorien auseinandernimmt

Gesponsorte Verschwörungstheorien auseinandernehmen

Fortsetzung von: Vergleich des WHO-Berichts mit aktuellen, wissenschaftlichen Erkenntnissen
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Dieses Porträt ist Teil einer Serie, in der wir Dampfaktivisten und ihre Arbeit zur elektrischen Zigarette und Tabakentwöhnung vorstellen. Viele von ihnen kämpfen seit Jahren gegen rückständige nationale und supranationale Institutionen, um Rauchern den Weg zu einem gesünderen Leben zu ebnen.

Wir wollen damit nicht nur eine zusätzliche Plattform für akkumuliertes Wissen rund ums Dampfen, interessante Links und den aktuellsten Stand der Forschung schaffen. Wir wollen auch den Wissenschaftlern und Ärzten Respekt zollen, die konstant an allen bürokratischen Hürden und Regulierungsbestrebungen vorbei das Fundament für eine objektive Bewertung der E-Zigarette als erfolgreiches Nikotinentwöhnungsmittel schaffen.

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Dr. Michael Siegel ist Professor an der Fakultät für ‚Community Health Sciences‘ der Universität von Boston. Er forscht seit 25 Jahren im Bereich der Tabakkontrolle und Schadensbegrenzung, hat nicht zuletzt das legendäre, amerikanische ‚Engle‘-Gerichtsverfahren mit seinen Aussagen gewinnen geholfen, bei dem Tabakunternehmen auf 145 Milliarden US-Dollar Schadenersatz verklagt wurden. Siegel hat sich, wie so gut wie alle Spezialisten auf diesem Gebiet, mit viel Enthusiasmus der E-Zigarette zugewandt. Es fasziniert mich immer wieder, mit welcher Leidenschaft Wissenschaftler, die sich seit Jahrzehnten mit der Problematik der Tabakzigarettenabhängigkeit beschäftigen, von der der E-Zigarette als revolutionärem Entwöhnungsmittel überzeugt sind – und mit welcher breitflächigen Ignoranz das Gesundheitswesen und die Politik diese Tatsache übersehen.

Siegel betreibt einen sehr intelligenten Blog mit dem schönen Titel „The Rest of the Story„, in dem er aktuelle Studien, Medienberichte und Veröffentlichungen von Gesundheitsbehörden analysiert und falls nötig mit gegenläufigem Datenmaterial seziert. Wer als Journalist, E-Zigarettenhändler oder einfach nur interessierte Privatperson auf der Suche ist nach gut recherchiertem, abgewogenen und sachlichem Argumentationsmaterial für die Nützlichkeit von elektrischen Zigaretten, ist bei Siegels Blog immer gut bedient.

Siegel hat mich darüber hinaus vor kurzer Zeit mit einer anderen Idee beeindruckt: Er hat ein Crowd Funding Projekt ins Leben gerufen, mit dessen Hilfe die größte bis dato ausgeführte Studie zur Wirksamkeit von E-Zigaretten zur Rauchentwöhnung durchgeführt werden sollte. Leider hat er dieses Projekt kurz nach Anlaufen wieder abgebrochen, anscheinend aufgrund fehlenden auch finanziellen Zuspruches der E-Zigarettenindustrie, einer extremen, inhaltlichen Kontroverse, die hierdurch in der US-Vaping Community ausgelöst wurde – und, wie er schreibt, dem Druck eines großen eCigarette-Unternehmens, die Studie so auszulegen, dass die Ergebnisse notwendigerweise positiv sein müssten. Obwohl diese Aussagen hauptsächlich auf die amerikanische Vaping-Szene zutreffen, sieht man daran auch, dass selbst Dampfer untereinander völlig uneins sein können.

Mich haben in Siegels Blog im letzten Monat besonders die Artikel zum E-Zigarettengebrauch von Kindern und Jugendlichen interessiert. Von den vielen Aspekten des Dampfens ist dies der einzige, der mich mit potenzieller Sorge erfüllt: Dass E-Zigaretten aufgrund ihrer technischen Raffinesse und ihres stylishen Designs, ihrer relativen Unauffälligkeit (so bleibt kein Rauchgeruch an Kleidung und Textilien hängen, den Eltern wahrnehmen könnten und der Geruch vieler aromatisierter Liquids könnte problemlos auch von einem Raumduft oder Räucherstäbchen stammen), der durchlässigen Online-Verfügbarkeit und des Neuigkeitenfaktors für Jugendliche tatsächlich der Beginn einer Nikotinabhägigkeit sein könnten – denn egal, wie unschädlich reiner Nikotin sein sollte, er ist immer noch eine neurologisch wirksame Droge.

Nun fasst Siegel in zwei Beiträgen die neuesten diesbezüglichen Studien und Veröffentlichungen zusammen. Siegel bezieht sich dabei auf Zahlen, die dieses Jahr in Großbritannien erhoben und soeben veröffentlicht wurden. Dabei wurden 1000 Jugendliche im Alter zwischen 11 und 18 Jahren befragt. 91% von ihnen hatten noch nie eine eCigarette angefasst – und das, obwohl 80% elektrische Zigaretten und ihre Eingenschaften kannten (2013 waren es noch 70%). Nur 1,8% gaben an, E-Zigaretten regelmäßig oder sogar häufig zu benutzen; 90% hiervon waren Jugendliche, die gleichzeitig bereits Tabakzigaretten rauchen.

Das bedeutet, das 98% aller Jugendlichen, die nie Tabak geraucht haben, auch noch keine E-Zigaretten ausprobiert haben. Wie Siegel richtig argumentiert, ist es zwar ernüchternd, aber richtig, dass in Fällen, in denen Jugendliche sowieso schon rauchen, der Konsum von E-Zigaretten statt Tabakzigaretten relativ gesehen zu begrüßen ist – vor allem, da Jugendliche auf klassische Rauchentwöhnungsstrategien selten ansprechen. Es ist dieser nicht immer unkontroverse, aber nüchterne und bei aller Pro-Dampfattitüde sachliche Blickwinkel, der alle Artikel auf Siegels Blog durchzieht und den ich so schätze.

Weiterführende Links:
Tobacco Analysis
Zum Gebrauch von E-Zigaretten bei Kindern und Jugendlichen
Profile Michael Siegel
Twitter Michael Siegel

Weitere Themen
Teil I  Das sind die Fakten: Ein Vergleich des WHO-Berichts mit aktuellen, wissenschaftlichen Erkenntnissen
Gerry Stimson oder: Welches Problem haben die Gesundheitsbehörden mit E-Zigaretten?
Lynne Dawkins oder: Was einen wirklich erfolgreichen Umstieg auf E-Zigaretten ermöglicht
Karl Fagerström oder: Ein Forscherleben gegen Tabakkonsum
USA: FDA schlägt Regulierungen zur eZigarette vor
FDA: 270 Mio für die Erforschung von Nikotinkonsum
 Das ‘Global Forum on Nicotine’
Die WHO eZigaretten Politik
Wie die Dampfer-Community den WHO-eZigaretten Report demontiert hat
Studienvergleich beweist: E-Zigarette ist weniger schädlich als Tabakkonsum
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