Wissenschaftler fordern WHO zu gemäßigten e-Zigaretten Regeln
Wissenschaftlern erwarten von der WHO eine intelligente E-Zigaretten-Empfehlung
Naiv an die Sache herangegangen, sollte man folgendes denken: Die Weltgesundheitsorganisation ist dafür da, die Weltgesundheit zu fördern. Das verpflichtet sie dazu, sich im Bezug auf sämtliche Produkte (ob pharmakologisch oder technisch), die gesundheitsförderlich sind oder bessere Alternativen zu gesundheitsschädigenden Praktiken darstellen, bestenfalls positiv, zumindest aber neutral zu verhalten. Die notwendige Schlussfolgerung im Bezug auf elektrische Zigaretten wäre eine WHO-Anerkennung dieser Erfindung als möglicherweise förderlich zur Nikotinentwöhnung und in jedem Fall weniger schädlich als Tabakzigaretten.
Die damit einhergehenden Empfehlungen zur Regulierung der eCigarettes müsste natürlich immer mit Verweis auf die noch nicht vorliegenden Langzeitstudien einher gehen. Nichts desto trotz müsste die WHO die E-Zigaretten auf der Grundlage Tausender von Entwöhnungserfahrungen eine Rolle bei der Suchtbehandlung von Tabakrauchern einräumen.
Soweit die Utopie. Nun zur Realität.
Tatsächlich plant die WHO hinsichtlich ihrer Empfehlungspolitik elektrische Zigaretten mit regulären Tabakprodukten exakt gleichzustellen. Praktisch würde die Organisation diesen Vorsatz verwirklichen, indem sie elektrische Zigaretten in ihre Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle aufnimmt.
Diese mit FCTC abgekürzte Verordnung ist das erste international anerkannte Abkommen des Gesundheitswesens überhaupt – und hat weitreichende Wirkung. Die Weltgesundheitsversammlung hat die FCTC im Mai 2003 verabschiedet; sie trat im Februar 2005 in Kraft. Unterzeichnet wurde sie von insgesamt 178 Ländern, darunter der gesamten EU – die Vereinigten Staaten allerdings haben nicht unterschrieben. Einmal unterzeichnet, verpflichten sich die ratifizierenden Länder zur Umsetzung der darin enthaltenen Bestimmungen in die nationale Gesetzgebung und Exekutive.
Die WHO hat sich damit zum Ziel gesetzt, einen Rahmen für den globalen Umgang mit Tabakprodukten aller Art zu gestalten und so die Zahl der Neuraucher zu senken sowie die Nikotinentwöhnung zu unterstützen. Entsprechend unterscheidet der FCTC zwischen pro-aktiven Schritten zur Minimierung der Tabaknachfrage einerseits und einer Reduzierung der Verfügbarkeit von Tabakprodukten andererseits. Explizit und prominent festgeschrieben ist in dem Dokument dabei die Verpflichtung zur Unterstützung von Alternativen zum Tabakrauchen und Konsumieren.
Statt nun aber die E-Zigarette als Beispiel einer solchen Alternative zu listen und zu unterstützen, geht die WHO den entgegengesetzten Weg: Sie will die eCigarette offiziell als Tabakprodukt bewerten, dass genauso behandelt werden soll wie die Tabakzigarette selbst. Ersichtlich wird dies aus einem nicht veröffentlichten, aber der New York Times zugespielten Dokument. Es stammt aus dem November 2013 und sagt klar aus, dass die WHO E-Zigaretten als ‚Bedrohung‘ einstuft. Bei der Definition dieser Bedrohung wird allerdings ein neuer Weg bestritten: Es geht nicht mehr um Tabak, es geht um Nikotin. Darüber hinaus soll den E-Zigaretten besondere Aufmerksamkeit als Ursache einer möglichen „einer neuen Welle der Tabak-Epidemie“ geschenkt werden, wie es Dr. Haik Nikogosian von der WHO ausdrückt.
Auf ihrer Webseite veröffentlicht die WHO bereits jetzt eine Mixtur von schwammig formulierten Warnungen, die einer internationalen, der Informationsvermittlung verpflichteten Behörde schlicht nicht würdig sind. Zwar endet der dortige Text über E-Zigaretten mit einer einschränkenden Empfehlung, dass von ihnen ’nur‘ solange abzuraten sei, bis eine kompetente Behörde sie als sicher, effektiv und von akzeptabler Qualität eingestuft hat. Das ändert aber nichts an der offensichtlichen Vorurteilsbelastetheit der verantwortlichen Kommission.
Ob die E-Zigaretten unter die strengen Regulierungen fallen werden, die auch für Tabakprodukte festgeschrieben sind, wird zwar erst ein Treffen der zuständigen Kommissionsmitglieder im Oktober diesen Jahres in Moskau entscheiden. Sollte sich die Einstellung der Kommission aber durchsetzen, bedeutet dies eine Vielzahl von Einschränkungen. Unter anderem würde jede Form von Werbung extrem eingeschränkt werden müssen, das Rauchen in der Öffentlichkeit wäre nicht länger gestattet und alle E-Zigaretten müssten genauso besteuert werden wie Tabakzigaretten, was natürlich ihren Verkaufspreis in die Höhe treiben würde.
Nun sind gegen die offensichtlich paradoxe Regelung 53 Wissenschaftler aus zwölf Ländern in Europa, Nord-Amerika, Asien und Australien Sturm gelaufen (Schreiben an Dr. Chan). Sie haben einen Appell veröffentlicht, indem die WHO in Person ihrer Vorsitzenden, Dr. Margaret Chan, zu einer Mäßigung ihrer Einschätzung aufgerufen wird. Die Begründung der Forscher: Die elektrische Zigarette sei die „beste Erfindung im Gesundheitsbereich seit über dreißig Jahren“. Professor Gerry Stimson vom Imperial College in London, der den Appell ebenfalls unterschrieben hat, geht sogar noch weiter. Eine Behinderung der weiteren Etablierung von E-Zigaretten durch die WHO wäre eine Unterminierung einer der wichtigsten Gesundheitsinnovationen der letzten Jahrzehnte, die Millionen von Leben retten könnte, meint der Wissenschaftler.
Die WHO ist sich offensichtlich unsicher hinsichtlich der möglichen Langzeitfolgen der eCigarette. Das ist verständlich – noch gibt es schließlich keine verlässlichen Studien zum Konsum über einen Zeitraum von etwa mehreren Jahrzehnten. Grundsätzlich scheint sie außerdem in den elektrischen Zigaretten ein neues Life-Style-Produkt zu sehen, das den sich momentan aufgrund der strikten Tabakregulierungen abzeichnenden, abnehmenden Tabakkonsum wieder in die Höhe treiben könnte – eine neue Absatzmöglichkeit der Tabakkonzerne, die ihre konventionellen Produkte im Sterben begriffen sehen.
In Anbetracht der gegenwärtigen Entwicklungen hat die WHO nicht notwendigerweise unrecht. Die Tabakkonzerne sind tatsächlich verzweifelt, auch wenn dies an der Oberfläche noch nicht vollständig sichtbar ist. Und es sieht momentan ganz so aus, als würden die Monopolisten den E-Zigarettenmarkt übernehmen. Dann werden sie natürlich versuchen, die eCigarettes nicht nur als Nikotinersatz, sondern auch als neues Trendprodukt für bisherige Nichtraucher zu promoten. Das wäre nicht begrüßenswert – niemand sollte durch elektrische Zigaretten an Nikotin gewöhnt werden, schon gar nicht Kinder und Jugendliche.
Aber deshalb Millionen von Rauchern die Entwöhnung zu erschweren, ist ebenfalls keine Option. Auf die geleakten Dokumente angesprochen, sagte Armando Peruga, Programm-Manager der „Tobacco Free Initiative“ der WHO letzte Woche nur, die einzig machbare Aussage sei, dass die WHO tatsächlich an Regulierungen arbeitet, die bald zugänglich gemacht würden. Noch ist also Zeit, gegen diese Bemühungen Protest einzulegen.
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