Reon: wie Imperial Tobacco Verluste stoppen will

Reon: wie Imperial Tobacco Verluste stoppen will

Reon – Imperial Tabacco läutet neue Genussmittel-Ära ein

Nikotin dampfen, Koffein lutschen

Imperial Tabacco will seine offenkundigen Verluste auf dem Tabaksektor nun unter anderem mit sogenannten Energy-Produkten auffangen. Soeben hat der weltweit drittgrößte Zigarettenhersteller über seine Tochterfirma Fontem Ventures einen koffeinhaltigen Lutschstreifen namens „Reon“ auf den Markt gebracht, der einen sofortigen Energie-Kick verspricht.

Reon kommt in hosentaschen-freundlichen Heftchen mit acht Streifen pro Packung in die Läden, die jeweils 20 mg Koffein und weniger als eine Kalorie pro Stück enthalten. Sie kosten 2,50 Pfund pro Päckchen. Reon wird in den Geschmackssorten Grapefruit, Blaubeere und Zitrone angeboten. Fontem weist allerdings darauf hin, dass diese den bitteren Koffeingeschmack nicht vollständig und nur anfänglich maskieren können.

Stimulanzien werden unter einem eigens geschaffenen Unternehmensdach gebündelt

Die Imperial Tabacco-Tochter Fontem Ventures wurde geschaffen, um Innovationen und Beteiligungen rund um die Genussmittel-Industrie zu entwickeln. Bisher dreht sich das Portfolio um die Produktgruppen „Lifestyle Energy“ ( Zitat von der Webseite: „Unser Lifestyle Energy (LSE) Portfolio ist gemacht für alle, die kontinuierlich nach mehr streben und Lösungen zur Optimierung Ihres Lebensstils suchen. Unsere innovativen, ultra-tragbaren Produkte versorgen Sie mit smarter Energie für unterwegs und einem Kick ohne unerwünschte Kalorien“) und „Vaping“ (Zitat von der Webseite: Wir bei Fontem glauben, dass alle neuen Produktmärkte derselben Entwicklungsdynamik folgen: Erobern, formen und dann die Norm definieren. Wir gehören zu den Marktführern dieses Prozesses. Das bedeutet für uns, die Idee des Dampfens alltagstauglich zu machen.“) (Übersetzungen der Redaktion). Über Fontem werden auch die französischen und englischen E-Zigaretten „Jai“ und „Puritane“ beworben und vertrieben.

Laut Olga Rusnak, Category Development Director bei Fontem, war der Koffein-Streifen das beliebteste der bisher an Kunden getesteten Produkte. Vertrieben wird Reon bisher nur in Manchester (England) und per Onlineshop. Manchester ist als Testmarkt besonders attraktiv, weil dort nach London am meisten Energydrinks in ganz Großbritannien konsumiert werden und das Unternehmen dort bereits gute Vertriebspartner aufzuweisen hatte. Ob Reon anschließend landes- oder europaweit vertrieben wird, hängt vom dortigen Verkaufserfolg ab.

Auch Reon muss sich der Jugendschutzfrage stellen

Die Zielgruppe des neuen Produkts sind gemäß Marktforschung Berufstätige in der Altersklasse 25 bis 45. Allerdings bleibt Fontem auch wenig anderes übrig, als diese Zielgruppe anzugeben, da die 16- bis 25-Jährigen offensichtlich nicht als Lieblingskunden eines Zigarettenunternehmens genannt werden sollten, auch wenn sie statistisch die Hauptabnehmer von Energy-Softdrinks sind. Hinzu kommt, dass die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA 2013 energisch gegen den Konsum von Koffein-Kaugummis durch Jugendliche vorgegangen ist. Ein ähnliches Schicksal mit lokalen und supranationalen Behörden möchte Imperial Tabacco sich sicher ersparen.

Da Koffein keinen Abgaberestriktionen unterliegt, ist der Verkauf von Reon nicht reguliert, auch wenn das Unternehmen explizit vom Konsum durch Minderjährige abrät. Das Konkurrenzprodukt „Sheets“ hat bereits entsprechende Skeptiker auf den Plan gerufen, die auf eine Gefahr unabsichtlicher Überdosierungen und den unkontrollierbaren Mix-Effekt mit Alkohol hinweisen, der auch bei Energy-Drinks oft unterschätzt würde. Auch die Gefahr der Vergiftung wird diskutiert. Je nach Gewöhnungsgrad können bei Menschen bereits nach dem Konsum von 1 g Koffein Vergiftungserscheinungen auftreten. Das entspräche allerdings dem Konsum von 50 Streifen Reon, direkt hintereinander genossen.

Den Energiedrink-Konzernen droht nun die Konkurrenz der Tabakriesen

Abhalten wird dies Fontem nicht davon, sich falls möglich ein Stück aus dem Energy-Drink-Kuchen herauszuschneiden, der bereits heute 31 Milliarden Dollar ausmacht und bis 2019 auf mindestens 47 Milliarden Dollar anwachsen soll. Mit der Ausgliederung der Genussmittel Nikotin und Koffein und der an sie geknüpften Lifestyleprodukte an eine von den Makeln der Tabakindustrie unbeleckte Tochterfirma sucht Imperial Tabacco offensichtlich nach einem neuen Geschäftsmodell.

Hierbei ist sich das Unternehmen auch für eine Herangehensweise nicht zu schade, die für einen multinationalen Konzern dieser Größe ungewöhnlich ist: Auf ihrer Webseite Fontem unter dem Menupunkt „New Ventures“ Entrepreneure dazu auf, ihre innovativen Ideen zu teilen. Diese partielle Auslagerung der Entwicklungsarbeit steht in krassem Kontrastprogramm etwa zu den millionenschweren Inhouse-Investitionen von Philip Morris zur Erarbeitung neuer Produkte, aber im Einklang mit dem Erfahrungshorizont des Fotem-Vorstands, der sämtlich aus der Start-up oder Unternehmensberatungsbranche kommt.

Neue Gewänder für etablierte (militärische) Innovationen

Neu ist die Kombination von Kaugummi und Koffein sowie Dampfen und Koffein natürlich nicht. Online sind E-Shishas mit koffein- und taurinhaltigem Liquid zu bekommen, deren Genuss dem Konsum von 15 Energydrinks entsprechen soll und die durchschnittlich 0.3% Koffein/ ml enthalten (wir werden über diese Produkte und ihre Wirkung noch berichten). Ebenso bietet eine Reihe von Liquid-Herstellern koffeinhaltige Füllungen für reguläre elektrische Zigaretten an, deren Wirkung allerdings häufig als wenig zufriedenstellend und Kopfschmerzen verursachend rezensiert wird.

Koffein-Kaugummis sind ebenfalls keine neue Erfindung. Sie wurden bereits unter dem Namen
„Stay Alert Military Caffeine Energy Gum“ vom Walter Reed Army Institute of Research zusammen mit dem Kaugummihersteller Wrigley für das amerikanische Militär entwickelt und sind heute noch Bestandteil der „First Strike Rations“ der U.S. und anderer Armeen. Wie auch beim Reon-Streifen wird das Koffein dabei über die Mundschleimhäute aufgenommen und wirkt nach etwa fünf Minuten. In den USA warnt die FDA allerdings seit 2013 vor dem Konsum der Koffein-Kaugummis. In Konsequenz haben dort viele Hersteller, allen voran Wrigley selbst, ihre entsprechenden Produkte wieder vom Markt genommen.

Die verblüffenden Analogien von Koffein und Nikotin

Interessant ist, dass die Konzern-Neuorientierung zu einem Zeitpunkt kommt, in dem der Genuss von reinem Nikotin hinsichtlich der Risikofaktoren auch von Fachleuten immer häufiger auf eine Stufe mit Koffein gestellt wird. Zwar unterscheiden sich die beiden Stoffe hinsichtlich ihrer Wirkweise deutlich. Koffein blockt die Adenosin-Rezeptoren des Gehirns und wirkt somit passiv, während Nikotin aktiv mit den Acetylcholin-Rezeptoren interagiert. Analog verursacht Koffein eher einen Wachheitszustand, während Nikotin entspannt. Hiervon abgesehen, sind die pharmakologischen und psychologischen Eigenschaften dieser beiden psychotropen Substanzen faszinierend ähnlich.

Sowohl Nikotin als auch Koffein sind Substanzen natürlichen Ursprungs, die von Pflanzen als Insektizide zum Selbstschutz und zur Abwehr gegen Fressfeinde eingesetzt werden (und diese sowohl lähmen als auch töten können). In geringer Dosis wirken beiden auf das menschliche Gehirn als Stimulanzien: Sie beschleunigen den Herzschlag und andere Körperfunktionen, vermitteln ein vorübergehendes Gefühl von erhöhter Energie und Vitalität und verbessern temporär kognitive Funktionen.

Beide Substanzen können zur Gebrauchsgewöhnung führen. Werden sie unmittelbar abgesetzt, können, müssen sich aber nicht (je nach zuvor konsumierter Dosis) Entwöhnungssymptome einstellen, die in beiden Fällen nach spätestens zehn Tagen abklingen. Ab einer bestimmten Dosis können beide Substanzen zu ähnlichen, unerwünschten körperlichen Nebenwirkungen wie Herz-Kreislauf-Belastung führen. Bei Erstnutzern und nach langer Abstinenz berichten manche Konsumenten beider Stoffe über leichte Übelkeit und Magenreizungen, Benommenheit und Schwindel.

Sowohl Koffein als auch Nikotin hat sich in sehr hoher Dosierung bei Tierversuchen als tödlich herausgestellt. Der Konsum von Koffeinpulver hat auch bei Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits zum Tod durch Schock geführt; man geht von einer letalen Dose von etwa 10 g Koffein aus, was etwa 200 Tassen doppeltem Espresso entspricht. Umgekehrt ist sowohl ein Schock als auch eine langfristige Vergiftung bei moderatem Konsum von reinem Nikotin (unabhängig von anderen Tabakprodukten) und Koffein bisher nicht nachgewiesen worden. Beide Substanzen werden vom menschlichen Körper anscheinend rückstandslos verstoffwechselt, wenn sie in geringen Dose genossen werden – und stellen damit für einen ausgewachsenen Körper auch keine unmittelbare oder langfristige, tödliche Gefahr dar.

Imperial Tabacco zeigt mit dieser impliziten Gleichbehandlung der beiden Substanzen auch, wo seine Trendforscher die Zukunft sehen: In einem Markt, in dem der moderate Genuss von Koffein und Nikotin in einer Bandbreite von Darreichungsformen eine reine Genussfrage wird. Damit gibt der Tabakkonzern offiziell (wenn auch nicht explizit) zu, dass das Ende der Zigarettenmultis eingeläutet ist und von einer neuen Ära der „Genussmittel“-Innovationen abgelöst wird. Passenderweise findet der Konsument deshalb auf Reon’s Webseite auch unter den Unternehmensinfos keinerlei Hinweise darauf, dass der Hersteller Fontem eine 100%- Tochter von Imperial Tabacco ist.

Weiterführende Links
Fontem
Reon
Sheets
Wrigley stoppt Produktion von Koffeine Kaugummis

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