„Heat-not-Burn“ und Nikotinshots: Wie Big Tabacco Rauchstoppwilligen weiter Tabak verkauft
Teil 1: Philip Morris und seine Milliarden-Dollar-Entwicklungsmaschinerie
Wie Big Tabacco weiter Tabak verkauft
Was bedeuten E-Zigarette wirklich für die multinationalen Zigarettenhersteller? Solange diese Dampfgeräte und Liquids noch nicht selbst hergestellt hatten, zunächst mal unliebsame Konkurrenz. Seit alle Tabakkonzerne ihre eigene eCig-Marken entweder zugekauft oder entwickelt haben, liegt das Problem an anderer Stelle. Denn bis jetzt war das Kerngeschäft der Zigarettenproduzenten Tabak, ob fertig gerollt oder lose verkauft. E-Zigaretten funktionieren aber nicht mit Tabak, sondern mit Nikotin.
Das Ziel bleibt: Mehr Nikotin in die Lungen pumpen – egal, auf welchem Weg
Die Konzerne haben nun die Wahl. Entweder sie müssen versuchen, neben dem herkömmlichen Tabakgeschäft möglichst viel Nikotin als Inhaltsstoff von E-Liquids abzusetzen (neben der zusätzlich angebotenen Hardware zum Nassdampfen), um ihre zunehmenden Verluste im Kerngeschäft ‚Tabakzigarette“ zu kompensieren – und dies paradoxerweise an eine Zielgruppe, von der ein Großteil auf E-Zigaretten umsteigt, um den eigenen Nikotinverbrauch zu senken oder sogar ganz zu eliminieren. Oder sie suchen nach Wegen, für ihr herkömmliches Produkt, den Tabak, neue Konsumwege zu entwickeln, deren Gesundheitsrisiko nicht höher liegt als das der E-Zigarette.
Doch während es betriebswirtschaftlich betrachtet die logische Lösung für die Zigarettenkonzerne ist, in jeder E-Zigarette und jedem E-Liquid soviel Nikotin unterzubringen wie nur möglich – zum einen, um mehr davon umzusetzen, zum anderen, um die Konsumgewohnheit und damit Produkttreue der Verbraucher konstant zu halten – stoßen sie dabei an rechtliche Grenzen. Denn für die Zulassung jeder neuen Erfindung müssen sie nachweisen, dass diese nicht etwa Nichtraucher zum Dampfen anmimieren könnte, auch wenn dies realistisch betrachtet erstens unmöglich und zweitens unnötig ist.
2015 werden die Konzerne sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit ihren neuen Tabak-Technologien und aufgepimpten elektrischen Dampfgeräten liefern. Die Strategien, die Philip Morris, Altria, R.J. Reynolds und Lorillard entwickeln, um dabei die oben beschrieben Stolpersteine zu umgehen und weiterhin ihre Schäflein in Trockene zu bringen, sind faszinierend. Werfen wir doch mal einen Blick darauf.
Philip Morris: Milliardeninvestitionen für die Tabakzigarette 2.0
Philip Morris ist zwar als letzter Tabakgigant in den E-Zigarettenmarkt eingestiegen, investiert nun aber die meisten Gelder in Neuentwicklungen. In ihrem im schweizerischen Neuchatel gelegenen, 150 Millionen Dollar teuren Forschungszentrum wird fieberhaft an sämtlichen denkbaren Technologien geforscht, mit denen Nikotin ohne die Gesundheitsgefährdung des Tabakrauchens administriert werden könnte.
Die Vorgabe der Unternehmensleitung: Jede Methode muss weniger tödlich sein als Zigaretten, dabei aber einen vergleichbaren Nikotinhit und ein ebenso haptisches wie rituelles Vergnügen bieten. Für die Entwicklung dieses Wundermittels stehen den Forschern Dutzende von Hightech-Instrumenten zu Verfügung, nicht zuletzt Dampf- und Rauchautomaten, die mit angezündeten Zigaretten und elektrisch erhitzten Geräten menschlichen Konsum simulieren.
Extensive Simulationen zur Beschleunigung der Marktreife
Gleichzeitig führt PMI in-vitro Risikostudien an menschlichen Zellgeweben in Petri-Schalen durch, um die Wirkung der jeweils entstehenden Dämpfe auf den menschlichen Organismus zu testen. Verantwortlich für diese Testentwicklung und Durchführung ist der Systembiologe und Professor für Bioinformatik (Universität Basel) Manuel Peitsch. Peitsch verfügt über fünfzehn Jahre Erfahrung in der Pharmaindustrie, zuletzt als führender Wissenschaftler beim Pharmariesen Norvatis. Das hat den enormen Vorteil, dass er sich mit Genehmigungsverfahren und den Mentalitäten von Gesundheitsbehörden bestens auskennt.
Zweifelsohne versucht PMI hiermit den Regulierungsbehörden entgegenzukommen, in dem auch ohne Langzeitstudien am Menschen nachgewiesen werden soll, dass die entwickelten Prototypen keine Krebs- oder erhöhte Gesundheitsgefahr darstellen. Keinesfalls darf den Technologien, so sie denn nach wie vor Tabak statt reinem Nikotin verwenden, das gleiche katastrophale Schicksal drohen wie den in dieser Richtung vom Konkurrenten Reynolds entwickelten Alternativprodukten, von denen wir im zweiten Teil dieses Artikels berichten werden.
In den letzten drei Jahren hat PMI 650 Millionen Dollar in diese Forschungsvorhaben investiert; alleine 2014 lag das entsprechende Budget bei 200 Millionen Dollar. Falls irgend jemand noch ernsthafte Zweifel an der Panik hegt, die der Siegeszug der E-Zigarette in den machtsatten Korridoren der Tabakbranche entfacht hat, solle er oder sie sich diese Zahlen mal auf der Zunge zergehen lassen.
iQOS ist nur der Anfang gewesen
Über das erste marktreife PMI Produkt, den iQOS Tabakerhitzer, haben wir bereits berichtet (iQOS). Drei weitere Prototypen hat Philip Morris in der Pipeline; eines davon soll tatsächlich wie eine konventionelle Zigarette anzündbar sein. Ein weiteres ist an der Duke Universität entwickelt worden, unter anderem vom Nikotinpflaster-Mitentwickler Jed Rose. Es soll über eine chemische Reaktion funktionieren, die als Ergebnis Nikotin liefert – alles weitere bleibt streng geheim.
Sollte PMI mit seinen neuen Produkten mindestens 5% des gegenwärtigen Zigarettenmarktes von sechs Billiarden jährlich weltweit verkaufter Zigaretten abschöpfen, würde dies einen Umsatz von jährlich etwa einer Milliarde Dollar für das Unternehmen bedeuten. Sollten alternative Nikotingenussmittel schlussendlich steuer-freundlicher behandelt werden, könnte der Gewinn noch weit höher ausfallen.
Hat PMI sich in die Sackgasse hinein geforscht?
Warum aber, so fragt sich der zufriedene Dampfer, versucht PMI eigentlich mit derartigem finanziellen Aufwand das eCig-Rad neu zu erfinden? Darauf hat PMIs CEO André Calantzopoulos eine faszinierende Antwort, wie einem Interview mit dem amerikanischen Businessmagazin Forbes zu entnehmen ist, das letztes Jahr veröffentlicht wurde.
E-Zigaretten, so seine These, haben inhärente Produktprobleme (in seinen genauen Worten: “In any marketing definition, you’d say, ‘I have a product problem’). Zwar befriedigen sie seiner Meinung nach das orale Bedürfnis und die Nikotinabhängigkeit von Rauchern. Sie werden auch auf ebenso ritualhafte Weise genossen. Aber sie können niemals den gleichen Nikotinkick, den satten Tabakgeschmack und den exakt gleichen Rauch wie Zigaretten emulieren, behauptet Calantzopoulos – und setzt damit etwas als Problem voraus, dass die meisten Dampfer nach der ersten Umstiegsphase meist gar nicht mehr als solches wahrnehmen.
Tatsache ist auch, dass Calantzopoulos diese seine Strategie begründenden Marktbeobachtungen zu einem frühen Zeitpunkt im Jahr 2013 gemacht hat, als es die heute weit verbreiteten E-Zigaretten der zweiten und dritten Generation noch nicht auf dem Markt waren. Doch PMIs CEO scheint diese Tatsachen zu ignorieren – und weiter auf seinem selbst benannten „Heat-not-burn“-Weg voran zu preschen.
Warum sonst hätte die Firma 2014 knapp 680 Millionen Dollar in eine Produktionsstätte in Norditalien investiert, die mehrere zehn Milliarden der Tabakcontainer produzieren kann, die das neue Tabakerhitzungsprodukt des Unternehmens benötigt? Calantzopoulos gibt dabei offen zu, dass das Equipment zur Produktion dieser Nikotinabgabegeräte das Doppelte der Herstellung konventioneller Tabakzigaretten kostet.
Ob PMI langfristig den Markenwert seiner Zigarettenmarke Marlboro für die Vermarktung von tabakbefüllten Erhitzungsgeräten (oder anderen Zigarettenalternativen) nutzen wird, steht laut Calantzopoulos ebenfalls in den Sternen. Momentan werden wohl beide Marketinglinien entwickelt – eine unter dem Header „Marlboro“, um treuen Fans und Aromaskeptikern den Umstieg schmackhaft zu machen, eine unter unbelasteten Markennamen, frei von der Assoziation mit dem tödlichen Gift verbrannten Tabaks.
Weiterführende Links
Duke Center for Smokking Cessation
Forbes Interview mit PMIs CEO André Calantzopoulos
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