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Deutschlands alte Atomkraftwerke: Zwischen Rückbau, Stromdrehscheibe und Speicherlabor

Deutschlands alte Atomkraftwerke: Zwischen Rückbau, Stromdrehscheibe und Speicherlabor

Zwei Jahre nach dem Atomausstieg verwandeln sich die Reaktorgelände in stille Baustellen der Energiewende. Aus den Symbolen der Atomära werden Knotenpunkte für Netze, Speicher und Zwischenlager – doch der Rückbau bleibt ein Jahrhundertprojekt.

Als am 15. April 2023 die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz gingen, war das Ende einer Ära besiegelt. Was blieb, sind gigantische Betonlandschaften, Reaktorkuppeln, Kühltürme – und die Frage: Was fängt ein Land an mit den Relikten seiner atomaren Vergangenheit?

Heute, zwei Jahre später, zeigt sich ein erstaunliches Bild. Überall dort, wo früher Spaltprodukte Energie lieferten, entstehen neue Knotenpunkte der Stromzukunft. Der Atomausstieg hat nicht nur ein Kapitel beendet – er hat viele Baustellen eröffnet.

Vom Reaktor zum Konverter: Philippsburg als Symbol der Wende

In Philippsburg bei Karlsruhe, wo einst zwei Reaktoren Strom für Millionen Haushalte erzeugten, brummen nun Transformatoren. Auf dem Gelände steht seit 2024 der HGÜ-Konverter der Stromtrasse Ultranet, einer der wichtigsten Nord-Süd-Korridore für Windstrom.
Wo früher Uranstäbe glühten, wird heute Gleichstrom in Wechselstrom verwandelt – der süddeutsche Stromhunger trifft auf den Windüberschuss des Nordens. Ein 400-Megawatt-Großspeicher ist bereits in Planung. Philippsburg gilt damit als Musterfall für die Nachnutzung atomarer Flächen.

Sprengung der Vergangenheit: Gundremmingen ohne Kühltürme

Am 25. Oktober 2025 fiel in Gundremmingen ein ikonisches Stück Industriegeschichte: Die beiden 160 Meter hohen Kühltürme wurden gesprengt. Übrig bleibt eine weite Fläche, auf der bald ein Großspeicher entstehen soll – das Pendant zur verschwundenen Reaktorkapazität.

Der Rückbau des bayerischen Doppelblocks ist eines der größten Abrissprojekte Europas. Bis 2040 rechnet Betreiber RWE mit der vollständigen „grünen Wiese“. Doch selbst dann wird auf dem Gelände weiter gearbeitet: An neuen Speichertechnologien, an Netzanbindungen, an der Energieversorgung der Zukunft.

Rückbau in Etappen – von Brokdorf bis Isar

Im schleswig-holsteinischen Brokdorf türmen sich Schuttberge, während Greifarme radioaktive Leitungen aus dem Reaktorkern bergen. In Isar 2 bei Landshut soll bis 2026 ein Batteriespeicher ans Netz gehen, während die Reaktorgebäude noch dekontaminiert werden.
Grafenrheinfeld in Unterfranken wiederum wird zum Standort einer Konverterstation für SuedLink – das Herzstück der neuen Stromautobahn von Schleswig-Holstein nach Bayern.

Die Muster ähneln sich: Aus Atomkraftwerken werden Energiehubs. Rückbau, Lagerung, Netztechnik und Forschung liegen oft Tür an Tür.

Die Schattenseite: Abfälle, Genehmigungen, Jahrzehnte

Doch so eindrucksvoll die Transformation wirkt, sie verdeckt ein ungelöstes Problem: Wohin mit dem radioaktiven Erbe?
Das Endlager für hochradioaktive Abfälle wird frühestens nach 2050 gefunden, die Standortentscheidung erst nach 2046. Bis dahin müssen die Brennelemente in provisorischen Zwischenlagern bleiben – teils auf denselben Flächen, die zugleich für Neubauprojekte genutzt werden.

Auch die Rückbauarbeiten selbst sind langwierig. Sicherheitsfreigaben, Strahlungsmessungen, Verpackung und Transport benötigen Jahre. Schon kleinere Verzögerungen bei Entsorgungswegen können ganze Projektpläne ausbremsen.

Ein Jahrhundertprojekt der Energiewende

Was aus der Ferne wie „Abriss“ wirkt, ist in Wahrheit ein Prozess von Generationen. Deutschland hat sich vorgenommen, alle Reaktoren vollständig zurückzubauen – bis auf die Fundamente. Erst wenn die Strahlenschutzbehörden die Freigabe erteilen, wird aus der „grauen Wiese“ eine „grüne“.

Dort, wo früher kerntechnische Aufsicht herrschte, entstehen Gewerbeflächen, Netzstationen und Speicherzentren. Einige Standorte könnten sogar zu Forschungsarealen für Energiesysteme werden – eine Art Rückbau-Inkubator.

Fazit: Vom Risiko zur Ressource

Der Atomausstieg ist kein Stillstand, sondern eine gewaltige Umgestaltung. Die alten Meiler werden zu Bausteinen der neuen Energiewelt – auch wenn die Strahlenschutz-Schilder noch lange bleiben.
Was einmal Symbol für Macht und Risiko war, wird langsam zur Infrastruktur für Sicherheit und Versorgung.

Der Rückbau wird noch Jahrzehnte dauern, die Endlagerung noch länger. Doch eines hat Deutschland mit seinem Atomausstieg erreicht: Die Transformation der Vergangenheit in Zukunft – Stein für Stein, Beton für Beton.