,

Chinas Ent-Amerikanisierung: Der stille Umbau einer Weltmacht

Chinas Ent-Amerikanisierung: Der stille Umbau einer Weltmacht

Der Wandel der Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und den USA

Die lange Zeit enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Vereinigten Staaten und China, einst als „Chimerica“ bezeichnet, befindet sich im Umbruch. Jahrzehntelang bildeten die USA als größter Schuldnerstaat ein Gegenstück zu Chinas Exportüberschüssen, die in amerikanischen Staatsanleihen angelegt wurden. Dieses symbiotische Verhältnis war ein tragender Pfeiler des globalen Wirtschaftssystems im neoliberalen Zeitalter. Doch dieser Zustand nähert sich seinem Ende: Die USA versuchen mit wachsendem Nachdruck, Chinas Aufstieg zur führenden Weltmacht zu verhindern – mit protektionistischen Maßnahmen und technologischem Druck.

Handelskrieg und technologische Konfrontation

Die aktuelle US-Politik unter Donald Trump II stellt eine Verschärfung der Handelsstrategie seiner Vorgänger dar. Schon Barack Obama initiierte eine geopolitische Neuausrichtung hin zu Asien, Donald Trump setzte massive Strafzölle ein, und Joe Biden intensivierte die Technologiebeschränkungen – stets mit dem Ziel, China zu isolieren. Trotz dieses wachsenden Drucks reagiert Peking gelassen und entschlossen.

Der chinesische Ökonom Wang Wen, Dekan des Chongyang Institute for Financial Studies, beschreibt in einer umfassenden Analyse Chinas Strategie der „Ent-Amerikanisierung“. Diese sei keine Reaktion auf Washingtons Politik, sondern ein proaktiver Transformationsprozess, der Chinas wirtschaftliche, technologische und ideologische Unabhängigkeit zum Ziel habe.

Neue Handelswege und technologische Eigenständigkeit

Im Außenhandel hat China seine Abhängigkeit von den USA drastisch reduziert. Während 2018 noch 19,3 Prozent des chinesischen Außenhandels mit den USA abgewickelt wurden, lag dieser Anteil 2025 bei nur noch 9,2 Prozent – trotz eines Gesamtwachstums des Handelsvolumens um 45 Prozent. Stattdessen intensiviert China den Austausch mit Ländern in Asien, Europa und dem Globalen Süden. Brasilien hat beispielsweise die USA als Hauptlieferant für Sojabohnen abgelöst.

Im Bereich Wissenschaft und Technologie zeigt sich eine noch deutlichere Entkopplung. Die amerikanischen Sanktionen und Exportverbote führten nicht zu einer Schwächung, sondern vielmehr zu einem Innovationsschub in China. Über 1.700 chinesische Unternehmen stehen mittlerweile auf US-Sanktionslisten – doch statt sich zurückzuziehen, hat China seine eigenen Technologien entwickelt. Das Land hält 42 Prozent der globalen 5G-Patente und dominiert mittlerweile auch bei Patenten für generative Künstliche Intelligenz.

Ein technologischer Meilenstein ist die Entwicklung des Kirin-9000S-Chips durch Huawei, der ohne westliche Hochtechnologie auskommt. Weitere Erfolge sind das Beidou-Satellitensystem, die Tiefsee-Mission „Fendouzhe“ sowie die Mondsonde „Chang’e 6“.

Finanzielle Unabhängigkeit und strategische Währungsdiversifikation

Ein weiterer zentraler Pfeiler der Strategie betrifft das Finanzsystem. Peking verfolgt das Ziel, die Vormachtstellung des US-Dollars zu relativieren, ohne ihn vollständig zu verdrängen. Mit einem eigenen Zahlungssystem als Alternative zu Swift, Transaktionen in Renminbi (RMB) und Abkommen mit über 40 Ländern zur Abwicklung in lokaler Währung entsteht ein diversifiziertes, krisensicheres Finanznetzwerk. So erfolgt der Handel zwischen China und Russland zu über 95 Prozent in nationalen Währungen.

Diese Entwicklung ist eine direkte Reaktion auf die politische Instrumentalisierung des Dollars durch Washington, das den Greenback zunehmend als außenpolitisches Druckmittel nutzt – etwa durch Sanktionen und das Einfrieren von Auslandsguthaben.

Eigenes Entwicklungsmodell und globaler Gestaltungsanspruch

Auch ideologisch positioniert sich China neu. Der Glaube an die Überlegenheit westlicher Demokratien verliert aus chinesischer Sicht an Glaubwürdigkeit. Während die USA unter sozialen Herausforderungen leiden, konnte China über 100 Millionen Menschen aus extremer Armut befreien. Das Land strebt eine multipolare Weltordnung an, in der nicht-westliche Modelle gleichberechtigt bestehen.

Initiativen wie die BRICS-Erweiterung, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und die Neue Seidenstraße sind Ausdruck dieser neuen Selbstpositionierung. China will nicht gegen, sondern parallel zu den USA globale Strukturen gestalten.

Bildungspolitik im Wandel: Talente im eigenen Land halten

Auch im Bildungssektor geht China neue Wege. Früher stark US-orientiert, richtet das Land sein Hochschulsystem zunehmend nach eigenen Maßstäben aus. Die Zahl chinesischer Studierender in den USA hat sich halbiert, während China selbst über 500.000 ausländische Studierende beherbergt. Das Ziel: Know-how im Land halten und die technologische Innovationskraft stärken.

Fazit: Chinas neue Weltordnung

Die Ent-Amerikanisierung Chinas ist kein radikaler Bruch, sondern eine systematische Reorientierung. Ziel ist eine strategische Autonomie, nicht die Konfrontation. China strebt eine „Reglobalisierung“ an – eine vielfältige, ausgewogene und multipolare Weltordnung, die weniger von westlichen Normen geprägt ist, sondern auf neuen Partnerschaften beruht.