Echtzeit statt Stromstaus – Energiewende-Vorbild Kalifornien: Echtzeit-Strom spart Milliarden

Echtzeit statt Stromstaus – Energiewende-Vorbild Kalifornien: Echtzeit-Strom spart Milliarden

Kalifornien zeigt, wie ein modernes Energiesystem funktioniert – Deutschland bleibt im fossilen Takt stecken

Die Zukunft im Energiezeitalter

Wenn man aus dem Konferenzraum des California Independent System Operator (CAISO) auf das staubige Sacramento Valley blickt, wirkt es wie ein Ort aus der Zukunft. In Wahrheit ist es die Gegenwart – nur woanders. Auf einem Dutzend Bildschirmen beobachten Ingenieurinnen das Stromnetz eines Bundesstaates, der mehr Einwohner als Polen hat – und dessen Stromsystem schneller, flexibler und günstiger funktioniert als fast überall sonst auf der Welt.

Planung in Millisekunden

Was Kalifornien anders macht, ist radikal einfach: Es plant nicht Jahre im Voraus, sondern stundenaktuell. Wenn die Sonne scheint, fließt Strom von Solarparks über das Hochspannungsnetz. Wenn die Nachfrage abends steigt, springen Batterien an oder flexible Verbraucher. Das kalifornische Stromsystem kennt seine Engpässe – und handelt entsprechend. In Echtzeit.

In Deutschland läuft es anders. Dort werden Strommengen und Netzkapazitäten separat geplant, als wären sie nicht voneinander abhängig. Wenn Windparks in Niedersachsen liefern, aber Leitungen fehlen, müssen im Süden Kraftwerke angeworfen werden. Das ist teuer. Allein 2023 kosteten diese sogenannten Redispatch-Maßnahmen über drei Milliarden Euro, wie die Bundesnetzagentur berichtet. Ein Großteil davon wäre vermeidbar – wenn man so arbeiten würde wie in Kalifornien.

Milliarden sparen, wenn man es nur wollte

Dass Deutschland hier Milliarden verschenkt, ist nicht nur die Meinung von Aktivisten. Es sind erfahrene Stimmen wie Angelina Galiteva, frühere Beraterin von Kaliforniens Gouverneur, Eicke Weber, Ex-Direktor des Fraunhofer ISE, und Klaus Mindrup, Energiepolitiker der SPD. In einem gemeinsamen Beitrag fordern sie: Deutschland muss endlich Echtzeithandel einführen – wie Kalifornien. Zwei bis vier Milliarden Euro Einsparung pro Jahr seien realistisch.

Doch das würde bedeuten, alte Strukturen infrage zu stellen. Und darin ist Deutschland bekanntermaßen langsam.

Der Glaube ans Statische

Noch immer dominiert hierzulande der Glaube, dass sich Netzengpässe jahrelang im Voraus planen lassen – mit Excel-Tabellen und Investitionszyklen, die sich an fossile Kraftwerke erinnern. Doch in einem Stromsystem, das von Wetter und dezentraler Erzeugung geprägt ist, ändern sich Engpässe täglich, ja stündlich.

In Kalifornien hingegen ist Flexibilität systemimmanent. Speicher, Wärmepumpen, bidirektionales Laden – alles kann sich innerhalb von Sekundenbruchteilen anpassen. Und es wird belohnt.

Was Kalifornien erlaubt, ist in Europa verboten

Besonders irritierend ist ein Umstand, der in Fachkreisen seit Jahren für Kopfschütteln sorgt: In Deutschland dürfen Netzbetreiber keine Batteriespeicher betreiben. Begründung: Der Strommarkt müsse diskriminierungsfrei bleiben. In Kalifornien dürfen sie – unter der Auflage, dass sie damit Systemkosten senken. Klingt vernünftig. Ist es auch.

Was Kalifornien heute macht, könnte morgen auch in Deutschland gelten. Doch dafür braucht es politische Entschlossenheit – und ein Ende der Scheu vor neuen Technologien.

Der ländliche Raum als Profiteur

Lange war die Energiewende eine Sache für Ingenieure und Klimabewegte. Doch inzwischen zeichnet sich ein neues Narrativ ab: Der ländliche Raum als Gewinner. Denn wo Wind und Sonne im Überfluss vorhanden sind, da entstehen neue Chancen: für günstige Energie, lokale Wertschöpfung, Arbeitsplätze. Doch nur, wenn die Regionen an der Wertschöpfung beteiligt werden – und nicht nur die Leitungen durch ihre Felder führen.

Planung nach Kosten, nicht nach Lobby

Kalifornien hat ein einfaches Prinzip: „Least Cost Planning“. Es wird umgesetzt, was gesamtgesellschaftlich am günstigsten ist – ob Batterie, Netz oder Wasserstoffspeicher. Nicht, was den größten Gewinn für Einzelne bringt. In Deutschland dagegen entscheidet oft der stärkste Lobbyist.

Diese Denkweise hat Kalifornien in den letzten Jahren zum Vorreiter gemacht – nicht nur ökologisch, sondern ökonomisch. Der Bundesstaat zeigt, wie ein flexibles Energiesystem funktioniert. Und warum es besser ist, ein intelligentes Netz zu haben als teure Notfallmaßnahmen.

Strom als Friedensfrage

Am Ende geht es nicht nur ums Geld. Es geht um Sicherheit. Unabhängigkeit. Frieden. Ein Energiesystem, das auf Erneuerbaren basiert, braucht keine fossilen Rohstoffe. Keine Importe aus Autokratien. Keine Kriege um Öl. In einer Welt, in der Energie zunehmend zur Waffe wird, könnte 100 Prozent Erneuerbare die friedlichste Antwort sein, die man geben kann.

Fazit: Die Zukunft findet statt – nur nicht in Deutschland

Während Kalifornien seinen Strommarkt digitalisiert, flexibilisiert und demokratisiert, steckt Deutschland im fossilen Denken der 1990er-Jahre. Wenn die Politik nicht bald den Schalter umlegt, verliert das Land nicht nur Geld – sondern auch seine Chance auf eine moderne, resiliente Energiezukunft.