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Zähler ohne Anschluss

Zähler ohne Anschluss

Wie Deutschlands Energiepolitik ins Stocken geraten ist – und wie sie wieder in Bewegung kommen könnte

Wirtschaft & Gesellschaft

Wenn man in diesen Tagen durch Deutschland fährt, sieht man sie überall: Solaranlagen auf Neubauten, Batteriespeicher in Kellern, E-Autos an der Ladesäule. Die Energiewende ist sichtbar geworden, sie hat ein Gesicht, sie ist vielerorts angekommen – zumindest auf den Dächern. Doch was dort glänzt, ist nur ein Teil der Wahrheit.

Denn unter der Oberfläche zeigt sich: Das System, das diesen Strom aufnehmen, verteilen und im besten Fall intelligent steuern soll, ist überfordert. Das Netz hinkt hinterher, der Strompreis explodiert, und was auf den Börsen zuweilen negativ bewertet wird – Strom, den niemand will – kommt bei Verbrauchern teuer an.

Nun will Katherina Reiche, seit Mai Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, gegensteuern. Ihre Antrittsrede war eine Mischung aus Mahnung und Mission: Versorgungssicherheit, bezahlbare Preise, flexible Netze – das sind ihre Ziele. Und doch: Die eigentlichen Fragen bleiben. Wie schnell kann sich ein System ändern, das zu lange von Bürokratie und Bremsen bestimmt war? Und was kann die Politik tun, damit nicht nur Energie erzeugt, sondern auch nutzbar gemacht wird?


Der Strom ist da – nur nicht zur richtigen Zeit

Reiches Realitätscheck beginnt zur richtigen Zeit. Im Mai kamen mehr als zwei Drittel des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen, ein Rekord. Und doch hatte dieser Rekord einen Preis: In über 100 Stunden war der Strompreis an der Börse negativ. Das bedeutet: Strom war im Überfluss da, aber niemand wollte ihn haben.

Währenddessen zahlten Haushalte mehr als 35 Cent pro Kilowattstunde – ein Paradoxon, das selbst die Verfechter der freien Märkte nachdenklich macht. Denn was nützt das billigste Angebot, wenn es am Endgerät nicht ankommt?


Die Infrastruktur ist das Nadelöhr

Ein Problem dabei: Der Smart-Meter-Rollout kommt kaum vom Fleck. Die intelligenten Zähler, die Verbrauch und Preis in Echtzeit zusammenbringen, sind bisher nur in zwei Prozent der Haushalte verbaut. Und wer keinen Smart Meter hat, kann keine dynamischen Tarife nutzen – also keinen günstigen Strom in den Stunden, in denen er besonders billig wäre.

Die Ursache liegt nicht allein in der Technik. Sie liegt auch im deutschen Hang zur Sicherheitsmaximierung: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik verlangt höchste Standards – mit dem Ergebnis, dass der Markt ausgebremst ist. Kaum Geräte sind zugelassen, kaum Installateure geschult, kaum Prozesse vereinheitlicht. Der digitale Zähler ist zur deutschen Bürokratie-Metapher geworden.


Speicher? Ja, aber nur mit Eigeninitiative

Auch Batteriespeicher gelten als Schlüssel zur Energiewende. Doch während Solaranlagen lange gefördert wurden, fehlt für Speicher ein vergleichbares Bundesprogramm. Wer heute einen Stromspeicher installieren will, ist auf Landesprogramme oder Eigenfinanzierung angewiesen. Bayern fördert – andere Länder nicht. Der Bund schaut zu.

Dabei könnten Speicher genau das Problem lösen, das die Ministerin beschreibt: Sie könnten Strom dann nutzbar machen, wenn er gebraucht wird – statt ihn verschenken oder abregeln zu müssen. Und sie könnten dabei helfen, Netze zu entlasten, Lastspitzen zu vermeiden und Verbraucher zu entlasten.


Strompreise senken? Nicht ohne Strukturreform

Reiche will die Strompreise stabilisieren und senken. Der Koalitionsvertrag nennt einen Industriestrompreis, Gaspartnerschaften, neue Gaskraftwerke. Doch für Privathaushalte bleibt die Entlastung bisher diffus. Dabei wäre ein erster Schritt einfach: Die Stromsteuer – eine der höchsten in Europa – könnte gesenkt oder für Eigenverbrauch gestrichen werden. Auch Netzentgelte ließen sich sozial und ökologisch intelligenter gestalten: Wer netzdienlich verbraucht, könnte weniger zahlen. Wer zur falschen Zeit viel zieht, mehr.


Was jetzt geschehen muss

Wenn Ministerin Reiche es ernst meint mit ihrem Realitätscheck, dann muss er drei Dinge umfassen:

  1. Markt öffnen: Dynamische Tarife für alle – nicht nur für Haushalte mit Hightech-Zähler.
  2. System vereinfachen: Smart Meter standardisieren, Installationen beschleunigen, Schnittstellen harmonisieren.
  3. Bürger entlasten: Speicher fördern, Stromsteuer reformieren, Mieterstrom erleichtern.

Denn die Energiewende ist längst keine technische Herausforderung mehr – sondern eine politische. Und eine soziale.


Fazit: Die zweite Hälfte der Energiewende beginnt jetzt

Die erste Phase der Energiewende war eine Erfolgsgeschichte: Windräder drehen sich, Solaranlagen speisen ein, neue Technologien sind marktreif. Die zweite Phase aber wird schwieriger. Sie beginnt dort, wo Strom zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, zu einem vernünftigen Preis verfügbar sein muss.

Katherina Reiche hat das erkannt. Die Frage ist, ob die politischen Strukturen, in die sie eingetreten ist, bereit sind, daraus Konsequenzen zu ziehen. Denn der Wohlstand, den sie zu sichern verspricht, wird nicht durch Absichtserklärungen bewahrt – sondern durch mutige, konkrete Entscheidungen.