Sila Atlantik: Grünstrom aus Marokko für Deutschland – Desertec 2.0?
Eine Vision wie aus den Nullerjahren – aber mit ganz anderen Chancen: Hinter dem Projekt Sila Atlantik steht der Plan, in Marokko Wind- und Solarparks samt Batteriespeichern zu errichten und den Strom über ein Seekabel direkt nach Deutschland zu leiten. Ein Déjà-vu? Ja, Erinnerungen an das gescheiterte „Desertec“-Projekt werden wach. Doch diesmal stehen die Vorzeichen besser.
Strom fast rund um die Uhr
In Marokko ergänzen sich Sonne und Wind ideal: tagsüber Photovoltaik, nachts kräftige Atlantikwinde. Kombiniert mit großen Batteriespeichern ergibt das rund 7.000 Vollbenutzungsstunden im Jahr – fast Grundlast-Niveau. Zum Vergleich:
- Deutsche Photovoltaikanlagen schaffen etwa 1.000 Stunden
- Windräder an Land etwa 3.000 Stunden
Deutschland kämpft mit Lücken in der Versorgung. Das Projekt könnte helfen, diese verlässlich zu schließen.
So soll das Kabel verlaufen
Geplant ist ein Hochspannungs-Gleichstrom-Seekabel (HVDC), das sich von Marokko entlang der portugiesischen, spanischen und französischen Atlantikküste nach Deutschland zieht. Dort soll es ins Netz einspeisen – an einem Knotenpunkt im Nordwesten, etwa in der Region Emden. Die Transportkapazität: Strom für Millionen Haushalte, insgesamt über 20 Terawattstunden pro Jahr.
Unterschied zu Desertec
Damals setzte Desertec auf teure Solarthermie (CSP) und scheiterte an Kosten, Politik und fehlendem Markt. Heute setzt Sila Atlantik auf Photovoltaik, Windkraft und Speicher – alles Technologien, deren Kosten in den letzten 15 Jahren dramatisch gefallen sind.
Außerdem hat sich die Lage in Deutschland verändert: Atom- und Kohlekraftwerke sind vom Netz, neue Gaskraftwerke lassen auf sich warten. Verlässliche Grünstrom-Importe sind also politisch hoch willkommen.
Wer steckt dahinter?
Initiiert wird das Projekt von einem Konsortium rund um Xlinks (bekannt vom UK-Projekt) und Partnern wie con|energy. Deutsche Energieversorger wie E.ON und Uniper haben bereits Interesse signalisiert. Die Investitionskosten: mehrere Dutzend Milliarden Euro.
Kritik und offene Fragen
- Keine Abzweige: Warum Portugal, Spanien oder Frankreich nicht direkt angeschlossen werden sollen, bleibt offen.
- Geopolitik: Kann man sich dauerhaft auf Marokko als Partner verlassen?
- Systemintegration: Auch mit 7.000 Stunden bleibt ein Restbedarf an Reservekraftwerken und Speichern.
- Genehmigungen: Mehrere Anrainerstaaten müssen Seekabeltrassen absegnen – noch ist nichts final beschlossen.
Fazit
„Sila Atlantik“ ist kein Hirngespinst, sondern eine ernsthafte Antwort auf Deutschlands Energieproblem: verlässlicher Grünstrom in großem Maßstab. Anders als Desertec hat das Projekt heute Rückenwind – technologisch, politisch und ökonomisch. Doch ob die Vision tatsächlich Realität wird, hängt von Milliardeninvestitionen, europäischer Kooperation und geopolitischer Stabilität ab.