Wann kommen die Schockbilder auf die Kaffeeverpackung?
Wieso eine Ausdehnung des EU-Regulierungswahns auf Koffein nur logisch wäre:
Ein Vergleich zweier Nervengifte: Die Akzeptanz oder das Verbot von Suchtmitteln wird in den seltensten Fällen von deren messbaren Negativeffekten auf den menschlichen Organismus und seine Psyche bestimmt. Stattdessen definieren zwei miteinander verzahnte Faktoren, ob ein (Nerven-)gift reguliert wird und in welchem Umfang: soziale Akzeptanz und wirtschaftliches Abwägen. Bis vor nicht all zu langer Zeit waren Alkohol, Nikotin und Koffein gesellschaftlich gleichwertig akzeptierte „Genussmittel“, mit denen Wirtschaft und Staat zudem Milliarden verdienen konnten. Inzwischen gibt es deutlich gegenläufige Tendenzen. Das hat verschiedenste Gründe, nicht zuletzt den, dass ein überalternder Staat sein Gesundheitssystem neu überdenken und Prävention als Teil seiner Sparmaßnahmen zu berücksichtigen hat. Interessant ist nun, welche Scheren plötzlich zwischen drei Substanzen klaffen, die noch vor etwa fünfzehn bis zwanzig Jahren ungefähr gleich bewertet wurden (solange sie nicht in ein offensichtliches Suchtverhalten abglitten, das sozial nie integrierbar ist).
Vor kurzem hat das EU-Parlament die TPD2 beschlossen. Diese neue Formulierung der Tabakrichtlinie als verwirrend zu bezeichnen, wäre ein Kompliment. Wirklich faszinierend daran ist aber die willkürliche Regulierung der Abgabe und Verwendungsmöglichkeiten eines toxischen Stoffes, nämlich Nikotin. Im Vergleich hierzu kommt die zweite große Volksdroge, Alkohol, quasi ungeschoren davon – von einigen Altersbeschränkungen mal abgesehen. Koffein schließlich bleibt eine so gut wie gänzlich unregulierte Substanz. Und dennoch handelt es sich bei allen dreien nachweislich um Nervengifte, auch wenn sowohl Alkohol als auch Koffein in kleinen Mengen dem Körper scheinbar nützen können. Statistische Tatsache ist aber, dass Konsumenten beider Substanzen diese Mengen tendenziell konstant überschreiten und sich im toxischen Bereich bewegen.
Gerade für das Koffein gilt, dass die meisten seiner Verbraucher sich über seine Funktionsweise und langfristige Wirkung auf den Körper nicht im Klaren sind. Tatsache ist: Der Kaffeekonsum in Deutschland nimmt zu. Verantwortlich dafür sind hauptsächlich neue Produkte, die die Herstellung und den Konsum schneller und einfacher machen – wie etwa Vollautomaten, Kaffeekapseln und -pads und die wie Pilze aus dem Boden schießenden „Coffee-To-Go“ Optionen. 150 Liter Kaffee trinken Deutsche im Jahr im Durchschnitt, vermeldet der Spiegel. Damit ist Kaffee des Deutschen liebstes Getränk, weit vor etwa dem Feierabendbier (oder Mineralwasser; aber wen überrascht das schon). Grund dafür ist sicher auch der Geschmack, mehr noch aber die Wirkung, wie Umfragen zeigen.
Wie auch Nikotin ist Koffein ein je nach Dosis anregendes oder erregendes Nervengift. Somatisch regt es das Zentralnervensystem an, steigert die Kontraktionskraft und Frequenz des Herzens, erweitert die Bronchien, ist schwach harntreibend, verengt neuronale und erweitert periphere Gefäße und kann die Muskelkontraktionen der Eileiterwände hemmen und in Folge die Passage von befruchteten Eizellen in die Gebärmutter behindern.
All das sind aber keine Gründe für den Konsum – dieser liegt im Potenzial des Koffeins als Wachmacher und Leistungssteigerer mit einher gehender, erhöhter Merkdauer und Fixierung von Informationen (mnestische Funktionen). Möglich gemacht wird dies zunächst durch die fast ungehinderte Passage der Blut-Hirn-Schranke – auch das hat der Stoff mit Nikotin gemeinsam – und der anschließenden molekularen Wirkungsentfaltung auf die neuronalen Zellvorgänge. Ist der Mensch wach, tauschen die Nervenzellen seines Gehirns Botenstoffe aus. Dabei wird Energie verbraucht. Dieser Vorgang produziert als Nebenprodukt Adenosin, das sich an sogenannte Adenosinrezeptoren auf den Nervenbahnen ansetzt. Es signalisiert (über-)aktiven Zellen, den Arbeitsprozess zu verlangsamen, um sich vor einem exzessiven Energieverbrauch zu schützen – ein natürlicher Entschleunigungsvorgang also, der das Gehirn insgesamt vor Überarbeitung schützt. Koffein ähnelt Adenosin seiner chemischen Struktur nach. Es dockt deshalb bei denselben Rezeptoren an, aktiviert aber im Gegensatz zum körpereigenen Botenstoff deren Schutzfunktion nicht. Die Konsequenz: Das Adenosin kann auf die blockierten Rezeporen nicht mehr aufsetzen. Diese arbeiten also trotz erhöhten Energieverbrauchs und zunehmender Adenosinkonzentration quasi gegen sich selbst mit konstanter Leistungsabgabe weiter. Während also die Wirkung von Nikotin durch synaptische Erregungsförderung direkt ist [hier Link zum Nikotinartikel setzen], wirkt Koffein durch das Auslösen des Ausfalls einer synaptischen Hemmungswirkung indirekt.
Wie schädlich ist Koffein?
In kleinen Dosen scheint Koffein keine schädigende Wirkung auf den menschlichen Organismus zu haben. Das Problem: Der Körper entwickelt gegenüber Koffein eine gewisse Toleranz. Nach bereits einer Woche signifikant erhöhten, durchgängigen Koffeinkonsums beginnen die Nervenzellen, auf das ausbleibende Adenosin-Signal zu reagieren. Sie bilden selbstständig zusätzliche Rezeptoren aus, um eine erneute Adenosinanbindung zu ermöglichen. Das vermindert wiederum die Koffeinwirkung und führt beim Konsumenten zu einer Steigerung der Einnahmedosis (also mehr getrunkenen Tassen), um die gewünschte Wirkung weiterhin zu erreichen.
Tödlich wird diese weiterhin nicht sein; dazu müsste ein erwachsener Mensch je nach Körpergewicht und Verfassung etwa 10 Gramm reines Koffein zu sich nehmen – eine Menge, die etwa 100 Tassen gebrühtem Kaffees entspricht. Bei Ratten liegt die letale Dosis im Vergleich bei etwa 381 mg/kg Körpergewicht. Anzeichen einer ernst zu nehmenden Koffeinvergiftung wären unkontrollierbare Erregungszustände, Halluzinationen, geistige Verwirrtheit, Muskelschmerzen und unkontrollierbare Zuckungen und -schmerzen, Herzrhythmusstörungen, extremer Bluthochdruck, Atemnot und Fieber. Der Tod würde eintreten durch Muskellähmung, letalen Schock, Herz- und Kreislaufversagen und irreversible Atemlähmung.
Während Ableben durch Kaffee wohl zu den unwahrscheinlichsten Todesarten zählt (wie übrigens auch bei Nikotin), darf vor allem die erhöhte Konzentration von Koffein in Sport- und Energiegetränken nicht unterschätzt werden. Diese ist häufig um ein Vielfaches höher dosiert und oft mit zusätzlichen Wirkstoffen wie Taurin kombiniert, die die Koffeinwirkung noch potenzieren sollen. Dies gilt im Besonderen für Kinder und Jugendliche, die in zunehmendem Maße zu den Hauptkonsumenten von Energydrinks gehören. Sie können so in kürzester Zeit bis über 200 mg Koffein zu sich nehmen. Bekannt ist, dass bei Heranwachsenden pro Kilogramm Gewicht bereits 5-12 Milligramm Koffein akute Schlafstörungen, Nervosität und Angstzustände wecken kann. Besonders gefährlich sind Koffeintabletten, wie sie gerne in Lern- und Stressphasen sowie beim „Durchfeiern“ genommen werden. Diese können vor allem in Kombination mit zusätzlich konsumierter Cola oder Energiegetränken zu Verwirrtheitszuständen, Erstickungsängsten, vorübergehenden Lähmungen, Herzrasen, Schock und Kreislaufkollaps führen.
Bei verringertem Koffeinkonsum treten bei Heranwachsenden wie bei Erwachsenen identische Entzugssymptome auf, die etwa 12 bis 14 Stunden nach dem letzten Konsum beginnen und bis zu einer Woche oder etwas länger anhalten können. Auf physischer Ebene zählen dazu Kopfschmerzen, Kreislaufstörungen, Übelkeit, Erschöpfung und schnelle Ermüdung. Bei starken vorherigem Konsum können sogar grippe-identische Symptome eintreten. Zu den psychischen Mangelerscheinungen zählen Gereiztheit, Unzufriedenheit, depressive Verstimmungen und Konzentrationseinbrüche. Damit gehören drei der mit dem regelmäßigen und/ oder übermäßigem Koffeinkonsum verknüpften Phänomene zum Symptomkatalog von Suchtmitteln: Die Entwicklung von somatischer Toleranz bei regelmäßigem Konsum, die psychische wie körperliche Abhängigkeit und die „Rückfälligkeit“ bei einer erneut konsumierten geringen Menge des Stoffes.
Diese sozial verankerte Unterschätzung des Koffein liegt sicherlich auch daran, dass Kaffee im Gegensatz zu Zigaretten und Alkohol überall und ohne jede Altersbegrenzung legal verfügbar ist. Der morgendliche Griff zur ersten Tasse Kaffee etwa dient in vielen Fällen sowohl zur Stimulans als zur Vorbeugung des „milden Entzugs“, ohne das dies vom Verbraucher bewusst so wahrgenommen würde.
Wann kommen die Schockbilder auf den Kaffee?
Natürlich stellt sich dem intelligenten Verbraucher die Frage, warum in Anbetracht der zuvor beschriebenen, in wissenschaftlichen Studien nachgewiesenen Wirkung des Nervengifts Koffein, dieses nicht einem ähnlichen
Regulierungswahnsinn anheim fällt wie sein „Wirk-Zwilling“ Nikotin. Dies liegt sicherlich zum einen daran, dass in der Gesetzgebung „Nikotin“ immer noch mit dem Konsum von Tabakzigaretten synonym behandelt wird. Erst langsam setzt sich beim Verbraucher die Einsicht durch, dass die meisten der nachgewiesen tödlichen Wirkungen von Tabakzigaretten durch den Verbrennungsprozess der vielen hundert Inhaltsstoffe sowie des freien Nikotins ausgelöst wird.
Über die schädliche Wirkung gebundenen Nikotins auf den menschlichen Organismus beim reinen Verdampfen liegen schließlich noch keine zuverlässigen wissenschaftlichen Studien vor, wie auch die EU-Kommission zugesteht. Theoretisch könnte es also durchaus sein (und eine Reihe ernst zu nehmender Wissenschaftler gehen auch davon aus), dass eine vergleichbare Menge gebundenen, gedampften Nikotins und durch Trinken dem Körper zugeführten Koffeins ähnliche Wirkpotenzen entfaltet – wie eben alle Alkaloide mit pharmakologischem Effekt.
Das macht zwar die Sache an sich nicht besser. Für Körper und Geist ist sicherlich eine Abstinenz von beidem am förderlichsten, unbeschadet der positiven Wirkungen von Koffein in kleinsten Mengen. Diese können auch durch andere Naturheilmittel hervorgerufen werden, die kein Suchtpotenzial entfalten. Aber es zeigt wieder einmal die Einseitigkeit und fehlende Logik auf, mit der die EU-Kommission im neuen Gesetz mit dem Handel und Verbrauch gebundenen, zum reinen Dampfen vorgesehenen Nikotins umgeht.
Die Frage stellt sich nun: Wann wird der Regulierungszwang der EU auch auf Kaffee übergreifen? Ihrer eigenen inhärenten Logik nach kämen die EU-Kommissare ja eigentlich nicht darum herum, mit Koffein genauso umzugehen wie mit Nikotin. Allerdings weiß wahrscheinlich selbst der demokratiefeindlichste EU-Kommissar, das ein derartiges Eingreifen in die täglichen Gewohnheiten der Deutschen (und aller anderen EU-Bürger), verbunden mit einem Affront diesmal der Kaffee-Lobby (die es natürlich ebenfalls in den Brüsseler Korridoren gibt), kein glückliches Ende nehmen könnte. Denn hier gilt ja nicht, dass die Produkte der Lobbyisten verschont bleiben (wie beim TPD2), während kleinere Produzenten dicht machen müssen – hier würde ausnahmslos die gesamte Branche betroffen sein.
In der Praxis ist es bereits so, dass Getränke mit einem Koffeingehalt von mehr als 150 mg/l laut der Europäischen Richtlinie 202/67/E diesbezüglich gekennzeichnet sein müssen. Diese Regelung ist allerdings nicht nur hinsichtlich der freien Abgabe wirkungslos, sondern gilt bisher nicht für Kaffee- oder Teeverpackungen. Die offizielle Begründung lautet, dass die zuständigen EU-Legislatoren davon ausgehen, dass „der Konsument sich über den bedeutenden Koffeingehalt dieser Produkte im klaren ist“ – so dass EU- mitfinanzierte Portal EUFIC. Weitere Sponsoren dieses „Europäischen Informationszentrums für Lebensmittel“, das sich selbst eine „gemeinnützige Organisation“ nennt, „die den Medien, Gesundheits- und Ernährungsfachleuten, Erziehern und meinungsbildenden Einrichtungen wissenschaftlich fundierte Informationen über Nahrungsmittelsicherheit und -qualität sowie Gesundheit und Ernährung auf eine für Konsumenten verständliche Weise liefert“ sind allerdings: AB Sugar, Bunge, Cargill, Cereal Partners, Coca-Cola, Dow Seeds, DSM Nutritional Products Europe Ltd., Ferrero, General Mills, Kraft Foods (Monedelez), Mars, McDonald’s, Nestlé, PepsiCo, Pinar Et, PureCircle, Südzucker, Unilever, Zoetis. Ist das nur mein überkritisches Denken, oder ist hier etwas Skepsis hinsichtlich der Neutralität der zur Verfügung stehenden Informationen angebracht?
Denn weiter gedacht sagt diese Quelle doch nichts anderes als: Im Gegensatz zum denkenden Koffeinverbraucher gehen Dampfer beim Konsum von elektronischen Zigaretten offensichtlich davon aus, dass das enthaltene Nikotin absolut unschädlich ist und sich auf dem Weg in den Körper in weißen Dampf verwandelt. Interessante Logik – vor allem, da Dampfer in der Realität zu den eCigarettes meist greifen, weil sie sich zuvor intensiv mit dem Suchtmittel Nikotin beschäftigt haben und davon loskommen möchten, während die meisten Kaffeekonsumenten völlig ahnungslos sind, was die Wirkung von Koffein angeht.
In Anbetracht dieser wieder einmal unter Beweis gestellten völligen Willkür, wenn es um die EU-Einschätzung der autonomen Entscheidungsfindungskomptenzen des Einzelnen geht, ist es also doch nicht völlig abwegig, demnächst Kaffeeverpackungen mit Totenköpfen darauf zu erwarten. Das einzige, was die EU davon abzuhalten scheint, den Bürger auch im Bezug auf seinen Koffeinkonsum für völlig unmündig zu erklären, ist offensichtlich die Einflussnahme von oben sich selbst elegant aufgelistet habenden Konzernen. Es bleibt spannend zu sehen, wer gewinnt: Die Papas der Nationen oder die Turpo-Kapitalisten in den Korridoren, hinter denen nicht nur die Kaffee-, sondern auch die Alkohol- und Zuckerhersteller stehen (eine schöne Demonstration der Tatsache, dass diese Logik im EU-Parlament auch von dessen Mitgliedern durchaus moniert, aber eben von der EU-Kommission geflissentlich überhört wird, liefert folgendes Video einer Ansprache von MEP Ewald Stadler:
Die EU-Bürger scheinen es in keinem Fall zu sein.
Weitere Themen