Nikotin ist relativ harmlos
Englands RSPH fordert Nikotinaufklärung und e Zigaretten-Durchsetzung
Meist sind historische Tage ja immer nur rückblickend als solche erkennbar. Für die englische Dampf-Community war der 13. August so ein Datum: Die Royal Society for Public Health hat eine Presserklärung herausgegeben sowie eine Kampagne gestartet, um eine Neueinschätzung und den alternativen Konsum von Nikotin als finale Antwort im Endgame gegen das Rauchen zu empfehlen.
Zwar ist die RSPH kein Regierungsapparat. Im Gegenteil, sie zelebriert ihre politische Unabhängigkeit. Aber sie ist die älteste, eine hoch respektierte und von Politikern bei gesundheitspolitischen Entscheidungen intensiv frequentierte Gesundheitsorganisation Englands. Ihre 6.500 Mitglieder sind Akademiker, Mediziner, Ärzte und Angehöriger der Gesundheits- und Pflegeberufe, die nur mittels eines recht strengen Aufnahmeverfahrens aufgenommen werden.
Am 13.8 hat die RSPH eine Presserklärung mit der Überschrift „Nikotin ist nicht gefährlicher für die Gesundheit als Koffein“ herausgebracht. Hierin, und in dem gleichzeitig publizierten Positionspapier, ist eigentlich alles gesagt, was sämtliche Gesundheitsorganisationen, Regierungen und Anti-Rauch-Kampagen, Drogenbeauftragte und internationalen Koordinationsstellen wie die WHO weltweit wissen und tun müssten, um die E-Zigarette intelligent und umfassend neu zu bewerten und die von der Tabakzigarette ausgelösten Probleme ein für alle mal in den Griff zu bekommen.
Nikotin und Tabak müssen endlich entkoppelt werden
Die RSPH argumentiert für die Einrichtung eines öffentlichen Aufklärungsprogramms, das die gesundheitlichen Auswirkungen des Nikotins unabhängig von gefährlichen Chemikalien wie Teer oder Arsen in Zigaretten betrachtet. Die Begründung: „Tabak enthält Nikotin, aber außerdem noch viele andere Chemikalien; Nikotin selbst ist ziemlich ungefährlich“ („Tobacco contains nicotine along with many other chemicals, but nicotine by itself is fairly harmless“).
Das Institut erwartet von der öffentlichen Gesundheitsbehörde NHS, dass deren Rauchstopp-Hilfen und Anti-Rauch-Zentren mehr Menschen E-Zigaretten als Mittel anbieten sollen, um vom Rauchen loszukommen. Außerdem verlangt es neue Verbotszonen für Zigaretten, etwa vor Schulen, Bars und Pubs, außerdem in öffentlichen Plätzen und Parks, die allerdings explizit nicht für E-Zigaretten gelten sollen – dampfen muss der RSPH zufolge im gesamten öffentlichen Raum erlaubt bleiben (ob man diesen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Rauchern unterschreiben möchte, steht auf einem politisch wie ideologisch anderen Blatt).
E-Zigaretten kein Medikament – aber anerkanntes Mittel für Rauchfrei-Therapien
Momentan dürfen von Regierungsseite finanzierte Rauchstopp-Angebote E-Zigaretten nicht offiziell weiterempfehlen, solange diese nicht wie andere Nikotinersatzprodukte als Medizinprodukte lizensiert sind – und das ist keine der in England erhältlichen Marken. Zwar starten dennoch einige Services wie etwa in Leicester Feldversuche in eigener Sache, wie wir in einem späteren Artikel beleuchten werden.
Die RSPH sieht die größten Chancen in einer kombinierten Verhaltenstherapie gekoppelt mit der sachkundigen Einführung ins Dampfen – vor allem für diejenigen Raucher, denen es hauptsächlich um das Ritual und den Nikotin-Hit geht. Natürlich, so die Vorsitzende der RSPH, Shirley Cramer, wäre es auch dieser Institution am liebsten, Menschen würden keinen Nikotin konsumieren – aber sie dazu zu zu bringen, reinen Nikotin statt Tabak zu konsumieren, würde einen enormen Unterschied für die öffentliche Gesundheit bedeuten.
Milde Nikotin-Abhängigkeit statt Tausender Tote
Cramer weist dabei auf die zwei völlig verschiedenen Stufen des Problems hin: „Natürlich stehen
wir dann immer noch vor der Suchtfrage, die das Nikotin beinhaltet. Aber dies würde uns von einem ernsthaften und kostenintensiven öffentlichen Gesundheitsproblem und rauch-induzierten Krankheiten komplett befreien. Stattdessen müssten wir nur noch die Thematik der Abhängigkeit von einer Substanz diskutieren, die in sich auch nicht viel anders ist als eine Koffein-Abhängigkeit“.
Die Gesellschaft hatte eine eigene Umfrage unter 2.072 Erwachsenen in Auftrag gegeben, laut derer immer noch neun von zehn ;Menschen der Meinung sind, Nikotin sei eine gefährliche Substanz.
Als Lösungsansätze zur Umsetzung ihrer Empfehlungen schlägt die RSPH vor, dass alle Tabakhändler zukünftig für den Verkauf von Zigaretten lizensiert werden sollten. Verkauft ein Laden Tabakzigaretten an Minderjährige, sollte diesem die Lizenz entzogen und dieses Verkaufsverbot auch öffentlich ausgestellt werden. Interessanter noch: Das Institut schlägt vor, es solle gesetzlich verpflichtend für die Tabakläden sein, direkt neben den Tabakprodukten auch
E-Zigaretten zu führen.
Ambivalente Forderung: Neubenennung der E-Zigarette
Außerdem glaubt die RSPH, dass der Name „E-Zigarette“ ein für alle mal der Vergangenheit angehören sollte, da dies das Produkt fälschlich an die Zigarette koppele und kontraproduktive Assoziationen wecke. Stattdessen schlägt das Institut vor, die E-Zigarette Nikotinstick, Vaporisator oder Nikotinkontrollprodukt (nicotine sticks/ vapourisers/ nicotine control products) zu nennen.
Das Regierungsäquivalent zur RSPH, Public Health England, hat das King’s College der London und Queen Mary Universität damit beauftragt, die vorhandenen Studien und Erkenntnisse zur
E-Zigarette auch im Licht dieser Forderungen neu zu bewerten; die Veröffentlichung ist für die kommenden Monate erwartet.
Neue Orte zum Dampfen – und Rauchen
Allerdings zeigt Boris Johnson, der Bürgermeister von London, wenig Lust, dem New Yorker Beispiel zu folgen und das Rauchen in den meisten öffentlichen Plätzen zu verbieten. Dennoch läuft momentan ein entsprechendes, fortlaufend dokumentiertes Pilotprojekt auf zwei Plätzen in Bristol.
Im radikalen Gegensatz zu Johnsons Position und den Forderungen des RSPH steht nach wie vor die Regierung von Wales, die das Dampfen von E-Zigaretten an allen öffentlichen Plätzen verbieten will, an denen jetzt schon nicht geraucht werden darf – in der Befürchtung, der sichtbare Konsum der E-Zigarette könnte das Rauchen „re-normalisieren“. Sowohl in Wales als auch in England wird jedoch in Kürze ein bereits verabschiedetes Gesetz in Kraft treten, das das Rauchen in Autos verbietet, in denen Minderjährige sitzen. Auf E-Zigaretten bezieht sich diese Anordnung explizit nicht.
Generell hat das Gesundheitsministerium seine Position gegenüber E-Zigarette bereits klar formuliert: „Das beste, was ein Raucher tun kann, ist ganz aufzuhören. Dennoch, für die, die noch nicht soweit sind, ist der Gebrauch von E-Zigaretten nachgewiesenermaßen auf kurze Sicht weniger riskant als das Rauchen. Deshalb regulieren wir diese Produkte – damit sie sicher sind. Wir unterstützen lokale Rauchstopp-Beratungen darin, auch solche Raucher in ihr Programm aufzunehmen, die sich bereits selbst vorgenommen haben, nur mit der E-Zigarette vom Rauchen wegkommen zu wollen.“
Nikotin-Aufklärung an erster Stelle
Die Anti-Rauchen-Verbund ‚Ash‘ heißt die Ideen der RSPH willkommen. „Wissenschaftler wissen seit vielen Jahren, dass der Tabakrauch tötet, nicht das Nikotin. Unglücklicherweise ist dies zu vielen Rauchern, Medizinern und den Medien immer noch nicht durchgedrungen. Dort herrscht nach wie vor die Annahme, Nikotin könne Herzkrankheiten oder Krebs verursachen. Die Adoption dieses Missverständnisses kostet Rauchern das Leben, die bei einer anderen Sichtweise zu alternativen Nikotinquellen wechseln würden. Es ist höchste Zeit, das mit diesen Fehlinformationen strategisch aufgeräumt wird.“ sagt Hazel Cheeseman von Ash.
Der Handelsverband der englischen E-Zigarettenindustrie (Electronic Cigarette Industry Trade Association /Ecita) findet es begrüßenswert, dass E-Zigaretten endlich jenseits aller Vorurteile dafür wahrgenommen werden, dass „zunächst und zuallererst eine weit weniger riskante Alternative zu verbranntem Tabak darstellen und das Studien gezeigt haben, dass ihre Nutzer mit ihrer Hilfe rauchfrei werden können.“
Auch die Pro-Tabak-Gruppe ‚Forest‘ spricht sich dafür aus, dass es für Raucher einfacher gemacht werden solle, E-Zigaretten barrierefrei nutzen zu können. Allerdings nennt der Verein die Idee einer Umbenennung der E-Zigarette „dümmlich“. Direktor Simon Clark sagt: „Damit wird die Tatsache ignoriert, dass die E-Zigaretten eben deshalb so beliebt sind, weil sie den Akt des Rauchens imitieren. Der Name ist Teil ihrer Anziehungskraft. Sie ‚Nikotinstick‘ oder ‚Vaporisator‘ zu nennen, rückt sie in die Nähe medizinischer Produkte und verfehlt damit völlig ihre Essenz. Für viele Dampfer sind E-Zigaretten ein Genussmittel zur Entspannung. Wenn die Lobbyisten der öffentlichen und privaten Gesundheitsorganisationen das nicht endlich begreifen, könnten sie damit ein potenziell wegweisende Technologie sabotieren.“
Weiterführende Links
Nicotine “no more harmful to health than caffeine”
Smoking cessation
Stopping smokin by using other sources of nicotine
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