Tabak-Multis: Tödliche Überlebensstrategien

Tabak-Multis: Tödliche Überlebensstrategien

Jugendliche Raucher in Entwicklungsländern sollen Dampf-Verluste kompensieren

Noch steht den Tabakmultis das Wasser nicht am Hals, aber sie haben Jahr für Jahr mit steigenden Verlusten in den Wohlstandsländern zu kämpfen. Und auch wenn der E-Zigarette das Leben momentan durch Regulierungen schwer gemacht wird: Philipp Morris & Co. wissen genau, dass sie dem Dampfen langfristig nichts entgegenzusetzen haben – es sei denn, sie entwickeln ihre eigenen, alternativen Nikotinkonsumprodukte wie bereits mit Cigalikes und diverser Heat-not-Burn Hardware geschehen.

Börsennotiert und ausschließlich gewinnorientiert, wie die Tabakmultis nun mal sind, arbeiten deren Marketingagenturen und Entwicklungsabteilungen natürlich fieberhaft an weiteren Rettungsszenarios, um den drohenden Untergang aufzuhalten – der auch nach Einschätzungen so renommierter und tabakfreundlicher Marktanalysten wie Wells Fargo nur noch bis etwa 2025 auf sich warten lassen wird.

Die zwei möglichen Wege der Tabakmultis

Nun gibt es für die Tabakkonzerne nur zwei mögliche Wege aus der Misere. Der erste ist mit jenem zu vergleichen, vor dem auch die großen Stromkonzerne gerade stehen: Offenen Auges und mit unternehmerischem Mut das Ende einer Ära zuzugestehen und das neue, bisherige Konkurrenzprodukt absolut und überzeugt zu verinnerlichen. Dieses ist der zukunftsfähige, zumindest im Ergebnis ethischere und, mal von allem anderen abgesehen, aus Entrepreneursicht auch spannendere.

Der zweite heißt Augen zu und mit letzter Kraft wo nur möglich neue Märkte für das alte Produkt erschließen, koste es, was es wolle. Dieser ist notwendigerweise mit amoralischen Entscheidungen verbunden, getroffen von alten Männern (und wenigen Frauen) auf Vorstandssesseln, die sie längst gegen ein eigenes Inselchen in der Karibik eingetauscht haben, wenn die Folgen ihres Handelns ihre hässliche Fratze zeigen werden. Letztere ist eine kurzfristige, zukunftsunfähige und widerwärtige Strategie.

Und natürlich diejenige, auf die die Wahl der Tabakmultis gefallen ist.

Auf ins Paradies der unbedampften, unbefleckten Märkte

Und, was ist dieser letzte Markt, auf dem es noch Neuraucher abzuholen gibt, unbehelligt von den lästigen Einmischungen kleiner und mittelständischer E-Zigaretten Hersteller und Vertriebe? Genau, die Jugendlichen in Entwicklungsländern.

Was nach einem zynisch-apokalyptischen Dystopia klingt, ist statistisch untermauerte Realität. Statt Schwellen- und Entwicklungsländer (um diese veralteten Termini zu nutzen) mit E-Zigaretten zu fluten, zielen die Tabakkonzerne mit ihrem Marketing in den ärmsten und armen Ländern der Erde zunehmend auf Jugendliche und junge Erwachsene als neue Zielgruppen.

Jugendlicher Raucher

Junger Raucher in China

Schon jetzt leben 80% der weltweit eine Milliarde Raucher in wirtschaftlich strukturschwachen Ländern mit niedrigem oder mittleren Einkommen. Studien zeige nun, dass es nicht hauptsächlich die ökonomische Erholung bestimmter Einkommensgruppen innerhalb dieser Länder ist, die sich in Konsequenz zum ersten Mal „Genussmittel“ gönnen können und deshalb mit dem Rauchen beginnen – das vorher finanziell einfach nicht möglich war.

Stattdessen ist es das plötzlich einsetzende und vorher an vielen Orten unbekannte, offensive Tabak-Marketing, das vor allem an eine junge Zielgruppe gerichtet ist, welches die Nachfrage abrupt steigen lässt. Das wirklich verabscheuungswürdige daran: Die betroffenen Länder sind im hohen Maße von der Gesundheit ihrer Jugend abhängig, um sich aus ihrer gegenwärtigen Armut selbstständig zu befreien. Sie verfügen außerdem nicht über Budgets zur flächendeckenden gesundheitlichen Aufklärung und selten über ein verbindliches Krankenversicherungssystem. Aufgrund der häufig sowieso schon beanspruchten Immunsysteme junger Menschen wird angenommen, dass einer von zwei Langzeitrauchern überdurchschnittlich früh an dieser Gewohnheit sterben wird. Eine rauchende Jugend ist effektiv die Unterminierung der Zukunft dieser geschwächten Länder.

Be Marlboro…wenn aus Dir sonst schon nichts werden kann

Dank Tabak Multis: Rauchende Jugendliche auf den Phillippinen

Rauchende Jugendliche auf den Phillippinen

Die Tabakmultis behaupten zwar, dass ihr Marketing lediglich auf Erwachsene abzielt, die von den lokal bekannten Billigmarken auf die etablierten Produkte von Big Tobbacco umsteigen sollen. Analysiert man aber Symbolik, Platzierung und Sprache der Anzeigen, entlarvt sich diese Aussage als Heuchelei.

Aktuelles Beispiel ist die Marlboro Kampagne „Be Marlboro“ (wie irgend jemand NICHT bei dem im Imperativ formulierten Ausruf, eine Marke SEIN zu sollen, angewidert abdrehen kann, ist mir ein Rätsel). 2011 wurde der neue Kommunikationsansatz in Deutschland als erstem Markt getestet. Auf den dazugehörigen Fotos waren durchgängig sehr junge Menschen beim Party machen, in romantischen Momenten und beim Abenteuersuchen abgebildet. Deshalb wurde die Werbung hierzulande auch 2013 verboten, da sie, so das Gericht, ganz klar auf eine jugendliche, bisher nicht rauchende Zielgruppe hin zugeschnitten war – und nicht etwa auf umsteigewillige Raucher.

Das hielt Philip Morris nicht davon, die „Be“-Kampagne in 50 Ländern weltweit zu fahren – vor allem in wirtschaftliche schwachen Regionen, allen voran Brasilien, Kolumbien, Indonesien, den Philippinen, Argentinien, Russland und der Ukraine.

Hier werden außerdem Events beworben und Verkaufspunkte „gebrandet“ – perfiderweise, indem noch zusätzlich das „American-Way-of-Life“-Motiv gegen die bestehenden Sehnsüchte der Jugendlichen nach Konsumfreiheit und einem besseren Leben exzessiv ausgespielt wird. In Indonesien sponsort Marlboro Screens für Promo-Vidoes, die an Kiosken direkt über den Jugendzeitschriften aufgehängt werden.

Tabak-Dauerberieselung in strukturschwachen Gegenden

Indonesien

Hinzu kommen intensiv bespielte Social Media Kampagnen und kulturspezifische Promotions, wie etwa die Begleitung von Sommer-Festivals in Latein Amerika.

Tabak-Dauerberieselung in strukturschwachen Gegenden

Eine in der letzten Woche veröffentlichte, vergleichende Studie („The environmental profile of a community’s health: a cross-sectional study on tobacco marketing in 16 countries“) zeigt deutlich: Menschen in armen und ärmeren Ländern sind einem deutlich höheren Ausmaß an Tabak-Marketing ausgesetzt als solche in strukturstarken Nationen, mit einem erschreckenden Durchschnittswert von 81 mal mehr Printwerbung, 46 mal mehr Radiowerbung und neun mal mehr TV-Werbung. Und obwohl es die von allen diesen Ländern ratifizierte WHO-Rahmenkonvention verbietet, waren in allen Tabak verkaufenden Läden einzelne Zigaretten erhältlich – die Art des Tabakkonsums, die bei Jugendlichen aufgrund von finanziellen Zwängen am wahrscheinlichsten ist.

Die Strategiebewegungen der Tabakmultis zeigen deutlich, dass vor allem der afrikanische Teenager-Markt angesteuert werden soll. Auf dem afrikanischen Kontinent befindet sich die Tabakepidemie noch in ihren frühen Kinderschuhen; in den Augen der Tabakkonzerne warten dort also Millionen Jugendlicher auf ihre Rauch-Rekrutierung.

BAT besticht afrikanische Beamte und Politiker

In vielen afrikanischen Ländern ist Rauchen eigentlich ein Taboo – deshalb funktioniert auf die Bewerbung Jugendlicher so gut.

BAT besticht afrikanische Beamte und Politiker

Dabei scheinen die Tabakmultis auch vor den unsaubersten Methoden nicht Halt zu machen. Vor drei Tagen hat der englische Fernsehsender BBC berichtet, dass BAT Regierungsbeamte von drei afrikanischen Ländern (den Komoren, Burundi und Ruanda) bestochen hätte, damit diese das UN-Anti-Tabak-Abkommen unterliefen und bei Verhandlungen im Sinne des Konzerns abstimmten.

Zwar weisen BAT und die scheinbar involvierten Regierungsmitglieder die Vorwürfe zurück. Allerdings sind diese eigentlich zu präzise und detailliert, um völlig erfunden worden zu sein; sie nennen die Verantwortlichen beim Namen, sowie die Summen, die sie erhalten haben, zitieren Mailverkehr und die benutzten Pseudonyme sowie Mailkonten.

E-Mail

Die BBC, bekannt für ihre präzise Recherche, hatte die Bestechung nach eigener Aussage aufgrund Hunderter geheimer Dokumente entdeckt, die ihr anonym zugespielt worden waren und anschließend fünf Monate lang auf Belastbarkeit und Authentizität geprüft wurden. In diesen zeigt sich deutlich, dass BAT ab 2012 Zehntausende von Dollar an Regierungsbeamte, Parlamentsmitglieder und Angestellte konkurrierender, inländischer Tabakunternehmen überwiesen hat – für Spionage und tatsächliche Einflussnahme auf den Inhalt derjenigen Dokumente, die die stimmberechtigten Regierungsoberhäupter anschließend der UN als nationalen Beitrag zur „Framework Convention on Tobacco Control“ unterbreitet haben.

Nun sind Tabakkonzerne ja für ihre exzessive Lobbyarbeit bekannt. Dieses Vorgehen jedoch ist Bestechung, eine Straftat und moralische Katastrophe – und das in einigen der ärmsten Länder der Welt, die nur mit einer gesunden Bevölkerung überhaupt eine Zukunft haben. Wahrscheinlich ist auch, dass hier nur die Spitze eines korrupten Eisbergs zu Tage tritt.

Da Ganze erinnert mich etwas an die plötzliche Entdeckung des Kleinstkreditwesens durch die Großbanken nach der Finanzkrise 2008. So hat sich der einst wohltätigkeits-dominierte Bereich zum neuen Geschäftsfeld „Mikrofinanz“ der Bankenhaie entwickelt, über den die Citibank etwa einmal jubelte: „Das ist im Moment ein sehr großer, noch unterversorgter Markt“, ein Satz, der noch hätte ergänzt werden müssen um „…auf dem wir trotz unseres schlechten Images und offensichtlicher ethischer Inkompetenz noch auf kritiklose, weil verzweifelte Kunden hoffen können“.

Tabakmultis bewerben Einzelzigarettenverkauf an Kinder und Jugendliche

Genauso ist es auch mit dem Tabakzigarettenverkauf in Entwicklungs- und Schwellenländer. Was hier eigentlich nötig wäre, wäre eine konzertierte Aktion, um diesen Nationen preiswert produzierbare, aber dennoch sichere E-Zigaretten und Liquids verfügbar zu machen. Doch das ist komplex: Denn diese lassen sich nicht ebenso billig herstellen wie einzelne Tabakzigaretten, die nun mal die häufigste Form des Konsums durch Jugendliche sind.

In vielen ärmeren Ländern finden sich in der Nähe von Schulen kleine Kioske, die ausschließlich Snacks, Getränke und einzelne Tabakzigaretten für Kinder verkaufen – auf diesem Bild in Indonesien. Bereits 2008 führte beispielsweise BAT eine Marketingstrategie etwa in Malawi und Nigerien ein, bei der auf Postern einzelne Zigaretten beworben werden – mit genauer Preisangabe, nicht für die Packung, sondern den Stängel. Diese wurde nur auf öffentlichen Druck aus dem Ausland zurückgenommen. In Schwellenländern wie Mauritius mit einem bereits vorhandenen Werbeverbot ließ BAT kleine Kioske in den Kennfarben ihrer dort beliebtesten Zigarettenmarke anstreichen.

Ich könnte ähnliche Beispiele rund um den Globus beliebig weiter aufzählen. Tatsache ist: Die Tabakmultis schrecken vor keiner Methode zurück, um ihre Produkte in Ländern durchzudrücken, in denen sie einen noch unerschlossenen Markt sehen – Länder, in denen es eine noch größere Herausforderung sein wird, E-Zigaretten zu bewerben und zu vertreiben als bei uns. Dennoch: Hier sollten die internationalen Gesundheitsbehörden eingreifen, bevor es zu spät ist. Es würde einen wirklich innovativen und mutigen Schritt darstellen, das Dampfen pro-aktiv und vor allem vorausschauend in Ländern zu bewerben, in denen das Rauchen gerade erst zum wirklichen Problem wird.

Weiterführende Links
The environmental profile of a community´s health – cross study on tobacco marketing in 16 countries
New Global Marlboro Campaign found to target teens
BBC

 

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