Deutschland und der Verbrenner: Nostalgie als Industriepolitik
Die Welt schaltet gerade in einen neuen Gang: Autos werden zu rollenden Computern, Batterien zu geopolitischen Rohstoffen, Laden zu Infrastrukturpolitik. Und Deutschland? Diskutiert, ob der Motor von gestern vielleicht doch noch eine Zukunft verdient. Nicht als Technikfrage – als Identitätsfrage.
Seit Mai 2025 regiert in Berlin eine neue Konstellation unter Bundeskanzler Friedrich Merz. Und sofort ist das alte Muster wieder da: Wenn die Zukunft unbequem wird, wird die Vergangenheit zur „Technologieoffenheit“ umetikettiert. Der Verbrenner ist dann nicht mehr das, was er ist – eine ausgereizte Maschine mit Klimakosten –, sondern ein kulturelles Versprechen: Wir bleiben wir.
Der Rechtsrahmen steht – und wackelt politisch
Dabei ist der Rechtsrahmen eigentlich klar. Die EU hat für 2035 das Ziel „100 % Reduktion“ der Flottenemissionen bei neuen Pkw festgeschrieben – de facto das Ende neuer klassischer Verbrenner. Gleichzeitig steht schon im EU-Text, dass die Kommission Wege für Fahrzeuge prüfen soll, die ausschließlich mit CO₂-neutralen Kraftstoffen laufen – und dass eine Überprüfung samt möglicher Änderung ausdrücklich vorgesehen ist.
Genau diese Hintertür wird jetzt politisch zur Haupttür umgebaut: Die Kommission diskutiert eine Reform, in Medien kursiert ein Modell mit 90 % Zielwert plus Kompensation für den Rest. Und bereits 2025 wurde für die Jahre 2025–2027 eine Flexibilisierung beschlossen: Ziele müssen nicht mehr jährlich, sondern im Dreijahresschnitt erfüllt werden.
Man kann das als Pragmatismus verkaufen. Oder als Angst vor der Konsequenz.
Denn die eigentliche Frage ist nicht, ob 2035 „zu hart“ ist. Die Frage ist: Wo investiert Deutschland jetzt seine Energie – in das neue System (Batterien, Software, Ladenetze, Strompreise), oder in das Feintuning eines Auslaufmodells?
Die Politik als Handbremse
Das Absurde: Während politisch am Verbrenner-Narrativ geschraubt wird, baut dieselbe Regierung am E-Auto-Realismus. Das Bundesumweltministerium arbeitet an einer neuen E-Auto-Förderung, beschlossen im Koalitionsausschuss (Oktober 2025, nachgeschärft Ende November) – Start ab 2026, beihilferechtlich noch abzustimmen.
Im Klartext: Man muss den Umstieg fördern, weil man ihn gleichzeitig rhetorisch relativiert. Das ist Politik als Handbremse: links blinken, rechts bremsen.
Infrastruktur: der langweilige Teil, der alles entscheidet
Und dann ist da die Infrastruktur. Selbst Unternehmen, die den Umstieg grundsätzlich bejahen, warnen: Ohne Ladepunkte, ohne wettbewerbsfähige Strompreise, ohne verlässliche Rahmenbedingungen wird die Transformation zur Frustmaschine. Das sagt nicht nur die Klima-Lobby – das sagt sogar ein großer Vermieter wie Sixt, der vor Quotenplänen warnt und den Netzausbau einfordert.
Plattformen gegen Auspuffe
Deutschlands Verbrenner-Debatte wirkt deshalb so rückwärtsgewandt, weil sie oft den bequemsten Teil der Zukunft diskutiert: das Wording (Verbot oder nicht), nicht die Wertschöpfung (Batterie, Chip, Software, Netz). Die Welt baut Plattformen. Wir streiten über Auspuffe.
- Wertschöpfung verschiebt sich: vom Motorblock zur Batterie, vom Getriebe zur Leistungselektronik, vom Sound zur Software.
- Tempo wird zur Standortfrage: Genehmigungen, Netze, Strompreise – das entscheidet mehr als Sonntagsreden.
- Planungssicherheit zählt: Wer den Kurs ständig relativiert, investiert am Ende zu spät – und dann woanders.
Fazit: Deutschland kann diesen Sprung schaffen. Aber es muss aufhören, den Rückspiegel für die Windschutzscheibe zu halten.







