Superreiche auf Rekordkurs: Warum die Politik jetzt handeln muss
Die oberen Vermögensschichten in Europa legen zu wie selten – und zwar deutlich schneller als der Rest der Gesellschaft. Oxfam meldet für die EU einen kräftigen Zuwachs sowohl bei der Zahl der Milliardäre als auch bei deren Vermögen. Parallel zeigt der „Global Wealth Report 2025“ der Boston Consulting Group (BCG): In Deutschland wächst die Gruppe der extrem Vermögenden unterhalb der Milliardärsschwelle rasant. Das ist mehr als Statistik. Es ist ein politischer Stresstest – für Steuergerechtigkeit, Leistungsversprechen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
EU: Mehr Milliardäre, mehr Vermögen, mehr Konzentration
In der Europäischen Union lebten im März 2025 487 Milliardäre, 39 mehr als ein Jahr zuvor. Ihr Vermögen wuchs allein in der ersten Jahreshälfte 2025 um rund 405 Milliarden Euro – rechnerisch gut zwei Milliarden Euro pro Tag. Zugleich besitzen die reichsten 3.600 Menschen der EU so viel Vermögen wie die ärmsten 181 Millionen Europäer. Das ist keine Momentaufnahme, sondern die Fortsetzung eines Trends: Kurs- und Bewertungsgewinne an den Kapitalmärkten treiben die Spitze nach oben, während Einkommen in der Mitte nicht Schritt halten.
Deutschland: Aufstieg der „Hundert-Millionen-Klasse“
Nicht nur Milliardäre prägen die Spitze. Laut BCG ist in Deutschland die Zahl der Personen mit Finanzvermögen über 100 Millionen Dollar binnen eines Jahres um rund 500 auf etwa 3.900 gestiegen. Damit liegt Deutschland weltweit auf Rang drei – hinter den USA und China. Der Zuwachs speist sich vor allem aus Börsenhochs, höheren Unternehmensbewertungen und Private-Equity-Beteiligungen. Kurz: Wer Vermögen hat, profitiert überproportional vom Markt; wer nur Arbeitseinkommen bezieht, fällt relativ zurück.
Der politische Punkt: Regeln entscheiden, nicht „der Markt“
Die Behauptung, Vermögenskonzentration sei eine naturgegebene Entwicklung, ist bequem – und falsch. Steuersysteme, Ausnahmen, Bewertungslogiken bei Erbschaften sowie der Vollzug bestehender Regeln sind politische Entscheidungen. Wer angesichts dieser Zahlen zentrale Stellschrauben per Tabu absichert, zementiert das Ungleichgewicht und verlagert die Finanzierung des Gemeinwesens weiter auf Löhne und Konsum.
Was jetzt zu tun ist
- Erbschaftsteuer zielgenau reformieren. Betriebsvermögen schützen, ja – aber befristet, an echte Beschäftigungs- und Investitionsauflagen gebunden und mit wirksamen Nachweispflichten. Pauschale Verschonungen ohne strenge Konditionen schaffen Fehlanreize.
- Kapital- und Arbeitseinkommen fairer behandeln. Große Kursgewinne und hohe Arbeitseinkommen steuerlich näher zusammenführen; Schlupflöcher bei Haltefristen und Verlustverrechnung begrenzen.
- Transparenz schaffen. Ein belastbares Vermögens- und Beteiligungsregister macht komplexe Eigentümerstrukturen sichtbar – Grundvoraussetzung für wirksame Besteuerung und Rechtsdurchsetzung.
- Mindeststandards für sehr große Vermögen prüfen. Eine maßvolle Mindestbesteuerung auf extrem hohe Vermögen kann den Beitrag der Spitze verlässlich sichern, ohne den Standort in Summe zu schwächen.
- Vollzug stärken. Steuerfahndung, Finanzaufsicht und digitale Schnittstellen zwischen Behörden ausbauen. Regeln wirken nur, wenn sie kontrolliert werden.
Warum Eile geboten ist
Die fiskalische Basis wächst längst nicht so schnell wie die Vermögen an der Spitze. Wer Kitas, Pflege, Schulen, Infrastruktur und Klimainvestitionen verlässlich finanzieren will, braucht eine Neujustierung der Lasten. Ein „Weiter so“ delegiert die Rechnung an die Mitte – politisch riskant und ökonomisch kurzsichtig.
Fazit
Europa erlebt einen Vermögensboom ganz oben. Oxfam zeigt die Dynamik bei Milliardären, BCG den Breitenzuwachs in der Hundert-Millionen-Klasse. Beides zusammengenommen ergibt ein klares Bild: Die Politik ist gefordert, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Nicht mit Symboldebatten, sondern mit handwerklich soliden Reformen – von der Erbschaftsteuer über die Gleichbehandlung von Kapital- und Arbeitseinkommen bis zu mehr Transparenz und besserem Vollzug. Wer diese Debatten abräumt, schützt nicht den Mittelstand, sondern die Privilegien weniger.