Nikotin und das Scheingefecht um die E-Zigarette
Was ist Nikotin? – Eine Neubewertung
Teil I: Warum die E-Zigaretten-Debatte ein Scheingefecht ist
Nikotin: Schlüsselsubstanz der Dampf-Debatte
Mitch Zeller ist Director des Center for Tobacco Products at the U.S. Food and Drug Administration, kurz FDA. Das macht ihn zu einer mächtigen und ambivalenten Figur. Er hat entscheidenden Einfluss auf die künftige Regulierung der E-Zigarette in den Vereinigten Staaten, die wiederum Einfluss nehmende Signale an den Rest der Welt sendet.
Auch wenn die FDA wie die meisten Gesundheitsorganisationen nicht immer den intelligentesten Weg im Umgang mit dem Dampfen gehen mag, bezieht Mitch Zeller bereits seit einigen Jahren und immer vehementer eine außerordentlich faszinierende Position zur E-Zigarette.
Mitch Zeller ist der global eigentlich einzige ernstzunehmende Entscheidungsträger am Kopf einer Regierungsbehörde, der ausspricht, worum es bei der Dampf-Debatte eigentlich geht: Nämlich um die Bewertung von Nikotin und der Frage, ob sein Konsum in die Verantwortlichkeit von Gesundheitsbehörden fällt oder reine Privatsache ist.
In Zellers eigenen Worten: „Diese ganze Debatte sollte sich nicht um E-Zigaretten drehen, sondern eine Debatte über Nikotin sein, bei der E-Zigaretten eigentlich nur als Vorzeigemedium fungieren“ („It shouldn’t be a debate about e-cigs, it should be a debate about nicotine with e-cigs as the poster child of that debate.“).
Nun würde diese Position für sich genommen der E-Zigarette nicht wirklich weiterhelfen, falls dahinter lediglich die Überzeugung stünde, Nikotin sei eine suchterzeugende, gesundheitsgefährdende Substanz, die schlicht verboten oder medizinisch stranguliert/ reguliert gehört.
Doch davon geht Zeller nicht aus.
Bei seinen Auftritten anlässlich des NATO-Tabakkongresses (National Association of Tobacco Outlets (NATO) im April diesen Jahres sagte er „Es wird argumentiert, dass wir Nikotin wie Koffein einstufen sollten. Ganz so sehe ich das noch nicht, aber ich stimme zu, dass wir unsere Sichtweise ändern müssen.“ („People have said we should treat nicotine like caffeine. I’m not there yet, but I do agree we have to think about it differently.“)
Natürlich ist es möglich, dass Zeller diese Schiene auf Weisung von oben fährt, um so der Tabaklobby über das Nikotin-Schlupfloch einen helleren Weg in die Zukunft zu weisen. Aber ungeachtet der Motive hat Zeller recht: In der ganzen Diskussion um das Dampfen geht es eigentlich um zwei Dinge – eine davon ist die Neubewertung des Nikotins.
Wie diese aussehen könnte und was sich dafür ändern müsste, darum dreht es sich in diesem Artikel (an vielen anderen Stellen auf Liquid-News finden sich zudem grundsätzliche Informationen zum Nikotin).
Das Risiko-Kontinuum
Zellers zweiter interessanter Ansatz ist der des sogenannten „Risiko-Kontinuums“. Die FDA ist intern soeben dabei, alle nikotinhaltigen Produkte einschließlich Tabakprodukten, Nikotinersatzpräparaten (Pflaster, Kaugummis etc.) und nikotinhaltigen Genussmitteln wie
E-Zigaretten auf einer Risiko-Skala zu positionieren. Auf dieser Basis soll dann entschieden werden, welche Produkte als „Tabakprodukte“, welche als Medikamente oder Therapeutika behandelt werden und welche als Konsumartikel mit einem vereinfachten Vertriebs- und Regulierungsmodus eingestuft werden sollen.
Das Risiko-Kontinuum geht davon aus, dass zwar alle voranstehenden Produkte dasselbe Ziel verfolgen, nämlich die Verabreichung von Nikotin – dass die Toxizität der entsprechenden Produkte aber dramatisch voneinander abweicht. Auf einem Ende der Skala steht die konventionelle Zigarette, deren Inhaltsstoffe offensichtlich mit Blick auf die Aufrechterhaltung einer Abhängigkeit zusammengestellt werden. Am anderen Ende des Spektrums sind medizinische Produkte angesiedelt, weil sie Sucht abbauen helfen, medizinisch geprüft sind und keinerlei Genussfaktor bieten.
Die Frage ist nun – wo auf diesem Risiko-Kontinuum soll die E-Zigarette angesiedelt werden? Und wer soll diese Einstufung auf welcher Datenbasis vornehmen?
Laut Zeller soll die Risikobewertung auf der Basis von Forschungsergebnissen und Umfragen geschehen – und nicht etwa das Ergebnis ideologie-basierter Vorurteile sein. Er sagt dazu „Mit mehr wissenschaftlichen Daten ausgestattet, sollen zukünftige Regulierungen die Positionierung eines Produktes auf dem Risiko-Kontinuum berücksichtigen.“ („Armed with more science, yes, future regulations should take into consideration a products‘ place on the continuum of risk.“)
Zu schön, um wahr zu sein?
Was hier Schein und was Sein ist – das muss sich noch herausstellen.
Was wir über die anstehenden Regulierungsabsichten der FDA wissen, ist: Die FDA hat zu diesem Thema drei öffentliche Anhörungen (Public Workshops) abgehalten; der erste Workshop beschäftigte sich mit einem besseren Verständnis des Produktes E-Zigarette, der zweite mit den Effekten des Dampfens auf den Konsumenten, der Dritte mit den Auswirkungen auf Dritte und die Gesellschaft. Alle drei Workshops sind als Videomitschnitte online gestellt (siehe Link) (sie laufen über mehrere Stunden, sind aber außerordentlich faszinierendes Material).
Die FDA hat zudem eine offene Einladung ausgesprochen, Kommentare aus der Öffentlichkeit entgegenzunehmen. Diese „Public Comment Period“ endete mit dem 02. Juli – nun heißt es abwarten. Wie auch immer die vielen Hundert Eingaben berücksichtigt werden – in Deutschland gibt es keinen auch nur annähernd vergleichbare Beteiligung engagierter Dampfer etwa in den Prozess der TPD-Ratifizierung.
Was allerdings absolut erstaunlich ist, ist, wie viel Zeit sich die FDA mit dem ganzen Prozess lässt – obwohl von Seiten führender amerikanischer Gesundheitsexperte und der WHO mächtig Druck auf die Behörde ausgeübt wird.
Bereits am 24. April 2014 hatte die Behörde nämlich angekündigt, sich in unmittelbarer Zukunft der Regulierung der Dampfe anzunehmen. Geschehen sollte dies im Rahmen des bereits 2009 vom Präsidenten unterzeichneten „Family Smoking Prevention and Tobacco Control Act“. Die FDA versprach, ihre „Tabak-Autorität“ auch auf zusätzliche, damals wie heute noch unregulierte „Tabak-Produkte“ zu erstrecken, die sie zuvor nicht abgedeckt hatte. Dazu sollten neben E-Zigaretten auch Zigarren, Pfeifentabak, Nikotin-Gels, Wasserpfeifen-Tabak und sich auflösende Produkte wie Nikotinstreifen sein (bis jetzt reguliert die FDA in den USA nur Zigaretten, Zigarettentabak und Burn-not-Heat Tabakprodukte).
Geschehen ist seit dieser vollmundigen Ankündigung legislativ – nichts. Stattdessen wurde oben beschriebener, extensiver Meinungsforschungsprozess angeschoben, der hinsichtlich Umfang und Bürgerbeteiligung beispiellos in der Geschichte der E-Zigarette-Regulierung weltweit ist.
Den Hardlinern unter den E-Zigaretten-Kritikern allerdings geht dieser Softie-Approach (den manche Demokratie nennen würden) viel zu schleppend. Sie machen sich vor allem Sorgen um den nicht existenten Jugendschutz. Im April diesen Jahres haben die 31 wichtigsten US-Gesundheitsorganisationen Präsident Obama deshalb einen mehr als deutlichen Brief geschrieben, indem sie die FDA für ihr langsames Vorgehen kritisieren.
Eine Neubewertung des Nikotin
Dass Zeller sich davon nicht aus der Ruhe bringen lässt, zeigt, dass es hier um eine strukturelle Neuorientierung geht.
Bonnie Herzog ist eine der interessantesten Analystinnen der gegenwärtigen Diskussion. Und das, obwohl weil sie von der Seite des Gegners kommt, nämlich eine Unternehmensberaterin der Tabakkonzern beim Big Player Wells Fargo ist.
Herzog fasst diese komplette Neuausrichtung der gesamten E-Zigaretten-Diskussion perfekt zusammen: „Die gegenwärtige E-Zigaretten/Dampf-Debatte hat sich auf Themen wie den Jugendschutz, die Risiken der Aromen und die Probleme des Marketings reduzieren lassen. Doch auch wenn diese wichtig sind: Sie ziehen die Aufmerksamkeit von den großen Zusammenhängen ab – und bei diesen geht es um die Frage des Nikotins“.
Was würde geschehen, wenn es nicht mehr um die E-Zigarette an sich ginge – sondern um die Frage, welches relative Risiko eigentlich tatsächlich von nikotinhaltigen Produkten ausgeht.
Weiterführende Links
Teil II: Nikotin eine Neubewertung
FDA Präsentation Mich Zeller über Nikotin
Tobacco Control: Reflections on the ‚endgame‘
Electronic Cigarettes and the Public Health
FDA proposes to extend its tobacco authority to additional tobacco products, including e-cigarettes
Brief an Präsident Obama
Studie zur Nikotinabhängigkeit
Historischer Verlauf um die Nicotin-Diskussion
Workshop Electronic Cigarettes and the Public Health
Bonnie Herzog’s Prognose
Weitere Themen
Anfechtungsklage gegen Artikel 20 der EU Tabakrichtlinie
Umsetzung der TPD2 in Deutschland: Die Prognose!
Temperaturgeregeltes Dampfen
Kann ich nur zustimmen. Deshalb weedrn die ersten Zfcge einer Zigarette, tief und intensiv inhalliert, bis ausreichend Nikotin und all die anderen Stoffe, sich im Kf6rper verteilen und die Wirkung sofort spfcrbar macht. Es we4re ein Witz, wenn es nicht so we4re.
Nikotin – genau das ist der Punkt. Einer Neubewertung von Risiken und Chancen wird wohl nur etappenweise funktionieren, da das Thema (in der Öffentlichkeit) von zu viel Angst und uralten, fest in die Hirne verankerten Vorurteilen behaftet ist. Das muss sich zuerst „schleichend auswachsen“. Der Weg zurück zum Kern der Thematik ist meines Erachtens aber der einzig sinnvolle und zielführende.
Auch wird es Zeit, die positiven Genuss- und Gesundheitsaspekte des Nikotins herauszustellen. Die Kaffee-Werbung macht es vor.