Wie die Zigarettenhersteller 2015 den eZig-Markt zurückerobern wollen
Tabak-Lobbyismus 2.0:
Wie die Zigarettenhersteller 2015 den eZig-Markt zurückerobern wollen
Fast hatten wir uns schon abgewöhnt, hinter politischen E-Zigaretten-Regulierungsentscheidungen die Lobbyarbeit der Tabakkonzerne zu vermuten – schließlich sind diese inzwischen ausnahmslos selbst auf den Dampf-Zug aufgesprungen. Doch nun zeigt ein Blick über den Teich, dass die Skorpione eben nicht anders können, als zu stechen. Denn natürlich sehen die Tabakkonzerne in unabhängigen eZig-Herstellern nach wie vor eine Konkurrenz, die es idealerweise auszuschalten gilt.
2015 wird das Jahr der Dampf-Regulierungen
2015 wird das Jahr sein, in dem die amerikanische Food and Drug Administration (F.D.A.) mit größter Wahrscheinlichkeit ihre Vorschläge zur legislativen Regulierung von rauchfreien, nikotinhaltigen Produkten vorlegen und Deutschland (wie auch alle anderen EU-Länder) seine eigene Gesetzgebung an die Vorgaben der neuen EU-Tabakrichtlinie anpassen wird.
Voraussichtlich wird die FDA E-Zigaretten als Tabakprodukte einstufen wollen. Als Folge müsste jedes momentan auf dem amerikanischen Markt noch frei erhältliche Dampf-Produkt einen Millionen Dollar teuren Genehmigungsprozess durchlaufen, um weiter vertrieben werden zu dürfen. Dieser Schritt würde für den schnell wachsenden eCig Markt (und damit für die Rettung tausender von Raucher-Leben) ein drastisches Entwicklungshemmnis darstellen.
Tabak-Multis wollen dies nutzen, um innovative Produzenten ausbluten lassen…
Noch wird der amerikanische, wie auch der deutsche, eCig-Markt von kleineren und mittleren Unternehmen bestimmt, die sich schnell und beweglich auf Zielgruppen- und Kundenbedürfnisse einstellen können. Durch ihre konstanten Innovationen und iterativ gesteuerte Produktoptimierungen tragen sie damit den Umstieg vom Rauchen aufs Dampfen entscheidend mit.
Für teure und langwierige Genehmigungsprozesse allerdings haben diese Entrepreneure keine Rücklagen. Anders natürlich die Tabakmonopolisten, deren Taschen immer noch überquellen vom Kapital, dass sie mit der Veräußerung toxischer Stoffe an Milliarden Menschen gemacht haben. Zwar zeichnen diese sich weder durch Innovationsfreude noch durch Interesse an der Gesundheit des Kunden aus – aber sie können auf dem Polster ihrer Zinseszinsen auch langwierige Genehmigungsprozess aussitzen.
…weil sie selber aufs falsche Produkt gesetzt haben
Es gibt noch einen Grund für die plötzlich wieder aufgenommene Lobbyarbeit und die Kooperationsfreude, mit der Big Tabbaco sich in die Arme der FDA stürzt. Bis etwa Mitte 2013 entfiel der Löwenanteil des amerikanischen Dampf-Umsatzes auf die sogenannten ‚cigalikes‘, Einweg-E-Zigaretten oder einfache Geräte der ersten Generation, die häufig noch wie Zigaretten aussahen und in denen lediglich bereits abgefüllt gekaufte Liquid-Kartuschen auszutauschen waren.
Auf diese Produkte hatten sich die Tabakkonzerne, allen voran Altria und Reynolds American, konzentriert, als sie 2014 auf große E-Zigarettenhersteller Shoppingtour gegangen waren oder eigene Produkte entwickelt hatten. Plötzlich tauchten die Cigalikes in alle großen Warenhäusern, Supermärkten und Tankstellen auf, die bereits Vertriebsverträge mit den Tabakmultis hatten.
Doch bereits Ende 2013 begann sich das Dampfverhalten weltweit zu verändern. Es stellte sich heraus, dass diese Geräte der ersten Generation ein minderwertiges Dampferlebnis und damit für Raucher nicht genügend Motivation für einen Umstieg boten. Sie waren unflexibel, ohne individuelle Anpassungsmöglichkeiten bezüglich Liquidmischungen und Dampfgewohnheiten. Immer öfter und immer schneller wechseln deshalb neue Dampfer zu Geräten der zweiten und dritten Generation, die die Tabakfirmen (bis auf Philip Morris) allerdings nicht in ihren Portfolios führen.
Unabhängige Hersteller könnten mit ihren Geräten weit an den Konzernen vorbeiziehen
In einer in Industriekreisen mittlerweile berühmt gewordenen Präsentation (siehe Weiterführende Links) des Finanzdienstleistungsunternehmens Fargo Wells behauptete die Analystin Bonnie Herzog nicht nur, dass der Verkauf von E-Zigaretten den Umsatz mit Tabakzigaretten innerhalb der nächsten zehn Jahre überholen könnte. Sie schockte die Big Player auch mit den Ergebnissen interner Umfragen, nach denen die sogenannten „“Tank” Style bzw.“Open System” Verdampfer von Händlerseite als zunehmend beliebter wahrgenommen werden.
Herzog berechnete die Umfrageergebnisse hoch. Sie kam zu dem Schluss, dass ‚Cigalikes‘ von Altria & Co. zwar bis Ende 2014 etwa eine Milliarde Dampfer-Dollar generieren würden. 1,5 Milliarden Dollar aber würden in selbst befüllbare und ultimativ preiswertere Geräte der zweiten und dritten Generation fließen – also jene Produkte, die von kleinen, spezialisierten Unternehmen hergestellt und vertrieben werden.
Diese Tatsache können die großen Tabakkonzerne natürlich nicht auf sich sitzen lassen – schließlich würde das bedeuten, dass sie tatsächlich auf Dauer Kunden verlieren, statt ihre alten behalten und noch neue dazuzugewinnen. Ihre in hermetisch von der realen Welt abgeschotteten Marketingabteilungs-Hinterzimmern entworfene Vorstellung, dass alle marken-treuen Marlbororaucher herdengleich ab dem Tag X nur noch die Einweg-eCigs Mark Ten (beziehungsweise ein bisher nur angekündigtes, direkt mit Marlboro verlinktes neues Dampf-Produkt) konsumieren würden, löst sich gerade vor ihren Augen in Luft auf.
Aus dem massenhaften Kundenexodus sehen die Tabakmultis nur einen Weg: Die Weg-Regulierung der ungeliebten, weil erfolgreichen Konkurrenz.
Philipp Morris & Co. werden zu Menschenfreunden
Reynolds American (der notorische ‚Camel‘-Produzent) etwa fordert die FDA mit dünn verhüllten Gutmensch-Argumenten dazu auf, dem gesetzgebenden Kongress ein Verkaufsverbot aller selbst befüllbaren Verdampfer und dazugehörigen nikotinhaltigen Liquids vorzuschlagen – ein Ratschlag, der dem Unternehmen eine 119-Seiten Präsentation wert war.
Dessen Quintessenz fasst Reynolds-Sprecher David Howard so zusammen: „Wir finden, die FDA sollte den Verkauf oder das Marketing solcher Produkte nicht zulassen. Wir glauben, dass diese offenen Verdampfersysteme unvergleichliche öffentliche Gesundheitsrisiken bergen. Sie können sehr leicht gefälscht und unerlaubt verändert werden. Sie werden hauptsächlich in Übersee produziert, und zwar in Anlagen, die nicht den Regulierungskriterien gemäß überwacht werden können. Viele der Nikotin-Liquids werden in nicht-kindersicheren Fläschchen verkauft und in Aromasorten angeboten, die die Jugend ansprechen sollen.“ Howards Kollegin Susan Cameron fügt noch hinzu: „Ein weiterer Grund ist, dass diese Tanks mit allem möglichen befüllt werden können – sie werden nicht immer genutzt, um Nikotin zu verdampfen.“
Auch Altria Group Inc. und Lorillard Inc (132 Seiten starke) haben ähnliche Empfehlungen an die FDA gerichtet. Sie betonen darin vor allem die angebliche Notwendigkeit exzessiver, teurer Testverfahren, um die Sicherheit einzelner Geräte nachzuweisen. In der Konsequenz wären diese so kostspielig, das sie zwei Drittel der unabhängigen eCig-Unternehmen vom Markt fegen würden.
In Deutschland wird derweil eine analoge Strategie gefahren, damit die neue EU Tabakrichtlinie möglichst Tabakkonzern-günstig ratifiziert wird. So hat Werner Barth, Deutschlandchef von Philip Morris, der Tageszeitung „Welt“ gesagt: „Ich halte es für notwendig, dass auch die E-Zigarette reguliert wird. Sie ist nicht frei von Risiken, und sie braucht gesetzliche Rahmenbedingungen“.
Wie soll ich nur meiner Erleichterung Ausdruck verliehen, dass die Tabak-Multis endlich mit solcher Selbstlosigkeit für die Gesundheit aller, die Verhinderung von Tausenden von Raucher-Toten und das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen eintreten? Selbst die auf anderthalb Augen Lobby-erblindeten Politiker drüben wie hier sind hoffentlich in der Lage, diese Scharade zu durchschauen und nicht das Leben vieler zu riskieren, indem sie erfolgreiche Produkte zugunsten minderwertiger verbieten.
Weiterführende Links
Wells Fargo – Dallas March 2014
Winston-Salem Journal