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Die Persönlichkeiten im Bienenstock

Die Persönlichkeiten im Bienenstock

Warum Honigbienen nicht nur Schwarmtiere, sondern auch Individuen sind

Ein warmer Frühsommertag in Konstanz. Über den Wiesen summt es, und an den hölzernen Kästen der universitätseigenen Bienenvölker herrscht geschäftiges Treiben. Tausende Arbeiterinnen starten und landen, jede mit einer Aufgabe: Nektar sammeln, Wasser holen, Waben kühlen. Doch an den Eingängen stehen andere bereit – die Wächterinnen. Sie sind es, die den Stock im Ernstfall verteidigen. Und genau sie haben die Forscherinnen und Forscher der Universität Konstanz in den Blick genommen.

Die verborgene Individualität der Bienen

Lange galt das Bienenvolk als Sinnbild des Kollektivs. Wie Zahnräder greifen die Tiere ineinander, so schien es. Doch die jüngste Studie von Neurobiologin Morgane Nouvian offenbart ein anderes Bild: Nicht jede Wächterbiene reagiert gleich. Während manche sofort den Stachel zücken, bleiben andere erstaunlich gelassen – selbst dann, wenn Bedrohung im Raum steht.

„Manche Bienen sind einfach aggressiver, andere fast schon freundlich“, sagt Nouvian. „Sie haben also eine Art Persönlichkeit.“ Das widerspricht dem alten Bild vom Bienenstaat, in dem das Individuum im Schwarm aufgeht.

Alarm im Stock – und die unsichtbare Bremse

Kommt es doch zum Stich, setzt die Biene ein Alarmpheromon frei. Es duftet scharf nach Bananenschale und wirkt wie ein Schlachtruf: Sofort eilen andere Wächterinnen herbei, bereit, ebenfalls zuzustechen. Doch die Eskalation hat Grenzen. „Sobald genug Bienen gestochen haben, stoppt die Angriffswelle“, erklärt Giovanni Galizia, Professor für Neurobiologie und Mitautor der Studie. „Es wäre zu teuer, wenn ein Volk hunderte Verteidigerinnen opfern würde.“

So zeigt sich: Selbst in höchster Alarmstimmung sorgt das Volk für ein Gleichgewicht – ein Zusammenspiel von Individuum und Kollektiv.

Treue zum eigenen Charakter

Die Forschenden testeten einzelne Bienen wiederholt. Das Ergebnis überraschte: Die Tiere blieben ihrem Verhalten treu. Wer im ersten Versuch nicht stach, tat es auch beim zweiten, dritten und vierten nicht. Wer hingegen zustechen wollte, tat es fast immer. Weder die Gruppe noch die Duftstoffe der Artgenossinnen konnten die Grundeinstellung ändern.

Damit rückt die Individualität in den Mittelpunkt. Der Schwarm ist nicht nur einheitliche Masse – er ist ein Mosaik aus Persönlichkeiten.

Was der Schwarm uns lehrt

Für die Konstanzer Biologen ist der Bienenstock mehr als ein Forschungsobjekt. Er ist ein Modell, das hilft, das Zusammenspiel von Individualität und Gemeinschaft zu verstehen – sei es in sozialen Systemen, in der Politik oder in der Technik.

Galizia zieht den Vergleich zum autonomen Fahren: „Wie viel Individualität darf ein Auto haben, wie sehr muss es sich der Gruppe anpassen? Die Bienen zeigen uns, dass Vielfalt im Verhalten nicht zum Chaos führt, sondern Stabilität erzeugt.“

Fazit

Der Blick in den Bienenstock enthüllt ein Paradox: Je individueller die Tiere sind, desto stabiler wird das Ganze. In der Summe der Unterschiede liegt die Stärke des Schwarms – und vielleicht ein Schlüssel, den auch unsere Gesellschaft und Technologien erst noch zu begreifen haben.