Coca-Cola: Süßer Gewinn, bitterer Müll
Wie der Weltkonzern seine Plastikrechnung der Allgemeinheit überlässt – und Aktionäre weiter Kasse machen
An Stränden von Manila, in Flussmündungen vor Lagos, in Straßengräben in Lateinamerika – überall taucht dieselbe Ikone auf: die rot-weiße Flasche. Coca-Cola ist längst nicht nur ein Getränk, sondern ein globales Abfallphänomen. Rund 300 Millionen Flaschen pro Tag, über 100 Milliarden pro Jahr, schätzen Beobachter.
Doch während der Konzern Jahr für Jahr Milliardengewinne an seine Aktionäre ausschüttet, zahlen andere die Rechnung: Kommunen, Steuerzahler – und die Ökosysteme, in denen der Müll landet.
Der Plastikkonzern hinter der Kultmarke
2019 musste Coca-Cola zum ersten Mal offenlegen, wie viel Plastik der Konzern tatsächlich einsetzt: rund 3 Millionen Tonnen Kunststoffverpackungen pro Jahr, gemeldet an die Ellen-MacArthur-Stiftung. Das entspricht etwa 200.000 Flaschen pro Minute, hochgerechnet etwa 108 Milliarden Flaschen pro Jahr.
Neuere Analysen zeigen: Es bleibt nicht bei dieser Menge. Der Plastikverbrauch des Konzerns ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen – auf zuletzt rund 3,4 Millionen Tonnen jährlich. Die Zahl der verkauften Einweg-Plastikflaschen kletterte im gleichen Zeitraum von etwa 117 auf rund 137 Milliarden pro Jahr.
Bleibt alles wie bisher, dürfte Coca-Cola bis 2030 deutlich über 4 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr verbrauchen. Hunderttausende Tonnen davon könnten in Flüsse und Meere gespült werden.
Gleichzeitig notiert der Konzern Rekordgewinne: In den vergangenen Jahren weist Coca-Cola Nettoergebnisse im Bereich von 9,5 bis über 10 Milliarden US-Dollar pro Jahr aus.
Weltmeister im Müll – laut Daten, nicht Aktivistenparolen
Seit mehreren Jahren tragen Umweltorganisationen den gleichen Namen an die Spitze ihrer „Müllhitlisten“: Coca-Cola. Die Bewegung Break Free From Plastic lässt weltweit Müllsammelaktionen durchführen und Marken auf den weggeworfenen Verpackungen erfassen. Ergebnis der Brand Audits: Coca-Cola bleibt globaler Plastikverschmutzer Nummer eins, mit mehr identifizierten Abfallteilen als jeder andere Konzern.
Eine im Fachjournal veröffentlichte Analyse von gebrandetem Plastikmüll kommt zu einem ähnlichen Befund: Demnach ist Coca-Cola allein für einen hohen einstelligen bis zweistelligen Prozentanteil des weltweit erfassten Marken-Plastikabfalls verantwortlich – deutlich mehr als jede andere Firma.
Der größte Softdrinkhersteller der Welt ist damit faktisch auch ein globaler Abfallkonzern – nur ohne eigene Deponien und ohne eigene Müllverbrennungen. Die Entsorgung übernehmen andere.
Die unsichtbare Rechnung: Wer zahlt für den Dreck?
Was kostet der Plastikberg von Coca-Cola die Allgemeinheit? Eine exakte Zahl gibt es nicht – der Konzern muss diese Kosten nicht bilanzieren. Aber Umweltökonomen haben versucht, den Schaden in Geld auszudrücken.
Eine Studie des UN-Umweltprogramms schätzt die „Naturkapital-Kosten“ des Plastikeinsatzes im Konsumgütersektor auf Dutzende Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dazu zählen Klimaschäden, Luft- und Wasserverschmutzung sowie Schäden an Meeresökosystemen. Allein für Plastik in den Ozeanen nennen die Experten eine zweistellige Milliardensumme – nach eigener Einschätzung eher konservativ.
Rechnet man diese Größenordnungen grob auf Coca-Colas Plastikmenge hoch, landet man schnell in einem empfindlichen Bereich: Mehrere Milliarden US-Dollar externe Umweltkosten pro Jahr – also etwa zwei bis drei US-Cent pro Flasche, die nicht Coca-Cola, sondern andere tragen müssen: Kommunen, Steuerzahler, betroffene Regionen.
Es ist eine grobe, aber anschauliche Rechnung: Während Aktionäre Dividenden kassieren, subventioniert die Weltöffentlichkeit gewissermaßen jede Flasche mit ein paar unbezahlten Umwelt-Cents.
Coca-Cola wusste es – schon vor 50 Jahren
Besonders heikel: Coca-Cola kann sich kaum darauf berufen, von all dem nichts gewusst zu haben. Im Gegenteil – der Konzern gehört zu den Pionieren der Umweltbilanzierung.
Bereits 1969 beauftragte Coca-Cola das Midwest Research Institute mit einer umfassenden Ökobilanz verschiedener Getränkeverpackungen – eine der ersten Life-Cycle-Analysen überhaupt. Die Forscher verglichen Einwegdosen, Einwegflaschen und wiederbefüllbare Glasflaschen in Kategorien wie Energieverbrauch, Luft- und Wasserverschmutzung oder Abfallmenge.
Das Ergebnis: Mehrweg-Glas schnitt in fast allen Umweltkategorien besser ab als Einwegverpackungen. Trotzdem setzte Coca-Cola in den folgenden Jahrzehnten massiv auf genau jene Einwegverpackungen, die in der eigenen Studie schlechter abgeschnitten hatten: erst Dosen, dann Plastikflaschen. Begründung intern wie extern: billiger, praktischer, wachstumsfreundlicher.
Recycling als Beruhigungspille
Wenn Coca-Cola heute kritisiert wird, verweist der Konzern gerne auf sein Programm „World Without Waste“. Die Ziele klingen ambitioniert: Bis 2025 sollen 100 Prozent der Verpackungen weltweit recycelbar sein. Bis 2030 will man im Durchschnitt 50 Prozent recyceltes Material in Flaschen und Dosen einsetzen und für jedes verkaufte Gebinde eine entsprechende Menge wieder einsammeln.
In der Realität bleibt der Kunststoffstrom jedoch hoch – und wächst weiter. Der Anteil von Einweg-Plastikflaschen am Verpackungsmix ist nicht gesunken, in vielen Märkten sogar gestiegen.
Gleichzeitig gerät die Erzählung vom „geschlossenen Recyclingkreislauf“ juristisch unter Druck. Mehrere Klagen in den USA werfen Coca-Cola und Wettbewerbern vor, Verbraucher mit übertriebenen Recyclingversprechen in die Irre zu führen. Die Flaschen würden zwar als „recycelbar“ beworben, tatsächlich landeten aber große Mengen in Deponien, Verbrennungsanlagen oder direkt in der Umwelt.
Hinzu kommt: Kunststoff kann nur begrenzt oft recycelt werden, Qualitätsverluste führen schnell zum Downcycling. Das Versprechen eines quasi endlosen Kreislaufs bleibt damit Illusion.
Das geräuschlose Ende der Mehrweg-Versprechen
Unter Druck von NGOs und Investoren hatte Coca-Cola 2022 angekündigt, 25 Prozent aller Getränke bis 2030 in Mehrweg- oder nachfüllbaren Verpackungen zu verkaufen. Ein Schritt zurück Richtung wiederverwendbarer Flasche, der Umweltschützer vorsichtig hoffen ließ.
Doch wenig später meldeten Organisationen Alarm: Coca-Cola habe dieses Mehrwegziel leise relativiert und setze stattdessen wieder stärker auf recyceltes Einwegplastik und Sammelquoten. Eine Kurskorrektur, die Meeresschützer als klassisches Greenwashing kritisieren.
Die Prognosen sind entsprechend düster: Hält der Konzern am jetzigen Kurs fest, wird sein jährlicher Plastikeinsatz bis 2030 weiter steigen – und mit ihm die Menge an Flaschen, die in Meeren und Flüssen landet.
Wer verdient – und wer zahlt?
An der Börse ist Coca-Cola ein Liebling der Langfristanleger. Berkshire Hathaway, die Investmentholding von Warren Buffett, hält rund neun Prozent der Anteile, große Vermögensverwalter wie Vanguard und BlackRock jeweils weitere hohe einstellige Prozentsätze.
Sie alle profitieren von einem Geschäftsmodell, in dem ein wesentlicher Kostenblock – die Umwelt- und Entsorgungsfolgen der Verpackungen – nicht im Konzernabschluss auftaucht, sondern auf die Allgemeinheit ausgelagert wird.
Ökonomisch gesprochen handelt es sich um ein Schulbuchbeispiel externalisierter Kosten: privatisierte Gewinne in Form von Dividenden und Kursgewinnen, sozialisierte Schäden in Form von Müllgebühren, Küstenreinigungen, gesundheitlichen Risiken und Verlust an Biodiversität.
Solange diese Rechnung nicht gedreht wird, bleibt jeder „Recycle me again“-Aufdruck auf der Flasche vor allem eines: ein höflich formuliertes Alibi.
Was sich ändern müsste
Aus Sicht von Umweltökonomen und Gerechtigkeitsdebatte liegt die Lösung auf der Hand – politisch ist sie heikel:
- Verbindliche Plastikabgaben oder Lenkungssteuern auf Einwegverpackungen, die die realen Umweltkosten näher an den Produktpreis bringen.
- Erweiterte Produzentenverantwortung, bei der Konzerne wie Coca-Cola die Kosten für Sammlung, Recycling und Reinigung deutlich stärker mitfinanzieren.
- Quoten für Mehrweg und Refill statt unverbindlicher Konzernziele – etwa verpflichtende Mindestanteile wiederverwendbarer Verpackungen.
- Transparenzpflichten über die tatsächlichen Umweltkosten je Verpackung, damit Verbraucher, Investoren und Politik nicht länger im Dunkeln tappen.
Solange all das ausbleibt, bleibt das Fazit schlicht: Die Profiteure des Systems werden immer reicher – und sie tun es auf Kosten der Allgemeinheit.
Doku „Coca-Cola und das Plastikproblem“
Die ZDFinfo-Dokumentation „Coca-Cola und das Plastikproblem“ ergänzt die Debatte um den Getränkekonzern um eine wichtige Perspektive. Der Film zeichnet nach, wie Coca-Cola vom geschlossenen Mehrwegsystem der 1950er-Jahre – Glasflaschen, die gesammelt, gewaschen und wiederbefüllt wurden – schrittweise auf Einweg-Plastikflaschen umgestellt hat. Gleichzeitig zeigt die Doku, dass der Konzern immer wieder ehrgeizige Versprechen zur Reduzierung von Plastikmüll abgegeben, diese Ziele jedoch in der Praxis häufig verfehlt hat.
Im Zentrum steht die aktuelle Strategie „Eine Welt ohne Müll“. Coca-Cola verspricht, alle Verpackungen zu 100 Prozent recycelbar zu machen, bis 2030 für jede verkaufte Flasche oder Dose eine entsprechende Einheit einzusammeln und zu recyceln und Flaschen zu 50 Prozent aus Rezyklat herzustellen. Kritiker im Film bezweifeln jedoch, dass ein Ansatz, der fast ausschließlich auf Recycling setzt, das Problem lösen kann. Wiederbefüllbare Flaschen gelten ihnen als wirksamere Lösung, weil sie die Gesamtmenge an Plastik deutlich reduzieren und die überlasteten Abfallsysteme entlasten würden. Die Doku stellt damit die zentrale Frage, ob Coca-Cola als weltgrößter Hersteller von Erfrischungsgetränken wirklich eine Trendwende beim Plastikmüll einleiten kann – oder ob „eine Welt ohne Müll“ am Ende doch nur ein PR-Versprechen bleibt.
Quellen & weiterführende Links
- The Guardian: „Coca-Cola admits it produces 3m tonnes of plastic packaging a year“
– erste Offenlegung von ca. 3 Mio. Tonnen Plastikverpackungen und 200.000 Flaschen pro Minute. - UNEP / Trucost: „Valuing Plastic – The Business Case for Measuring, Managing and Disclosing Plastic Use“
– zentrale Studie zu den globalen Umweltkosten von Plastik. - Oceana: „Coca-Cola’s World With Waste“
– Analyse von Plastikverbrauch, Flaschenzahlen und Projektionen bis 2030. - Break Free From Plastic: Global Brand Audit 2023
– stuft Coca-Cola erneut als weltweit größten Marken-Plastikverschmutzer ein. - Science Advances: „Global producer responsibility for plastic pollution“
– wissenschaftliche Auswertung der Brand-Audit-Daten, u. a. zu Coca-Colas Anteil am Markenmüll. - Coca-Cola: Pressemitteilung „World Without Waste“ (2018)
– offizielle Recycling- und Sammelziele des Konzerns bis 2030. - The Guardian: „Coca-Cola accused of quietly dropping its 25% reusable packaging target“
– Bericht über das Zurückfahren der Mehrweg-/Refill-Ziele. - Los Angeles County: Klage gegen PepsiCo und Coca-Cola (offizielle Mitteilung)
– Vorwurf irreführender Aussagen zu Recycelbarkeit und Umweltfolgen. - Macrotrends: Coca-Cola Net Income 2011–2025
– Übersicht über die Jahresgewinne des Konzerns. - Yahoo Finance: „The Coca-Cola Company (KO) – Major Holders“
– größte institutionelle Aktionäre wie Berkshire Hathaway, Vanguard, BlackRock.


