E-Zigarette: BGH-Richter sehen EU-Recht auf ihrer Seite

E-Zigarette: BGH-Richter sehen EU-Recht auf ihrer Seite

Es hätte auf der Hand gelegen, im Urteil darauf hinzuweisen, dass die Umsetzung des TPD es umgehend wieder obsolet machen wird. Die Urteilsbegründung hätte, aufgrund ihres „Blicks zurück“ das TPD auch vollständig ignorieren können.

Doch weit gefehlt. Stattdessen betont der BGH im Urteilstext, dass seine Definition des rohtabak-nikotinhaltigen E-Liquids als Tabakprodukt die im TPD festgeschriebenen Einschränkungen der
E-Zigarette wesentlich ergänzt: (Teil B/ Pkt. 41/ Fettungen sind meine):

„Die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von
Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABl. EU L 127 vom 29. April 2014 S. 1 ff.), die in Deutschland derzeit noch nicht umgesetzt ist, sieht ihrerseits weitere Beschränkungen des Inverkehrbringens von elektronischen Zigaretten und ihren Nachfüllbehältern vor. Dies gilt etwa im Hinblick auf einen gleichbleibenden Nikotingehalt, der 20 mg/l nicht überschreiten darf, ferner im Hinblick auf das Gebot von Kennzeich-nungen, Warnhinweisen und Sicherheitsvorkehrungen.“

Mit „weitere Beschränkungen“ wird impliziert: Die TPD umfasst die Rechtsauffassung des BGH und wird E-Zigaretten darüber hinaus noch weiter einschränken.

Auch gemäß TPD sind viele Liquids Tabakprodukte

E-Zigarette: BGH-Richter sehen EU-Recht auf ihrer SeiteDas Ziel der TPD ist die Angleichung der „Vorschriften über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen“.

In diesem Satz finden sich die für das BGH-Urteil entscheidenden Begriffe: „Tabakerzeugnisse“ und „verwandte Erzeugnisse“.

Im TPD werden „elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter“ Tabakprodukten als „verwandte Erzeugnisse“ gleich gestellt, aber nicht als mit ihnen identisch deklariert. In Artikel 2, 16. wird die „elektronische Zigarette“ wie folgt definiert: „Ein Erzeugnis, das zum Konsum nikotinhaltigen Dampfes mittels eines Mundstücks verwendet werden kann, oder jeden Bestandteil dieses Produkts, einschließlich einer Kartusche, eines Tanks, und des Gerätes ohne Kartusche oder Tank. Elektronische Zigaretten können Einwegprodukte oder mittels eines Nachfüllbehälters oder eines Tanks nachfüllbar sein oder mit Einwegkartuschen nachgeladen werden.“

Diese Aussage bezieht sich klar auf die Hardware, also die Geräte, ob nun leer oder vorbefüllt, Einweg-, aufladbar und wiederbefüllbar, sowie die Nachfüllkartuschen. Als „Nachfüllbehälter“ wird ein Behältnis genannt, „das nikotinhaltige Flüssigkeit enthält, die zum Nachfüllen einer elektronischen Zigarette verwendet werden kann“ (Artikel 1, 17).

Bei Liquids spricht die TPD vor allem in Artikel 20 grundsätzlich von „nikotinhaltigen Flüssigkeiten“.

Das Urteil des BGH hingegen interessiert sich nicht für E-Zigaretten und deren Beschreibung und geht auf Geräte sowie nikotinfreie Liquids auch gar nicht ein.

Im BGH-Urteil geht es ausschließlich um Liquids und deren Definition. Und es definiert nur diejenigen nikotinhaltigen E-Zigaretten-Liquids als Tabakprodukte oder „Tabakerzeugnis“, deren Nikotin aus Rohtabak gewonnen wurde.

Damit ist es absolut auf einer Linie mit dem TPD, das Tabakerzeugnisse unter seinen Begriffsbestimmungen explizit wie folgt definiert: „Ein Erzeugnis, das konsumiert werden kann und das, auch teilweise, aus genetisch verändertem oder genetisch nicht verändertem Tabak besteht (Artikel 1, 4)“. Hier fällt sogar die Differenzierung „oral“ weg; es geht schlicht nur noch um den „Konsum“. Keine Frage: rohtabak-nikotinhaltige Liquids werden konsumiert und sie bestehen teilweise aus Tabak, im Gegensatz zu Liquids, deren Nikotin synthetisch ist.

 

Der vom TPD genutzte Begriff „nikotinhaltige Flüssigkeiten“ ist vollumfänglich, da er alle Liquids einschließt. Auch der Definition des TPD nach sind Liquids mit aus Rohtabak gewonnenem Nikotin „Tabakprodukte“. Sie macht sich lediglich nicht die Mühe, diese Differenzierung auszuformulieren, weil sie für die Belange der EU zunächst irrelevant ist – und weil unter Umständen längst hinter verschlossenen Türen mit den Mitgliedsstaaten vereinbart worden war, dass diese sie national vornehmen sollen (oder eben auch nicht).

Das BGH-Urteil fordert kein grundsätzliches Verbot; das macht es TPD-kompatibel

Tatsächlich wäre nach EU-Recht kein deutsches Gericht zum generellen Verbot von nikotinhaltigen Liquids befugt. Der Denkfehler ist es jedoch, eine andere nationale Gestaltungskompetenz zu übersehen: Nämlich die der Mitgliedsstaaten, in diesem Fall Deutschland, von der Herkunft des Nikotin auch seine juristische Einordnung abhängig zu machen.

Das BGH Urteil verbietet an keiner Stelle den Verkauf von Liquids mit aus Rohtabak gewonnenem Nikotin. Es verlangt lediglich (wenn man mal das ganze Verbraucherschutzgewäsch abzieht), dass dieses Liquid – da es ja ein Tabakprodukt ist – den Vorschriften für die Inhaltsstoffregelungen für Tabakprodukte entspricht. Und nun finden sich zufällig in so gut wie allen E-Liquids Zusatzstoffe, die in Tabakprodukten nun mal verboten sind – sowohl auf EU als auch auf nationaler Ebene.

Um es mal umgekehrt auszudrücken: Gemäß BGH-Urteil sind alle nikotinhaltige Liquids erlaubt, die nicht aus Rohtabak gewonnenes Nikotin enthalten; sowie alle Liquids, die zwar Rohtabak-Nikotin enthalten, aber keine anderen Inhaltsstoffe, die gemäß Tabakgesetz für Tabakwaren verboten sind.

Insofern verbietet das Urteil die Herstellung und den Verkauf von E-Liquids nicht, es schränkt nur die Zusammensetzung der legalen Liquids extrem ein. Und damit steht es auch nicht mehr im Widerspruch zum TPD. Das würde es nur, wenn es ein Verbot aller nikotinhaltigen Flüssigkeiten ausgesprochen hätte.

Nochmals anders formuliert, diesmal aus Sicht der EU: Die TPD gestattet E-Zigarettensysteme mit nikotinhaltigen Flüssigkeiten. Sie definiert einen Teilbereich dieser Flüssigkeiten ebenfalls als Tabakprodukte. Sie verbietet den EU-Mitgliedsstaaten an keiner Stelle, diese Tabakprodukte so zu behandeln, wie es die jeweils gültigen nationalen Tabakgesetze es vorschreiben – solange dies nicht mit den EU Richtlinien kollidiert.

Im Gegenteil

Die EU betont ausdrücklich, dass mit „dieser Richtlinie nicht sämtliche Aspekte der elektronischen Zigaretten oder Nachfüllbehälter harmonisiert werden… Es sollte dem einzelnen Mitgliedstaat unbenommen bleiben, zu Aspekten, die nicht durch diese Richtlinie geregelt werden, nationale, für alle in diesem Mitgliedstaat in Verkehr gebrachte Produkte nationale Rechtsvorschriften aufrechtzuerhalten oder aufzustellen, sofern diese Vorschriften mit dem AEUV vereinbar sind und die vollständige Anwendung dieser Richtlinie nicht gefährden.“ (Punkt 55 der einleitenden Begründung).

Nun, da die Kompatibilität des BGH-Urteil mit dem TPD wahrscheinlich scheint, welche nationalen Hürden hat dieses Urteil?

Einige juristische Kommentare werfen ihm vor, der „bislang überwiegenden Meinung in der juristischen Literatur sowie der Rechtsprechung (OVG Münster, Urteil vom 04.11.2014, 4 A 775/14)“ zu widersprechen (https://liquid-news.com/e-zigaretten/wp-content/uploads/2016/02/Bewertung-BGH-Urteil-08.02.2016-Kanzlei-Juravendis-beauftragt-durch-die-Happy-People-GmbH.pdf). Dieses Urteil führt aus, „es handele es sich bei der verdampften Flüssigkeit (Liquid) nicht um ein Tabakprodukt im Rechtssinne, weil sie nicht zum Rauchen bestimmt sei.“

Natürlich kannten die BGH-Richter dieses Urteil – genau deshalb geben sie sich ja auf so vielen Seiten die Mühe, den Begriff des „Rauchens“ (was bisher einen Verbrennungsprozess implizierte) um den Begriff des „anderweitigen oralen Gebrauchs“ zu erweitern und gleichzeitig zu argumentieren, dass dieser bereits seit den Neunziger Jahren zur Definition dessen, was ein „Tabakprodukt“ sei, gültig wäre.

Das BGH tut also nichts anderes, als das OVG abzuwatschen, indem es ihm schlampige Begriffsauslegung unterstellt (natürlich implizit) und dieses seitdem richtungsweisende Urteil als nichtig hinstellt.

Die Relevanz des BGH-Urteils für das neue Tabakgesetz

Im Mai 2016 wird das Vorläufige Tabakgesetz durch eine neues, nationales Tabakerzeugnisgesetz und eine neue Tabakerzeugnisverordnung abgelöst („Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse“). Dieses ist noch nicht verabschiedet. Es befindet sich nach wie vor in der Entstehungsphase, wie auch die am 17.02. erfolgte Anhörung demonstriert.

Es ist für den Gesetzgeber durch die Grundsatzentscheidung des BGH ein relativ Leichtes, dessen Rechtsauffassung dessen, was ein „Tabakerzeugnis“ ist, noch in das Gesetz einzuarbeiten – da die Entscheidungen des BGH eben die Aufgabe haben, einen Leitcharakter für Gesetzgebungsprozesse zu entfalten.

Bereits die aktuellste Version des neuen Gesetzes beinhaltet im Punkt „Inhaltsstoffe von elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern“ folgende Regelung: „Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird ermächtigt… für elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter
die Verwendung bestimmter Inhaltsstoffe allgemein…sowie die Anwendung bestimmter Verfahren
beim Herstellen oder Behandeln zu verbieten oder zu beschränken…“.

 

Ich sehe im BGH-Urteil tatsächlich die Blaupause für einen bundesdeutschen Sonderweg, der alle Lobbys glücklich macht, während sich die Steuersäckel füllen. Dies soll gelingen, in dem der Markt säuberlich in drei E-Zigarettenkategorien aufgeteilt wird:

• aromafreie Rohtabak-Liquids auf Wasserbasis für die „Entwöhnung“ aus den Laboren der Pharmaindustrie, von Krankenkassen empfohlen und als Teil einer nicht verschreibungspflichtigen Rauch-Stopp-Therapie finanziert (hierfür ist keine Einordnung als Arzneimittel erforderlich)

• schwer regulierte, nikotinfreie Liquids mit eingeschränktem Aroma-Angebot auf dem freien Markt, als tabakverwandte Erzeugnisse besteuert

• relativ frei erhältliche Einweg-E-Cigs mit synthetischem Nikotin und eingeschränktem Aroma-Angebot aus den Händen der Tabakindustrie, als Tabakerzeugnisse besteuert

Dieser Plan kann aber tatsächlich nur aufgehen, wenn Liquids zu Tabakprodukten erklärt werden können.

Der Grundgesetz-Bruch des BGH gibt aber auch uns grünes Licht zu Handeln

Der Grundgesetz-Bruch des BGH gibt aber auch uns grünes Licht zu HandelnDoch halt: In obigem Zitat aus dem Tabakgesetzentwurf habe ich einen entscheidenden Satz ausgelassen: „…soweit dies zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsschäden erforderlich ist…“

Auf dieser Einschränkung sollten alle kommenden Proteste gegen die orchestrierte Totregulierung der E-Zigarette sich stützen.

Das ausgesprochene „Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen oder des gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind“, ist, auch nach Verständnis des BGHs ein Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung, die durch Art. 12 Abs. 1 GG „umfassend geschützt“ ist.

Der grundgesetzliche Schutzraum eines Einzelnen darf nur dann verletzt werden, so führt es das BHG selbst aus, „wenn die grundrechtsbeschränkende Norm durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist.“

Mit anderen Worten: Das TPD mag dem Gesetzgeber zwar das grundsätzliche Recht verleihen, bestimmte Güter als Tabakprodukte zu deklarieren. Wenn er dabei aber Grundgesetze verletzt, muss er auch weiterhin Gründe vorbringen, die „den Anforderungen an grundrechtsbeschränkende Normen genügen.“

Für das ursprüngliche Urteil sieht das BGH diesen Grund in der damals noch angenommenen „mögliche Gesundheitsgefährdung durch E-Zigaretten“, basierend auf einer Zusammenfassung der „Gesundheitlichen und rechtlichen Bewertung von E-Zigaretten“ des Deutschen Bundestages aus 2012 (Drucksache17/8772).

Damit mag es aufgrund der damals noch recht spärlichen Faktenlage gerade noch durchkommen.
Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ist dem nicht mehr so.

Das vorliegende Urteil würde zwar eine weitere Verschärfung des neuen Tabakgesetzes zunächst legitimieren. Die damit einhergehenden, massiven Grundrechtsverletzungen besonders im Hinblick auf die freie Berufsausübung und das Persönlichkeitsrecht, sind jedoch nicht zu rechtfertigen. Nach aktuellstem, wissenschaftlichem Erkenntnisstand stellen auch Rohtabaknikotin enthaltende Liquids bei einem gleichzeitig sorgsam exekutierten neuen Jugendschutz keine akute Gesundheitsgefährdung für die Allgemeinheit dar.

Wir werden um eine entsprechende Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wohl kaum herumkommen.

 

Weitere Themen

Teil I Wieso BGH-Urteil und TPD bestens vereinbar sind

Weiterführende Links
TPD: RICHTLINIE 2014/40/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
Vorläufiges Tabakgesetz
VD-EH
Zitate Prof. Fischer
Zitat Prof. Fischer: Die Augen des Revisionsgericht