Türkei: Stell dir vor es ist Bürgerkrieg und jeder schaut weg!

Türkei: Stell Dir vor es ist Bürgerkrieg und jeder schaut weg!

Tränengas statt frischer Luft – das ist der Alltag im Südosten der Türkei, zum Beispiel in Diyarbakir. Statt ruhiger Klänge ist die Luft erfüllt vom Dröhnen der Helikopter des türkischen Militärs und immer wieder fallen Schüssen. Menschen sterben kurz vor dem Jahreswechsel. Sind die Opfer ausschließlich Personen, welche der PKK zugeordnet werden können – einer Organisation, welche die Staaten der EU und die USA als Terrororganisation einstufen? Nein, es sind auch zahlreiche Zivilisten, die zum Beispiel im Stadtteil Sur gegen die Ausgangssperren verstoßen und dann getötet werden. Das Vorgehen, welches laut der Regierung der Türkei, der AKP oder AK Parti (Adalet ve Kalkınma Partisi, was übersetzt Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung oder Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung bedeutet) und Präsident Recep Tayyip Erdogan, die PKK treffen soll, richtet sich schwerpunktmäßig gegen die kurdische Zivilbevölkerung.

Exzessive Ausgangssperren gegen die Bevölkerung

Der westlichen Welt scheint nicht bewusst zu sein, was derzeit in der Türkei geschieht. Das ist auch nur möglich, weil die westlichen Medien sehr laut schweigen – möglicherweise um den Deal der Türkei, die als eine Art Türsteher den Strom der Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak abbremsen soll, nicht zu gefährden – und auch die Politik-Oberen der EU ständig bemüht sind, in andere Richtungen zu schauen. Was im Südosten der Türkei geschieht ist so, als würden durch deutsche Großstädte wie Düsseldorf, Köln, Hannover, München und Co Tag für Tag Panzer der Bundeswehr fahren, aus vollen Rohren feuern und das unterstützt von der hiesigen Polizei. Schwer vorstellbar? Nein, das ist die gelebte Realität in den kurdisch dominierten Regionen der Türkei. Und die Regierung macht nicht einmal einen Hehl daraus, verkündet lautstark, „man werde die PKK und ihre Unterstützer ausrotten“. Ja, von einer Ausrottung ist die Rede.

Der kurze Friede, den Erdogan gebrochen hat, um die Wahl zu gewinnen

Eigentlich sah es gut aus für die Kurden in der Türkei. Jedenfalls war das so lange der Fall, wie die AK Parti rund um den ehemaligen Premierminister und jetzigen Präsidenten Erdogan davon ausgehen konnte, die Stimmen der kurdisch dominierten Regionen des Landes sind ihr sicher. Als zu den Wahlen im Juli 2015 sich jedoch die HDP anschickte – eine linke und pro-kurdische Partei – die exorbitant hohe 10-Prozenthürde in der Türkei zu meistern, bzw. dieses nicht erwartete Kunststück sogar vollbrachte und die AKP damit um die Alleinherrschaft in der Türkei brachte, da war recht schnell jeder Friede vergessen. Um den nationalistischen Flügel der türkischen Wählerschaft anzusprechen, denn die religiöse Klientel der Muslime in der Türkei reichte nicht mehr für eine Alleinherrschaft, wurden die Kurden zum erklärten Ziel der Regierung. Hunderte von Menschen mussten seit den Wahlen im Sommer ihr Leben lassen. Und nur über die Social Media ist man auch in der restlichen Welt in der Lage, an diesem Völkermord, denn nichts anderes als ein heimlicher Genozid und eine ethnische Säuberung ist es, was die Türkei dort durchführt, teilzunehmen. Medial wird das Treiben des Autokraten Erdogan im Westen weitgehend verschwiegen. Ignoriert.

Der Kampf findet in den Wohngebieten statt

Vollmundig ließ der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, der als farblose Marionette des „Sultans“ Erdogan gilt und der in seinem Kabinett nur Gefolgsleute sowie Familienangehörige von Erdogan um sich weiß, verlauten, „Straße um Straße, Haus um Haus und Viertel um Viertel würden gereinigt und die PKK dort bekämpft“. Ja, martialisch hat man es gerne in der Türkei. Auch wenn diverse Menschenrechtsvereinigungen – einige der wenigen Menschen, die aus der Türkei offen berichten – der Regierung mitteilen, in den Häusern wären nur Frauen, Kinder, Alte und eben keine vermeintlichen Terroristen, so interessiert das die AK Parti wenig bis gar nicht. Die Vereinigung IHD spricht ganz offen das aus, was jeder Beobachter weiß: „Hier finden Angriffe gegen das kurdische Volk statt und das basierend auf der ethnischen Zugehörigkeit!“ Das nennt sich schlicht und ergreifend „Völkermord“ oder „Genozid“. Durchgeführt von einem NATO Mitgliedsland und dem Anwärter auf eine EU Mitgliedschaft.

Das beschämende Schweigen der EU

Mit großer Verwunderung wird in der kurdischen Regionen der Türkei das laute Schweigen der EU und auch der USA aufgefasst. Hatten sich die kurdischen Einheiten noch mit vollem Kampfeseifer gegen die drohenden Gefahren des IS gestellt, so wird nun verschämt zur Seite geschaut, wo sie zum Opfer werden – zum Opfer des türkischen Regimes. Wer darauf wartet, dass die Staaten der EU – inklusive Deutschland – das Morden verurteilen, der wird wohl lange warten müssen. Zu wichtig scheint der NATO Partner und EU Beitrittskandidat Türkei zu sein, wenn es um die Lösung der Flüchtlingskrise geht, als dass man ihn verärgern möchte. Und Erdogan ist leicht zu verärgern. Das zeigen weit mehr als 1.500 Zivilprozesse gegen Gott und die Welt, durch welche der Präsident Journalisten und Querdenken mundtot machen möchte. Mit Erfolg.

Doch selbst wenn sich Politiker der EU ein Bild machen wollen würden, sie wären dazu eher nicht in der Lage. Zu engmaschig ist das Netz, welches um die Sperrgebiete im Südosten gezogen wurden. Polizisten und Militärs sorgen dafür, dass Personenkreise, die sich einen Überblick verschaffen wollen, laut brüllend fortgeschickt werden. Bis an die Zähne bewaffnet werden die Gebiete gesichert. So soll verhindert werden, dass die Welt sieht, wie geht die Türkei mit den eigenen Bürgern um, wie ermordet der Staatsapparat des EU Beitrittskandidaten Zivilisten.

Die Gefahr von Seuchen wächst stündlich

Die Sperrgebiete – zum Beispiel in Diyarbakir – wächst quasi stündlich an. Straßen voller Unrat und Abfall, denn die Müllabfuhr hat längst die Arbeit eingestellt, gehören zum Alltag. Sämtliche Läden sind geschlossen, die Stadt steht quasi still und wartet auf den nächsten Angriff der Sicherheitskräfte. Erheben die Geschäftsleute ihre Stimme? Nein, denn sie sind so eingeschüchtert vom Regime der Türkei, dass sie Repressalien fürchten.

Es ist ein Schlachten und es geht gegen Kurden

Der Tot wüted in der Türkei

Das, was zum Beispiel auch die Bundesregierung rund um Angela Merkel nicht wahrhaben will, ist die Tatsache, dass es ein reines Schlachten ist, welches aktuell in der Türkei stattfindet. Während man in Istanbul, in Ankara oder in Izmir über die Flaniermeilen stolziert, das Leben dort in vollen Zügen genießt, blutet der Südosten und der Osten aus. Man stirbt einfach. Menschen, die wie der Student Serdil Cengiz (21 Jahre) einfach gegen die Ausgangssperren protestieren wollen, werden vorsätzlich mit einem Kopfschuss aus den Polizeiwaffen hingerichtet – um am Ende zu behaupten, er sei bewaffnet gewesen. Jeder der anwesenden Zeugen sagt deutlich aus, er habe keine Waffe getragen, doch das Wort eines Kurden zählt in der „Neuen Türkei“, wie Präsident Erdogan sie gerne nennt, nicht mehr. „Der Staat tötet unsere Kinder“, so sehen es die Kurden und das sicherlich nicht unberechtigt. Die Kurden selbst sehen sich in der aktuellen Lage nur noch auf einer Ebene mit dem Opfertieren, die in der Türkei zu Bayram gerne in Serie geschlachtet werden. Einfach so. Weil man es eben kann.

Bilder des Schreckens

Nicht nur, dass die Ausgangssperren, die ohne Unterbrechung an die zwei Wochen dauern, menschenrechtlich mehr als fragwürdig sind, auch die gesamte Infrastruktur wird zerstört. Der Stadtteil Tekel in Silvan könnte problemlos auch ein Stadtteil von Kobane sein, so zerschossen sind die Häuser. Es wird von Sniper-Schützen der Regime-Truppen berichtet, die auf Menschen schießen, die Tote bergen wollen, damit die nicht auf der Straße verwesen. Ältere Mitbürger müssen mit weißen Fahnen schwenkend über die Straße laufen, um überhaupt die Chance zu haben, einen Sanitäter oder Rettungswagen zu erreichen. Die türkische Armee, so Augenzeugen, mache nicht einmal mehr Halt vor Tieren der Anwohner, die einfach so abgeknallt werden. Kühe, Ziegen, Hunde – es wird auf alles geschossen, was sich bewegt. Voller Hass und blanker Zerstörungswut.

Die EU springt gedanklich zu kurz, beim Massenmorden in der Türkei wegzuschauen

Es wird wohl niemanden entgangen sein, dass die Länder der EU Gefahr laufen, einen Rechtsrutsch zu vollziehen. Basierend auf der Flüchtlingskrise und der imaginären Angst vor den Refugees. Um das nicht stattfinden zu lassen, will auch Deutschland Herr der Krise werden. Mit Hilfe der Türkei. Gegen eine „Kleinigkeit“ von 3 Mrd Euro. Etwas mehr als ein Taschengeld und die Türkei ist damit wohl weltweit der bestbezahlte Türsteher.

Und doch ist das Ganze – so sehr die Sorgen der Regierungen auch nachvollziehbar sind – gedanklich viel zu kurz gesprungen. Man mag so die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak in der Türkei halten, aber es wird darauf hinauslaufen, dass statt ihrer die Kurden kommen werden, weil sie nicht in der Türkei sinnlos niedergemetzelt werden wollen. Und wer will es ihnen verdenken? Durch das Wegschauen und das vorsätzliche Ignorieren der Morde in der Türkei wird nur ein weiterer Flüchtlingsschauplatz eröffnet, den beispielsweise Deutschland schon kennt. Denn es ist sicher nicht in Vergessenheit geraten, wie viele Kurden Asylanträge in Deutschland stellten, weil sie in der Türkei verfolgt wurden. Und weit entfernt davon, dass man Kurden als Kriegsflüchtlinge wird anerkennen müssen, ist man nicht mehr.

Die Realität im Südosten der Türkei

Friedlicher Protest wird niedergeschlagen

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Sieht so ein sicheres Herkunftsland aus?

Diyarbakir

Bild vom 21.12.2015 aus Diyarbakir

Diyarbakir

Bild vom 21.12.2015 aus Diyarbakir