Tempo 130: Was ein generelles Tempolimit Deutschland wirklich bringen würde
Ein Limit auf deutschen Autobahnen ist seit Jahren umstritten. Dabei sprechen viele Zahlen längst eine klare Sprache – für mehr Sicherheit, weniger Emissionen und niedrigere Kosten. Ein Überblick über die Vorteile einer einfachen, aber wirkungsvollen Maßnahme.
Von unserer Redaktion
Ein Auto rast mit 180 km/h über die A9. Kein Limit, keine Schranke. Für viele Autofahrer ist das ein Ausdruck von Freiheit. Für andere ein Risiko, das vermeidbar wäre. Kaum ein Verkehrsthema polarisiert so sehr wie das Tempolimit auf deutschen Autobahnen – ein internationaler Sonderweg. Doch was wäre, wenn Deutschland ein Tempolimit von 130 km/h einführen würde? Die Vorteile sind messbar – und vielfältig.
Klimafaktor Geschwindigkeit
Ein Tempolimit wäre eine sofort wirksame Maßnahme für den Klimaschutz. Nach Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA, Stand: 2023) könnte Deutschland mit Tempo 130 rund 6,7 Millionen Tonnen CO₂ jährlich einsparen. Das entspricht etwa fünf Prozent der Emissionen des gesamten Pkw-Verkehrs – oder den Emissionen von mehr als drei Millionen Mittelklassewagen mit Verbrennungsmotor.
Weniger Tempo bedeutet geringeren Luftwiderstand – und damit weniger Kraftstoffverbrauch. Schon bei Tempo 150 steigt der Verbrauch vieler Fahrzeuge um 20 bis 30 Prozent gegenüber Tempo 130 (Quelle: ADAC EcoTest 2021). Besonders SUV und schwere Fahrzeuge verursachen bei höheren Geschwindigkeiten überproportionale Emissionen. Die Maßnahme wäre kostenneutral und sofort umsetzbar – eine Seltenheit in der Klimapolitik.
Tödliche Freiheit
Freiheit auf der Autobahn hat ihren Preis. Deutschland zählt zu den wenigen Ländern ohne generelles Tempolimit – und belegt im europäischen Vergleich regelmäßig höhere Unfalltotenraten auf Autobahnen als Länder mit Tempolimit (Quelle: ETSC, European Transport Safety Council, PIN Report 2022).
Laut einem Gutachten im Auftrag des Bundestags (2021) könnten bis zu 140 Menschenleben pro Jahr gerettet werden, würde die Maximalgeschwindigkeit auf 130 km/h begrenzt. Dazu kämen bis zu 1.000 schwere Unfälle weniger – ein Rückgang um etwa 25 Prozent.
Auch der Verkehrsfluss profitiert: Homogenere Geschwindigkeiten verringern das Risiko von Auffahrunfällen, erleichtern das Einfädeln und reduzieren Staus – wie Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zeigen.
Ein leiser Fortschritt
Die Wirkung eines Tempolimits lässt sich nicht nur messen, sondern auch hören. Weniger Tempo bedeutet auch weniger Lärm. Schon eine Reduktion um zehn Stundenkilometer kann die Lautstärke um 1,5 bis 2 Dezibel (dB(A)) senken – das entspricht einer wahrnehmbaren Reduktion der Lärmbelastung, so eine Studie der LUBW Baden-Württemberg (Landesanstalt für Umwelt, 2019).
Für Anwohner entlang stark befahrener Autobahnen wäre das ein echter Gewinn an Lebensqualität – insbesondere nachts oder in lärmsensiblen Gebieten.
Kostenfaktor Benzin – und Nerven
Ein weiterer Vorteil: das Portemonnaie. Ein generelles Tempolimit würde laut Modellrechnungen der Agora Verkehrswende (2021) über eine Milliarde Liter Kraftstoff jährlich einsparen helfen. Bei heutigen Preisen entspricht das einer Ersparnis von rund 1,5 bis 2 Milliarden Euro pro Jahr – für Verbraucher, Unternehmen und Logistik gleichermaßen.
Auch der Faktor Stress wird oft unterschätzt. Wer schon einmal mit 130 km/h auf der mittleren Spur unterwegs war, während links Fahrzeuge mit 200 km/h überholen, weiß: Das freie Fahren ist nicht für alle gleich frei. Homogenere Geschwindigkeiten sorgen für ein entspannteres, vorausschauenderes Fahrverhalten – gerade auch für ältere Fahrer, Familien und internationale Gäste.
Ein Symbol mit Wirkung
Gegner eines Tempolimits argumentieren oft mit der Freiheit – und sehen im Limit einen symbolischen Eingriff. Doch Symbole können kraftvoll sein. In einer Zeit, in der der Verkehrssektor beim Klimaschutz hinterherhinkt, wäre Tempo 130 ein Signal: Deutschland meint es ernst.
In über 130 Staaten weltweit gelten allgemeine Tempolimits auf Schnellstraßen – darunter in Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Japan, Kanada und den USA. Nur Deutschland hält noch an einem Sonderweg fest.
Die Fakten sprechen eine klare Sprache – ökonomisch, ökologisch und verkehrstechnisch. Die Frage ist längst nicht mehr, ob ein Tempolimit sinnvoll wäre. Sondern: Warum es noch immer nicht gilt.
Fazit:
Tempo 130 wäre keine Revolution – aber ein Schritt mit spürbarer Wirkung. Für die Umwelt, für die Sicherheit, für das Miteinander auf der Straße. Was fehlt, ist der politische Wille, den Sonderweg zu verlassen.
Quellen und Referenzen
🔬 Klimaschutz & CO₂-Einsparung
- Umweltbundesamt (UBA):
„Klimawirkung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen“
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/klimawirkung-eines-generellen-tempolimits - Agora Verkehrswende – Faktencheck Tempolimit (2021):
https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/faktencheck-tempolimit/
🚗 Verbrauch & Energieeffizienz
- ADAC EcoTest – Auswirkungen von Geschwindigkeit auf Verbrauch:
https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/abgas-diesel-fahrverbote/abgasuntersuchung/tempolimit/ - Studie IFEU (Institut für Energie- und Umweltforschung):
Auswirkungen eines Tempolimits auf Energieverbrauch
https://www.ifeu.de/tempolimit-studie
⚠️ Unfallzahlen & Verkehrssicherheit
- Bundestags-Gutachten zum Tempolimit (Wissenschaftlicher Dienst, 2021):
https://www.bundestag.de/resource/blob/866552/3b9bca8c3a57433a92fcae5fbb4fd3fb/WD-5-020-21-pdf-data.pdf - Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt):
https://www.bast.de/BASt_2017/DE/Verkehrssicherheit/Publikationen/Verkehrsunfallforschung/Downloads/2023-Tempo-130.html - ETSC PIN Report (European Transport Safety Council):
https://etsc.eu/pinflash43
🔊 Lärmbelastung
- LUBW Baden-Württemberg – Lärmwirkung durch Tempolimits (2019):
https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/laerm/geschwindigkeitsreduktion
🌍 Internationaler Vergleich
- OECD/ITF – Road Safety Annual Report:
https://www.itf-oecd.org/road-safety-annual-report-2023 - Wikipedia-Überblick Tempolimits weltweit (für Orientierung):
https://de.wikipedia.org/wiki/Höchstgeschwindigkeit