Dieter Birnbacher: Was ist Natürlichkeit?
Natürlichkeit zwischen dem Gewordenen und dem Gemachten
Dieter Birnbacher beschäftigt sich in seinem Text „Natürlichkeit“ mit der Unterscheidung zwischen dem Gewordenen und dem Gemachten in der Welt. Er betont, dass die meisten Dinge weder rein künstlich noch rein natürlich sind, sondern sich auf einem Spektrum zwischen diesen beiden Polen befinden. Diese Unterscheidung ist entscheidend für unsere Orientierung in der Welt.
Birnbacher führt die Begriffe genetische und qualitative Natürlichkeit sowie genetische und qualitative Künstlichkeit ein. Genetisch bezieht sich auf die Entstehung, während qualitativ die Beschaffenheit und Erscheinung betrifft. Etwas genetisch natürlich Entstandenes hat einen natürlichen Ursprung, während qualitativ Natürliches sich nicht von der gewordenen ursprünglichen Natur unterscheidet. Er betont, dass nichts in der Welt ganz und gar künstlich oder ganz und gar natürlich ist, da alles Künstliche einen physischen Träger hat, dessen Grundbestandteile oft natürlich sind.
Die Aussage „Das meiste auf dieser Welt ist weder rein künstlich noch rein natürlich. Was wir kennen, liegt dazwischen“ bedeutet, dass die meisten Dinge in unserer Welt eine Mischung aus Natürlichkeit und Künstlichkeit sind. Es gibt selten klare Grenzen zwischen dem, was rein natürlich und rein künstlich ist. Diese Feststellung unterstreicht die Komplexität und Vielschichtigkeit der Welt um uns herum.
In Bezug auf die Frage, ob Natürlichkeit einen Wert hat, geht Birnbacher darauf ein, dass die Werbung oft die Vorstellung vermittelt, dass Natürliches besser sei als Künstliches. Dieser Gedanke spiegelt sich in unserer Vorliebe für natürliche Produkte wider, sei es beim Essen oder in anderen Lebensbereichen. Birnbacher stellt fest, dass die Natur oft positiver bewertet wird, selbst wenn natürliche Probleme als weniger besorgniserregend erscheinen als von Menschen verursachte Probleme.
Die Bewertung von Natur als positiv lässt sich in einem Schaubild zusammenfassen, das verschiedene Aspekte wie Gesundheit, Umweltfreundlichkeit und Authentizität berücksichtigt. Natürlichkeit kann als Norm für unser Handeln dienen, da sie oft als moralische Richtlinie betrachtet wird. Allerdings weist Birnbacher darauf hin, dass die Natur selbst nicht immer den Erwartungen moralischen Verhaltens entspricht, was ein Argument gegen ihre Verwendung als alleinige Leitlinie sein könnte.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In „Natur als Maßstab menschlichen Handelns“ diskutiert Dieter Birnbacher die ethische Dimension des Begriffs „Natur“ und seiner Ableitungen wie „natürlich“, „naturgemäß“, „unnatürlich“ und „naturwidrig“. Er beleuchtet die Vieldeutigkeit dieser Begriffe in ethischen Kontexten und hebt dabei hervor, dass trotz ihrer verschiedenen Interpretationen eine durchweg positive Konnotation dem „Natürlichen“ zugeschrieben wird.
Birnbacher führt das Konzept des „Naturrechts“ an, bei dem das „Natürliche“ dem positiven Recht übergeordnet ist, und betont die ethische Überlegenheit des „Natürlichen“ gegenüber dem „Unnatürlichen“. Dabei stellt er fest, dass die Interpretation dieser Überlegenheit variabel ist und in der Gesellschaft unterschiedlich aufgefasst werden kann.
Zwei Haupttendenzen im Verständnis des „Natürlichen“ werden herausgearbeitet: Einerseits steht es für das Selbstverständliche, das den herrschenden Sichtweisen und Überlieferungen entspricht. Diese Perspektive kann als konservativ betrachtet werden, da sie auf die Bewahrung des Bestehenden abzielt. Andererseits wird das „Natürliche“ als Anfängliches und Ursprüngliches betrachtet, was seine ethische Überlegenheit ausmacht.
Birnbacher betont, dass dem „Natürlichen“ von vornherein normative Verbindlichkeit zugeschrieben wird. Es wird als etwas betrachtet, das normativen Prinzipien entspricht und daher ethisch leitend sein kann.
Insgesamt könnte Birnbachers Arbeit darauf abzielen, die Natur als einen ethischen Maßstab für menschliches Handeln zu etablieren, wobei das „Natürliche“ eine normative und ethisch überlegene Rolle spielt. Durch die Betonung der Vieldeutigkeit und unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs „Natur“ zeigt er, wie diese Konzepte zu verschiedenen ethischen Perspektiven führen können.
Natürlichkeit als Ideal – Was ist Wahn, was Wissenschaft?