Immer mehr Studenten immer öfter high
Wirkt sich das auf die Leistung aus?
Eine neue Studie behauptet, dass die zunehmende Legalisierung von Cannabis in den USA auch mit einem steigenden Marihuana oder Haschisch Konsum bei Studierenden einher geht. Anscheinend haben noch nie so viele Studenten in Amerika gekifft wie heute.
Studenten beim „Cannabis Day“ auf dem Campus der Universität Santa Cruz in Kalifornien
Und nicht nur das: Zum ersten Mal scheinen angehende Akademiker mehr Joints als Zigaretten zu konsumieren. Die von der Michigan Universität durchgeführte Studie zeigt, dass nur Alkohol auf der Rangliste der Genussmittel noch beliebter ist als das im Englischen sogenannte „Pot“.
Dabei kann in diesem Fall tatsächlich von repräsentativen Ergebnissen und einer Langzeitstudie gesprochen werden: Die Wissenschaftler befragen bereits seit 35 Jahren jährlich zwischen 1000 und 1500 Studenten zu ihrem Tabak-, Alkohol- und Rauschgiftkonsum. 2015 haben 63,1 Prozent der Studierenden angegeben, sie hätten im zurückliegenden Monat Alkohol konsumiert; 42,6 Prozent waren dabei mindestens einmal betrunken. Für den gleichen Zeitraum gaben 20,8 Prozent an, mindestens einen Joint geraucht zu haben. Dagegen hatten nur 12,9 Prozent der Studenten Tabakzigaretten konsumiert.
Noch nie wurden so viele tägliche Konsumenten gemessen
Erstaunlich sind auch die Angaben zur Häufigkeit des Cannabis-Genusses. War das Kiffen bei den meisten Konsumenten lange auf Peak-Points wie Parties beschränkt, rauchen nach der neuen Studie 5,9 Prozent der Studenten „täglich oder fast täglich“ Marihuana. Nach Angaben der Studienleitung war dies die höchste jemals festgestellte Zahl an Hanf Liebhabern. Allerdings ist der Gebrauch deutlich geschlechtsspezifisch: Männliche Studenten kiffen mit 8,7 Prozent täglich mehr als doppelt so oft wie ihre Kommilitoninnen mit 3,9 Prozent.
Der Trend zum Joint oder anderen Inhalationsmethoden geht einher mit zwei parallelen Entwicklungen in den USA. Einerseits greifen die sich immer weiter verschärfenden Rauchverbote. In öffentlichen Gebäuden und häufig auch auf öffentlichen Plätzen wie Parks darf in ganz Amerika konsequent gar nicht mehr gepafft werden. Das Rauchen wird außerdem zunehmend sozial geächtet, wie Umfragen ergeben.
Demgegenüber steigt die Akzeptanz gegenüber dem Cannabis-Konsum. Mehr als die Hälfte aller Amerikaner befürworten die Legalisierung von Marihuana.
Die US-Bundesstaaten Colorado, Washington, Alaska und Oregon haben Besitz, Kauf und Verkauf von Cannabis bereits freigegeben. In 14 Staaten ist der Cannabis Konsum und der Besitz für den privaten Gebrauch nur noch eine Verkehrswidrigkeit. 20 weitere Staaten haben Marihuana für medizinische Zwecke zugelassen.
Auch in Deutschland werden gerade fleißig Argumente für und gegen die Legalisierung von Cannabis gesammelt. Deshalb zählt in diesem Zusammenhang besonders die Frage: Hat der erhöhte und häufige Marihuana oder Hasch Konsum merkliche Auswirkungen auf die akademischen Leistungen der Studenten?
Auch hierzu ist soeben eine neue Studie publiziert worden. Wissenschaftler der Universität Maastricht und des Forschungsinstitutes zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn haben Performance-Daten von über 4.000 Studenten ausgewertet. Das Ergebnis: Je häufiger Cannabis konsumiert wird, desto schlechter schneiden die kiffenden Studenten in ihren Prüfungen ab; dies gelte besonders für mathematische Fächer.
Wie sind die Wissenschaftler auf diese Idee gekommen? Schließlich gibt es in Holland „eigentlich“ keine Vergleichsgruppen – Studenten mit mehr oder weniger Gras Konsum – denn schließlich ist in den Niederlanden Cannabis bereits seit fast vier Jahrzehnten entkriminalisiert. Doch die Stadt Maastricht hatte im Jahr 2011 den in ihren Augen exzessiven Marihuana Tourismus eindämmen wollen und den freien Zugang zum Joint zeitweise auf gebürtige Holländer beschränkt. Touristen konnten das THC-haltige Kraut nicht mehr legal in einem der vielen Coffeeshops erwerben. Zur Umsetzung des Ganzen wurde der inzwischen berüchtigte „Wietpas“ eingeführt.
Die Geschichte des „Wietpas“
Der Wietpas war nicht nur auf Maastricht beschränkt: Als Pilotprojekt wurde er ab 1. Mai 2012 in den Provinzen Limburg, Noord-Brabant und Zeeland eingeführt, sollte aber ab Anfang 2013 in ganz Holland obligatorisch werden. Die Idee: Cannabis und Joints veräussernde Coffeeshops sollten sich in „Clubs“ verwandeln, die nur noch bestimmten Mitgliedern Eintritt gewähren dürften – und Mitglied werden durfte nur, wer seinen Hauptwohnsitz nachweislich in den Niederlanden hatte.
Natürlich ging diese Reglementierung von oben nach hinten los. Der Umsatz in den Hanf-Läden brach radikal ein. Denn nicht nur blieben die Touristen weg, auch die Holländer selbst hatten überhaupt keine Lust, sich mit ihren persönlichen Daten als Cannabis Konsumenten registrieren zu lassen. Stattdessen nahm der Straßenhandel für Hasch und Gras in einem bisher ungekannten Ausmaß zu.
Doch schon im Herbst 2012 regelte sich das Problem zunächst von selbst. Die konservative, niederländische Regierung wurde abgelöst, der Wietpas wieder abgeschafft. Dennoch ist das Einwohnerkriterium weiterhin eine Option, die die jeweiligen Bürgermeister einer Stadt ziehen können, wenn sie die sogenannte „Overlast“ ihrer Regierungsbezirke eingrenzen wollen. Darunter verstehen die Holländer alle Belastungen eines Einzugsgebietes, die auf vermuteten Drogentourismus zurückzuführen sind – wie Lärmbelästigung von Anwohnern oder falsches Parken.
In den meisten niederländischen Städten findet das Einwohnerkriterium bisher keine praktische Anwendung. Hin und wieder probieren Kommunen es aus, wie etwa die Stadt Nimwegen im Januar 2013, lassen es dann aber aufgrund eines explodierenden Straßenhandels bald wieder fallen. Nur einige konservative Hardliner beharren auf seiner Exekution – und dazu zählt eben auch der Bürgermeister der Stadt Maastricht. In Maastricht wird seit Mai 2012 durchgängig von Coffee-Shop Betreibern erwartet, dass ihre Besucher sich legitimieren müssen, um Gras erwerben zu können.
Das Maastricht-Drama
Ein Coffee-Shop in Maastricht weigerte sich jedoch von Anfang an, die in seinen Augen diskriminierende Cannabis Verbots-Abgabe an Ausländer durchzusetzen. Easy-Going Inhaber Marc Joseman bot weiterhin Marihuana für jedermann an. Daraufhin schloss die Gemeinde seinen Shop 2012. Nach zurückgewiesener Beschwerde beim Bürgermeister ging Joseman vor Gericht. Zwar erklärten die Richter in Maastricht die Schließung in erster Instanz für unbegründet, worauf im Mai 2013 auch alle anderen Coffee-Shops in dem Städtchen nachzogen und wieder Pot an Ausländer verkauften.
Doch das hatte in den folgenden Tagen und Wochen endlose Razzien und zahlreiche weitere Schließungen zur Folge. Der Bürgermeister war außerdem gegen das Urteil in Berufung gegangen. Nach einer zweijährigen Prozess-Odyssee entschied dann das Raad van State als letzte Verwaltungsinstanz im Juni 2014: Das sogenannte I-Kriterium ist rechtskräftig, weil es „ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung des Drogentourismus und der organisierten Kriminalität sei“. Der Europäische Gerichtshof, vor den Joseman ebenfalls geklagt hatte, sah die Sachlage genauso – wenn er auch zugab, dass es sich beim gewählten Mittel um eine klare Diskriminierung nach Nationalität handele.
Seitdem ist das „Easy Going“ geschlossen; die Vereinigung der offiziellen Coffeeshops Maastricht (VOCM) ist aufgelöst. Für Maastricht selbst hat dieses radikale Vorgehen gegen den legalen, allgemeingültigen Cannabis Handel einen messbaren Einbruch der Umsätze für alle Einzelhändler und die Gastronomie bedeutet.
Was dem Coffee-Shop Besitzer sein Leid…
… ist dem Wissenschaftler seine Freud. Denn durch die einzigartigen Umstände in Maastricht, so beschlossen die Forscher Marie und Zölitz, war eine einzigartige Situation geschaffen worden: Hier studierten nun Cannabis-Konsumenten Seite an Seite mit solchen, die nicht mehr oder längst nicht mehr so leicht und so oft ans Marihuana kommen konnten, weil sie Ausländer waren.
Die beiden Wissenschaftler sahen darin die Chance, die akademischen Leistungen der Studenten vor und nach dem Verbot zu vergleichen. Hierzu zogen sie die Studienergebnisse von internationalen und holländischen Studierenden heran. Insgesamt 57,903 Kursergebnisse von 4,323 Studenten der The School of Business and Economics (SBE) wurden unter dem humorigen Titel
“ ‚High‘ Achievers? Cannabis Access and Academic Performance“ verglichen. Dabei waren etwas mehr als ein Drittel der Studierenden weiblich, 52% Deutsche, 33% Holländer, 6% Belgier und 8% gehörten anderen Nationalitäten an.
Das offizielle Ergebnis: Studenten, die aufgrund des Einwohnerkriteriums nicht mehr legal Cannabis kaufen konnten, erreichten deutlich bessere Prüfungsnoten.
Im Besonderen waren diese Wirkungen bei jüngeren Studenten zu spüren. Hier im Besonderen bei Frauen und Studierenden mit generell eher mittelmäßigen bis schlechteren Ergebnissen; sowie in Fächern, die ein gesteigertes mathematisches oder logisches Denkvermögen nötig machten. In letzteren waren die erfolgreich absolvierten Kurse der nun „cleanen“ Studierenden um das 5-fache gestiegen.
Aufgrund der Daten schlossen die Forscher auch, dass das Kiffen nicht etwa, wie häufig angenommen, die Motivation und Disziplin der Studierenden untergrabe; denn die fürs Lernen aufgewendete Zeit blieb gleich. Vielmehr schienen die Probanden durch die Cannabis Enthaltsamkeit ihre kognitive Fähigkeit zurück zu gewinnen, vorliegendes Material auch wirklich zu verstehen und zu internalisieren.
In Zahlen ausgedrückt, verbesserte sich die studentische Leistung nach dem Inkrafttreten der Prohibition bei Studierenden, die nicht länger offiziellen Zugang zu Pot hatten, durchschnittlich um 9%. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Kurse erfolgreich abschlossen, verbesserte sich um 5,4%.
Marie zog daraus das Fazit „Wir denken, dass diese neuen Ergebnisse […] nicht zu vernachlässigen und zumindest für jede politische Entscheidung hinsichtlich der Legalisierung von Drogen zu berücksichtigen sind…wenn Marihuana legalisiert wird wie in einigen US-Bundesstaaten, sollten die Kunden zumindest über die negativen Auswirkungen ihres Konsums informiert werden“.
Im Fazit innerhalb der Studie klingt diese Aussage so: Unsere Analyse (des Prohibitions-Effektes)… deutet auf eine Verbesserung der numerischen Fähigkeiten. Die existierende Literatur bestätigt, dass diese besonders vom Cannabis Konsum beeinträchtigt sind. Damit wird unter Umständen der erste klare Beweis für die wichtigen positiven Effekte von einem eingeschränkten legalen Zugang zu Cannabis auf die kurzfristige Produktivität geliefert. Unsere Ergebnisse implizieren auch, dass Einzelpersonen ihr Konsumverhalten ändern, wenn der Rechtsstatus der Droge sich ändert.“ Zur eigenen Ehrenrettung fügen sie allerdings noch hinzu: „Es ist nicht eindeutig, ob ein Verkaufsverbot von Cannabis nicht andere schwerwiegende negative Konsequenzen zum Beispiel auf die Kriminalität hätte, da es den Vertrieb durch illegale Kanäle befördert.“
Dieses Fazit zogen natürlich auch die meisten der berichtenden Pressestimmen aus der Studie. Aber: Wissenschaftliche Neutralität klingt anders. Hat hier vielleicht eine bereits bestehende Meinung gegenüber den kognitiven und neurophysiologischen Wirkungen des Cannabis den Studienverlauf diktiert?
Bekifft studieren – kann das doch gut gehen?
Die vorliegende Studie hat versucht, die studentische Wirklichkeit in Zahlen auszudrücken und dann eine normative Empfehlung daraus abzuleiten. Das Ergebnis ist tatsächlich spannend. Allerdings nicht, weil es den legalen Verkauf von Gras als Bedrohung für die intellektuelle Zukunft eines Landes unter Beweis stellt – sondern weil es interessante Aussagen über den richtigen Umgang mit Cannabis macht.
Eigentlich sagt diese Studie nichts anders als dies: Anders als bisher vermutet, hat ein moderater Cannabis Konsum keine unmittelbar negativen Auswirkungen auf die Motivation und Leistungsbereitschaft von Studierenden. Was das regelmäßige Kiffen zur falschen Zeit allerdings beeinflusst, ist die Aufnahmefähigkeit, wenn es um die Verarbeitung von numerischen Prozessen geht – und unter Umständen auch die Konzentration sowie die Überführung des Lerninhalts in das Langzeitgedächtnis. Dies sind bio-chemische und neurophysiologische Konsequenzen der THC Wirkung, derer sich Studierende sicher nicht immer bewusst sind.
Vor allem dann nicht, wenn sie aus dem restriktiveren Ausland in eine Stadt kommen, in der sie zum ersten Mal nach Herzenslust kiffen können. Der Effekt einer solchen Liberalisierung ist bekannt: Zu Anfang wird die neue Freiheit extensiv genutzt, bevor die Erfahrungsberichte „Einheimischer“, die verlangsamende Wirkung der Konsum-Praxis und der einsetzende universitäre Druck bei so gut wie allen angehenden Akademikern ein automatisches Zurückfahren der Konsummenge von Hasch und Marihuana auslöst. Tatsächlich ist das von kritischen Stimmen gerne evozierte Bild des sich völlig breit auf der Coach fläzenden, Arbeit verweigernden Studenten nicht mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
Wie immer gilt: Es gibt einen richtigen Ort, eine richtige Zeit… und die richtige Menge
Cannabis interagiert mit dem Gehirn – wäre dem nicht so, gäbe es ja keinerlei Anreiz, Marihuana oder Haschisch zu konsumieren. Ob sich vorübergehender Konsum dauerhaft auf das erwachsene Gehirn auswirkt und Nervenzellen irreversibel beeinträchtigt, ist noch umstritten. Auch auf die subjektiv empfundene Stimmung wirkt sich THC bei Studierenden offensichtlich ganz verschieden aus: Zustände zwischen emotional und offen, gelassen und entspannt, aber auch melancholisch und deprimiert werden beschrieben. Entscheidend scheinen dabei verschiedenen Faktoren zu sein, unter anderem die Ausgangsstimmung, der situative Kontext und der Grund für den Konsum.
Interessant in diesem Zusammenhang ist jedoch die Frage: Wie ist der Einfluss von Marihuana oder Haschisch Konsum auf das Gedächtnis, also die prozessuale Kompetenz des Gehirns und das Denkvermögen?
Generell schneiden Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 bei regelmäßigem, mehrmals wöchentlichem oder täglichem Cannabis Konsum in IQ- und Gedächtnistests schlechter ab als Nicht- oder selten Konsumierende. Dieser Effekt geht nach mehrmonatiger Abstinenz jedoch wieder vollständig zurück, wie eine 2011 publizierte, wesentlich repräsentativere Studie als die oben besprochene anhand einer achtjährigen Beobachtung von 2000 20- bis 24-Jährigen bestätigt.
Robert Tait von der Australian National University hat in einer Untersuchung mit dem Titel „Cannabis use and cognitive function: 8-year trajectory in a young adult cohort“ nachgewiesen, dass weder das aktive Gedächtnis, noch das Srachgedächtnis oder die messbare Intelligenz langfristig und irreversibel unter Cannabis Konsum leiden, wenn dieser erst als Erwachsener aufgenommen wurde.
Insofern scheint das Problem also eines von Aufklärung und Selbstdisziplin zu sein, die beide nicht durch die Prohibition von Drogen geleistet werden können. Zwei Dinge müssen sich Studierende dafür vor Augen führen: Cannabis hat punktuell auf die mathematischen Kapazitäten des Hirns eine verlangsamende Wirkung, während es umgekehrt auf kreative Arbeiten oft positiv wirkt. Und: Oft sind unerfahrene Konsumenten sich nicht bewusst, dass sie sehr hochprozentiges Gras rauchen. Der THC-Gehalt in Cannabis-Pflanzen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen; verantwortlich sind extrem hoch gezüchtete Pflanzen.
Deshalb kann die Empfehlung an Studierende eigentlich nur lauten, vor dem Lernen von mathematisch oder logisch anspruchsvollen Stoffen einfach nicht zu kiffen – das gleiche gilt auch für entsprechende Prüfungen, so beruhigend der Joint auch empfunden werden mag. Außerdem, und das gilt natürlich durchgehend, auf die Qualität des erworbenen Cannabis zu achten – je höher der THC-Gehalt, desto stärker die Wirkung auf die kognitive Performance. Aber wer schlau genug ist, es an die Universität zu schaffen, so sollte man denken, ist auch intelligent genug, sich an diese einfachen Regeln zu halten.
Weiterführende Links
Studie Michigan University
Liste verkaufsoffener Coffee-Shops in Holland
Studien zur akademischen Performance:
Cannabis Access and Academic performance
Cannabis use and cognitive function: 8-year trajectory in a young adult cohort
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