Teenager dampfen völlig anders

Teenager dampfen völlig andersTeenager dampfen völlig anders

Neue Studien über Jugendliche und E-Zigaretten

Seit 2012 wurden weltweit mindestens zehn vergleichende Studien zum E-Zigaretten Konsum von Teenagern durchgeführt und veröffentlicht: mehrere in den Vereinigten Staaten, weitere in Polen, Frankreich, Korea, Griechenland und nicht zuletzt Deutschland.

Die Resultate der Befragungen von insgesamt über 10.000 Jugendlichen bestätigen einander. Immer weniger Minderjährige weltweit fangen mit dem Rauchen an. Gleichzeitig steigt die Zahl der jugendlichen E-Zigaretten Nutzer, die zuvor noch niemals eine herkömmliche Zigarette geraucht haben: Durchschnittlich etwas über 20% all derjenigen, die E-Zigaretten ausprobieren, hatten zuvor keine Erfahrung mit Tabakprodukten.

Damit zeigen Minderjährige ein diametral entgegengesetztes Nutzerverhalten zu erwachsenen Dampfern. Von diesen sind nur eine verschwindend geringe Anzahl (alle diesbezüglichen Studien sprechen von etwa 0,2%) vorher keine Raucher; sie beurteilen die E-Zigarette immer im Kontext des eigenen Rauchens – als risikoärmere oder praktische Alternative zur herkömmlichen Zigarette.

Selbst der duale Nutzen bei Teenagern hat ein eigenes Gesicht

Die vereinfachende These von der E-Zigarette als „Einstiegsdroge“ für Jugendliche – von Kritikern so gerne als Argument für eine strenge Regulierung der elektronischen Zigarette herangezogen – ließ sich angesichts dieser statistischen Gleichzeitigkeit von rückläufigem Tabakkonsum und zunehmendem E-Zigaretten Konsum nicht mehr halten.

Gleichzeitig zeigte sich ein anderes Phänomen immer deutlicher, dass die Komplexität des Phänomens „dampfender Jugendlicher“ zusätzlich beleuchtete: Alle Studien wiesen unter den rauchenden und dampfenden Jugendlichen einen relativ hohen Prozentsatz an sogenannten dualen Nutzern auf, also Jugendlichen, die gleichzeitig E-Zigaretten und Tabakzigaretten konsumierten – ohne das allerdings, nach ihren eigenen Angaben, das eine zum anderen geführt hätte, also ein kausaler Zusammenhang bestünde. Zwar war allen minderjährigen Nutzern klar, dass es sich bei beiden Genussmitteln um Nikotinlieferanten handelte; ansonsten aber hatte ihr Konsum für sie so wenig miteinander zu tun wie der von Coca-Cola und Kaffee.

Diese Form des dualen Nutzens durch Teenager unterscheidet sich grundsätzlich von dem Erwachsener. Hier sind alle dualen Nutzer zuerst Raucher, für die die E-Zigarette entweder eine Alternative für Situationen ist, in denen die Tabakzigarette nicht geraucht werden kann; oder ein Mittel, um das Rauchen aus gesundheitlichen Gründen zu reduzieren und langfristig einzustellen. In beiden Fällen besteht ein klarer kausaler Zusammenhang zwischen dem später begonnenen E-Zigaretten Konsum und bereits zuvor gerauchten Tabakzigaretten.

Mit anderen Worten: Das Verhältnis von Minderjährigen zu E-Zigaretten ist das einer Generation, für die diese ein Genussmittel darstellen, das gleichberechtigt mit, aber unabhängig von Tabakzigaretten, Wasserpfeifen, Kaffee, Alkohol oder Cannabis zur Verfügung steht. Ein wenig wie die MP3-Technologie, die für viele Erwachsene nur eine praktische, aber minderwertige Alternative zu CD oder Vinyl darstellt; für eine neue Generation aber eine völlig autonome Form der Musikwiedergabe darstellt.

Modell der Bi-Direktionalität wechselt die Gateway-These ab

Suchtforscher beginnen sich deshalb von der Idee der Gateway-Theorie zu verabschieden und das Modell der sogenannten Bi-Direktionalität zu favorisieren.

Zu dieser Schlussfolgerung kommen (wenn auch merklich unwillig) auch die Autoren einer neuen Studie, die von Adam M. Leventhal, Associate Professor und Direktor des ‚Health, Emotion & Addiction Laboratory‘ an der Keck School of Medicine der Universität von Südkalifornien verantwortet und am 18. August im JAMA (The Journal of the American Medical Association) veröffentlicht wurde.

Journal of the American Medical Association

Die Studie untersucht zum ersten Mal den E-Zigaretten Konsum speziell von 14-jährigen, die soeben den Übergang an die High School (eine weiterführende Schule im amerikanischen Schulsystem und der letzte Abschnitt der dort gesetzlich vorgeschriebenen Schulpflicht) hinter sich haben. 2013 begleitete Leventhal und sein Team ein Jahr lang Gruppen von 14-Jährigen an zehn verschiedenen, öffentlichen High Schools in Los Angeles.

Wichtigstes Auswahlkriterium: Keiner der Teilnehmer durfte bisher Tabakprodukte, ein gewisser Prozentsatz sollte jedoch bereits E-Zigaretten ausprobiert haben. Von den 2.530 teilnehmenden Schülern gaben zu Beginn der Untersuchung etwas unter 10% an, E-Zigaretten ausprobiert zu haben oder regelmäßig zu dampfen.

Den Jugendlichen wurden während des Jahres in zwei sechs-Monats-Intervallen Fragebögen vorgelegt. Nach sechs Monaten gaben 31% derjenigen, die vorher schon mal E-Zigaretten gedampft hatten, an, inzwischen auch Tabakprodukte geraucht zu haben. Von denjenigen, die noch nie eine E-Zigarette ausprobiert hatten, hatten in dieser Zeit nur 8% zum ersten Mal zur Zigarette gegriffen.

Auf den ersten Blick schienen diese Ergebnisse daraufhin zu weisen, dass jene Schüler, die
E-Zigaretten konsumiert hatten, „mit höherer Wahrscheinlichkeit innerhalb der folgenden Monate auch die Inhalation von brennbaren Tabakprodukten aufnehmen würden“, so formuliert es die Studie selbst. Natürlich nahmen Medien und Regulierungsbefürworter dieses Ergebnis zunächst zum Anlass, die sogenannte Gateway-These wieder aufzuwärmen.

Nun hat die Studie einige ziemlich irreparable Schwächen. Sie beschreibt nicht etwa eine kontinuierliche, regelmäßige und dauerhafte Aufnahme von E-Zigarette oder Tabak-Konsum, sondern wirft alle Arten des Ausprobierens, Experimentierens und Nutzens beider Genussmittel in einen Topf. Auch Jugendliche, die nur einmal an einer E-Zigarette gezogen und danach eine einzige Tabakzigarette geraucht haben, werden zu dualen oder konsekutiven Konsumenten erklärt. Über Quantität oder Qualität des Konsums werden keine Angaben gemacht. Dies disqualifiziert die Studie zwar – aber sie ist in anderer Hinsicht interessant.

Sie deckt Korrelationen, keine Kausalitäten auf.

Betrachtet man die Resultate anderer, ebenfalls in den letzten Monaten publizierter Studien, wie das Paper „E-cigarette use and willingness to smoke: a sample of adolescent non-smokers“ (10. August 2015) oder die Studie „Prevalence and correlates of electronic cigarette use among adolescents in Greece: A preliminary cross-sectional analysis of nationwide survey data“ (26. Juli 2015), im Lichte dieser Interpretation, nehmen die dort veröffentlichten Ergebnisse ebenfalls eine neue Gestalt an.

Keine dieser Untersuchungen kann einen Kausalzusammenhang zwischen Dampfen und Rauchen schlüssig argumentieren.

Stattdessen werden beide Tätigkeiten einfach aus identischen Gründen (Suchtforscher nennen diese: „gemeinsame Risikofaktoren“) entweder zeitgleich oder zeitlich verschoben aufgenommen. Der E-Zigaretten-Kolumnist Clive Bates beschreibt den Ertrag der Studien deshalb ironisch so: „Sie haben einfach Teenager beim Experimentieren beobachtet“.

Es stimmt, dass alle Studien eines zu bestätigen scheinen: Dampfende, noch nicht rauchende Jugendliche zeigen zu einem relativ hohen Prozentsatz die Bereitschaft, das Rauchen auszuprobieren – jedoch nicht, weil die Erfahrung des Dampfens sie dazu veranlasst, sondern weil sie eine grundsätzliche Neigung zum Experimentieren mit Genussmitteln haben, die auch den Griff zur E-Zigarette bedingt hat. Denn was diese Studie nicht erwähnt: Im gleichen Alter und den zwei nachfolgenden Jahren greifen etwa 45% aller Teenager auch versuchsweise zu Marihuana (ohne in Folge allerdings regelmäßig Joints zu rauchen) und etwas über 40% zu Alkohol. Auch bei diesen Substanzen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nutzer einer Art von psychotropen Substanzen weitere ausprobieren, höher als dass es bei der einen bleibt.

Was bedeutet das für die elterliche Aufklärung?

Sollte sich diese korrelative Interpretation allerdings bestätigen – würde dies eine andere, vor allem aufgeklärte Eltern bisher beruhigende Beobachtung relativieren? Die Autoren der National Youth Tobacco Survey des ‚U.S. Centers for Disease Control and Prevention‘ (über die wir an anderer Stelle schon ausführlich berichtet hatten) gingen etwa bisher davon aus, dass E-Zigaretten für Jugendliche eine gleichwertige Alternative der Nikotinzufuhr darstellen, die den Griff zur Tabakzigarette verhindern können.

Teenager und E-Zigaretten

Viele Eltern waren aufgrund dieser These oft soweit, ihren Kindern zum Dampfen zu raten, wenn sie sie vom Genuss der Nikotinzufuhr nicht „abbringen“ konnten – eine Tatsache, die etwa zu einem viel diskutierten Blogeintrag des E-Zigaretten Herstellers VeppoCig mit dem Titel „Eltern kaufen ihren Kindern heimlich E-Zigaretten“ geführt hat.

 

Jugendliche sehen die E-Zigarette objektiver

Tatsache ist: Die Risikowahrnehmung im Bezugs auf die E-Zigarette ist ein weiterer gravierender Unterschied zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Der Blick von Minderjährigen ist weitaus klarer und weniger voreingenommen als der der meisten Erwachsenen. Eine neue Studie, veröffentlicht am 24. August im ‚Health Education & Behavior‘ befragte unter 25jährige zu ihrer Meinung bezüglich E-Zigaretten im Vergleich zu Tabakzigaretten.

62.1% aller 18- bis 24jährigen waren überzeugt davon, dass E-Zigaretten weniger riskant seien als Zigaretten; diese Überzeugung teilen nur noch 54,6% der bis zu 25- bis zu 34-jährigen. Insgesamt waren sich 11,4% nicht sicher, welches der beiden Genussmittel riskanter ist.

Wie so oft, konnten sich die Autoren der Studie nicht vorstellen, dass Teenager tatsächlich intelligent und informiert genug sein könnten, um das Risikogefälle zwischen Zigaretten und
E-Zigaretten realistisch und weniger medien-gesteuert einzuschätzen als Erwachsene. Statt nachzufragen, woher dieses ja faktisch korrekte Urteil rührt, stellten sie im Anschluss an die Befragung Vermutungen an – und kamen mit dem Erwachsenen und vor allem Akademikern oft eigenen Überlegenheitsgefühl zu dem Schluss, dass diese Einschätzung nur das Ergebnis bewusster Manipulation durch die Industrie sein konnte.

Nach Meinung der Forscher waren es vor allem Marketingbotschaften sein, mit denen E-Zigaretten beworben werden; außerdem die verschiedenen, „unschuldig“ daher kommenden Aromen, in denen die E-Zigaretten Liquids angeboten werden; und die Tendenz, neue Produkte grundsätzlich schon mal positiver zu besetzen, die als innovativ und „techy“ wahrgenommen werden, welche Jugendliche dazu „verführte“, E-Zigaretten zu „verharmlosen“.

Die Autoren fanden während der Umfragen außerdem heraus, dass die Risikowahrnehmung junge Menschen nicht davon abhält, die als gefährlicher eingestuften Produkte (wie tabakzigaretten) dennoch zu konsumieren. Ihre Schlussfolgerung: Alternative Tabak- oder Nikotinprodukte als sicherer zu bewerben oder zu kommunizieren würde Jugendliche nicht etwa dazu animieren, von der Tabakzigarette auf die E-Zigarette zu wechseln, sondern lediglich sowohl bestehende Raucher als auch Nichtraucher zu einem Neukonsum bzw. Dualkonsum animieren.

E-Zigaretten Forschung und Jugendliche

„Riskant? Mir doch egal!“

E-Zigaretten Forschung und Jugendliche: So würde sie Sinn machen

Um zu wirklich neuen Erkenntnissen hinsichtlich des E-Zigaretten Konsums von Jugendliche zu kommen, müssten die Fragestellungen intelligenter angelegt werden. Um sinnvolle Vermutungen über kausale Zusammenhänge anzustellen, sind psychologisch komplexere Fragestellungen und eine empathische Herangehensweise an Minderjährige nötig, die nicht aus einem „erwachsenen“ Blickwinkel kommt, sondern altersspezifische Besonderheiten berücksichtigt.

Die südkalifornische Studie hat dies teilweise durchaus versucht; dies zeigt sich bereits in der Konzentration auf das Alter der rein 14-jährigen Studienobjekte. Die Begründung für diese Eingrenzung war, dass das „erste Jahr der High School eine typischer Abschnitt für die Initiierung von Risikoverhalten ist“. Der Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule ist in jedem Land mit der Konfrontation des Einzelnen mit einer viel größeren, diversifizierten Gruppe von Menschen, neuen sozialen Kontexten, einem plötzlich sich ergebenden Kontakt mit älteren Jugendlichen und neuen akademischen Anforderungen verbunden.

Gleichzeitig ist die frühe Jugend auch eine Zeit intensiver kognitiver und hormoneller Veränderungen und Anpassungen. In dieser Zeit entwickeln sich diejenigen neuronalen Schaltkreise schneller und intensiver, die das aktive Suchen nach neuen, häufig riskanten, „unabhängigen“ Erfahrungen motivieren, als jene, die Impulskontrolle und rationales, effektive Entscheidungsfindung steuern. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit, während dieser Phase Genussmittel ungeachtet ihres erkannten Risikos auszuprobieren.

Neben den evolutionär bedingten, entwicklungspsychologischen und sozialen Komponenten mag auch die Neuroplastizität des jugendlichen Hirns zu einer besonders effektiven Aufnahme von psychotropen Substanzen und damit auch Nikotin führen – die E-Zigarette könnte also aufgrund eines besonders intensiv wahrgenommenen Nikotin-Hits nochmals attraktiver werden. Diese Sensibilität gegenüber der Wirkung des Stoffes Nikotin werde, so auch die Vermutung der Autoren, durch die konstant optimierten E-Zigaretten Modelle noch beschleunigt.

E-Zigaretten und Jugend

Neue Fragestellungen = endlich sinnvolle Aussagen

Wirklich wichtig wäre es, die Initiierungsprozesse zu untersuchen, die zur Aufnahme von
E-Zigaretten Konsum von Jugendlichen führen. Was gibt den Anstoß, zu konsumieren? Wie entwickelt sich das Nutzerverhalten in den ersten Monaten nach Konsumbeginn? Wie wird welche Werbung wirklich wahrgenommen und an welchen Orten? Gab es Gespräche mit Eltern über das Risiko des Dampfens? Wurde in der Schule aufgeklärt? Gibt es eine Korrelation des E-Zigaretten Konsums mit dem Geschlecht und der generellen Neigung zum Experimentieren (die auch bei Jugendlichen mehr oder weniger stark ausgeprägt ist)? Konsumiert das soziale Umfeld des dampfenden Jugendlichen Tabakzigaretten (Eltern, Geschwister und/oder Freunde) oder
E-Zigaretten?

Wird ein dualer Nutzen aus pragmatischen Gründen vorgelebt oder spielt die
E-Zigarette als Tabakalternative eine bereits eine Rolle im Leben des Jugendlichen? Welche Korrelation besteht zwischen dem Dampfen und dem besuchten Schultyp? Mit welchen anderen psychotropen Substanzen experimentiert der Jugendliche parallel zum Nikotin? Wie ist die generelle Körperwahrnehmung, wie ausgeprägt das „Unsterblichkeitssyndrom“? Welche E-Zigarettentypen sind besonders beliebt und warum? Welche Liquid-Sorten und Aromen werden bevorzugt und welche Rolle spielen sie bei der Aufnahme und Beibehaltung des Dampfens? Wie ist die E-Zigarette emotional und kulturell besetzt?

Klar ist: Die konventionellen akademische Annahmen, dass entweder E-Zigaretten oder Tabakzigaretten Konsum jeweils kausal mit der spätere Aufnahme des Dampfens oder Rauchens von Jugendlichen zusammenhängt, lässt sich als Breitbandphänomen nicht mehr halten – und greift auch viel zu kurz. Als Basis eines durchdachten Jugendschutzes (immer vorausgesetzt die E-Zigarette ist etwas, vor dem Minderjährige tatsächlich geschützt werden müssen – eine Frage, die ebenfalls grundsätzlich diskutierfähig bleiben sollte) reichen Studien nicht aus, die sich die immer selben, bereits jetzt obsoleten Ausgangsfragen stellen.

Weiterführende Links

Journal of the American Medical Association
Centers for Disease Control and Prevention
EurekAlert
NCBI: E-cigarette use and willingness to
Prevalence and correlates of electronic cigarette use among adolescents in Greece: A preliminary cross-sectional analysis of nationwide survey data
Risk factors for e-cigarette, conventional cigarette, and dual use in German adolescents: A cohort study
Common liability to addiction and “gateway hypothesis”: Theoretical, empirical and evolutionary perspective