Seit gestern ist der E-Zigarettenhandel in Deutschland verboten

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Seit gestern ist der E-Zigarettenhandel in Deutschland verbotenDie Beschäftigung mit den Hintergründen der E-Zigaretten-Entwicklung in Deutschland hat mich vieler Illusionen beraubt: der einer Unabhängigkeit der Forschung, einer freien politischen Meinungsbildung, eines kritischen Journalismus.

Doch die Rechtsprechung war innerhalb dieses ideologisch unterwanderten Klimas immer noch ein Hafen der Vernunft.

Das hat sich mit dem heutigen Tag (oder eher dem 23. Dezember des letzten Jahres) radikal geändert. Vor wenigen Stunden wurde ein Urteil des BGH veröffentlicht, das der Karlsruher Bundesgerichtshof bereits Ende letzten Jahres gefällt hat – im „Namen des Volkes“.

In diesem entscheidet das Gericht, dass der Handel mit so gut wie allen nikotinhaltigen E-Zigaretten oder Liquids in Deutschland als strafbar anzusehen ist.

E-Zigaretten sind Tabakerzeugnisse aufgrund des verwendeten Rohtabaks und oralen Gebrauchs

Bei diesem Urteil handelt es sich um eine sogenannte Grundsatz- bzw. Leitsatzentscheidung (ich komme dazu später noch). Es basiert auf der Voraussetzung, dass nikotinhaltige E-Zigaretten juristisch grundsätzlich wie alle erhältlichen Tabakprodukte zu behandeln seien:

„Nikotinhaltige Verbrauchsstoffe für elektronische Zigaretten sind keine Arzneimittel, soweit sie nicht zur Rauchentwöhnung bestimmt sind. Es handelt sich um Tabakerzeugnisse, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind und dem Anwendungsbereich des § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG unterliegen. Diese Strafnorm genügt dem Gesetzesvorbehalt für das Strafrecht, auch soweit sie auf eine Rechtsverordnung mit Rückverweisungsklausel Bezug nimmt.“ (Az. 2 StR 525/13)

Damit unternimmt der BGH eine rechtliche Gleichstellung der E-Zigarette mit allen marktüblichen Tabakerzeugnissen. Die Begründung des zuständigen Strafsenats: Liquids, die aus Rohtabak erzeugtes Nikotin enthalten, sind aufgrund ihres Ursprungs ein Tabakprodukt – unabhängig davon, dass sie ein in Zustand und Wirkung völlig anderes Derivat sind. Dass kein Rohtabak als Endprodukt mehr enthalten sei, spiele für die Beurteilung keine Rolle, heißt es. „Maßgebend sei nur, dass die Tabakerzeugnisse dem menschlichen Körper über den Mund zugeführt werden.“

 

Dieser „anderweitige orale Gebrauch“ ist „durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vom 25. November 1994 (BGBl. I 1994, S. 3538) in § 3 Abs. 1 VTabakG als zusätzliches Auffangmerkmal neben Rauchen und Kauen eingeführt worden [und ist] weit auszulegen.“ Und für den Fall, dass ein findiger Jurist um die Ecke kommen sollte und argumentieren: „Aber das TPD sieht einen derartigen Auffangbegriff nicht vor.“, hat der BGH auch gleich eine Antwort parat: „Eine Gleichsetzung der Begriffe aus der europäischen Richtlinie mit den Begriffen im innerstaatlichen Gesetz entspräche nicht dem Wortlaut des § 3 VTabakG. Sie ist mangels Vollharmonisierung auch nicht zu einer richtlinienkonformen Auslegung dieses Gesetzes erforderlich.“ (S.16)

Mit anderen Worten: Die E-Zigarettenregelung in Deutschland soll derartig restriktiv ausfallen, dass sogar das TPD als Schafspelz versagt.

Und wem diese absurde Begründung für die Gleichstellung von Tabakzigarette und E-Zigarette noch nicht reicht, der bekommt im anschließenden Text eine weitere, ebenso hanebüchene hinterher gereicht: „Im Ergebnis sind arzneimittelrechtliche Bestimmungen auf die nikotinhaltigen Verbrauchsstoffe der elektronischen Zigaretten nicht anzuwenden. Dies gibt Raum für die Anwendung des Tabakrechts auf die nikotinhaltigen Verbrauchsstoffe“ (S.12). Mit anderen Worten: Das Urteil aus dem Jahr 2013, welches die E-Zigarette aus der Zwangsjacke der Arzneimittelverordnung befreit hatte, wird ihr nun zum Gefängnis – nämlich dem „Raum“, in dem sie zum Tabakprodukt erklärt werden kann.

Anlass zum Eingreifen des BGH war der Fall eines Einzelhändlers mit Gewerbe für den Online- und Offline-Verkauf von elektrischen Zigaretten. Er war vom Landgericht Frankfurt am 17. Juni 2013 zu einer Geldstrafe verurteilt worden und gegen dieses Urteil in Berufung gegangen. Nun hat der BGH den Frankfurter Richterspruch bestätigt.

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Die Konsequenz ist, dass sämtliche nikotinhaltigen Liquids und vorbefüllten E-Zigaretten beziehungsweise Wechselkartuschen eigentlich immer schon den gesetzlichen Regelungen für Tabakerzeugnisse unterliegen.

Das bedeutet in der Praxis: Für Tabakzeugnisse ist nach den bisherigen Regelungen die Beimischung bestimmter Stoffe untersagt. Darunter fallen Stoffe wie

• „Propylenglykol und Glycerin, die … zwar nach Teil A Nr. 2 der Anlage 1 zu § 1 TabV zugelassen sind. Sie dürfen aber nur als Feuchthaltemittel bis zu einer Höchstmenge von fünf oder zehn Prozent der Trockenmasse des Tabakerzeugnisses eingesetzt werden. Ihre Verwendung als Hauptbestandteil des flüssigen Verbrauchsstoffs elektronischer Zigaretten ist demnach nicht gestattet.“ (S.19/ 20)

• „Ethanol, ein in Tabakerzeugnissen nicht zugelassene Stoff im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 2 VTabakG und § 1 Abs. 1 Satz 1 TabV in Verbindung mit Anlage 1.“ (S.19)

• eine Reihe von Aromastoffen, die in der überwältigenden Mehrheit aller E-Liquids enthalten sind, aber nicht zu den „in Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 TabV aufgeführten, zugelassenen Stoffen für die dort bezeichneten Verwendungszwecke zum gewerbsmäßigen Herstellen von Tabakerzeugnissen“ zählen (S.19)

Die praktischen Konsequenzen sind ein Rätsel – die Gewinner dieser Scharade nicht

Noch ist völlig unklar, inwieweit dieser Richterspruch praktische Auswirkungen auf einen Handel haben wird, der sich sowieso gerade mit den Unsicherheiten aufgrund des Inkrafttretens des neuen Tabakgesetzes ab Mai 2016 konfrontiert sieht. Momentan gibt es über 5.000 E-Zigarettenshops in Deutschland, die am morgigen Dienstag eigentlich nicht ihre Türen öffnen dürften, ohne Geldstrafen in Höhe von mehreren tausend Euro und einen Entzug ihrer Gewerbegenehmigung zu riskieren.

Dies wird natürlich nicht passieren. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass es nun massenweise Klagen gegen jeden einzelnen Händler geben wird, der aus Rohtabak gewonnenen Liquid weiterhin verkauft.

Klar ist aber auch, dass es sich hier um eine reine Schikane handelt, die als einziges Ziel eine Destabilisierung der Branche im Auge hat.

Denn das Urteil umfasst nur Nikotin, das aus Rohtabak gewonnen wurde.

Rohtabak füre-Zigaretten

Böse: Rohtabak

Es erstreckt sich nicht auf chemisch, also synthetisch generiertes Nikotin, wie es bereits von einigen Produzenten für die Herstellung von E-Zigaretten genutzt wird (allerdings macht im Labor hergestelltes Nikotin nur etwa 5% des gesamten Nikotins aus, dass weltweit bei der E-Liquid Produktion zum Einsatz kommt). Ob diese Spitzfindigkeit wohl etwas damit zu tun hat, dass die Herstellung synthetischen Nikotins in pharmazeutischer Qualität fest in den Händen der Pharma-Riesen Pfizer, Targacept & Co. liegt, die dieses schon seit Jahren mit fragwürdigen Nebenwirkungen in Entwöhnungsmitteln wie Champix oder Aricept einsetzen?

Pfizer stellt synthetisches Nikotin her

Gar kein Problem: Pfizer-Labor-Nikotin

In jedem Fall kann nicht prinzipiell argumentiert werden, hier würde es sich um Verbraucherschutz handeln – auch wenn das Urteil dies an vielen Stellen versucht.

Stattdessen wird der Versuch unternommen, zwischen heute und dem Inkrafttreten des neuen Tabakgesetzes eine juristische Grauzone zu schaffen, innerhalb derer der E-Zigarettenmarkt nach Gutdünken bereinigt werden kann.

Die BGH-Verlierer

E-Zigaretten Start-ups und Unternehmensgründungen werden im Angesicht dieser neu geschaffenen Rechtslage kaum noch entstehen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Gewerbeämter entsprechende Weisungen erhalten werden Diese könnten es Händlern unmöglich machen, einen Handel für E-Zigaretten anzumelden, insofern dieser nicht nachweisen kann, dass er lediglich synthetisches Nikotin, nikotinfreie Liquids und unbefüllte Hardware im Angebot haben wird.

Existierende Händler stehen vor einer Zeit völliger wirtschaftlicher Unklarheit. Und diese endet nicht etwa, wie selbst Juristen vielleicht glauben möchten, nach neun Monaten mit Inkrafttreten des neuen Tabakgesetzes als Ratifizierung einer EU-Anordnung, nämlich der TPD.

Tatsache ist zwar, das Recht der Europäischen Union über nationalem Recht steht. Aber das neue Tabakgesetz ist noch nicht vom Parlament verabschiedet. Es ist problemlos möglich, den nun erfolgten Richterspruch in den bereits bestehenden Gesetzesentwurf einzuarbeiten.

Zwar hat der richterliche Bescheid selbst vom BGH kommend „Einzelfallcharakter“ (dazu später mehr). Er kann also nicht als neue Gesetzesgrundlage dienen. Doch die Bundesregierung weiß (da ja der BGH ihre Exekutive darstellt, obwohl sie die Judikative sein sollte), dass eine andere Rechtsauslegung nach diesem „Grundsatzurteil“ unwahrscheinlich ist. Sie kann die Auffassung des BGH unbesorgt und ohne Angst vor nennenswerten Einsprüchen übernehmen. Ist dies der Fall, müssen Händler sich auf ein erweitertes E-Zigarettengesetz vorbereiten, das ziemlich genau den Vorschlägen des DKFZ (an anderer Stelle diskutiert) folgt, in dem es faktisch alle Aromen und weiteren Inhaltsstoffe außer synthetischem Nikotin und Wasser aus den E-Zigaretten verbannt.

Für Verbraucher ist die Zeit des Bunkerns bis auf weiteres vorbei. Innerhalb der nächsten Monate werden sämtliche Händler von Nikotingebinden aus Rohtabak mit Klageandrohungen zu rechnen haben, sollten sie diese weiterhin Privateinkäufern ohne Berechtigungsschein anbieten.

Großhändler und Einzelhandelsketten werden langfristig angewiesen werden, nur noch Produkte zu führen, deren Nikotin nachweislich synthetisch gewonnen werden. Das perfide daran: Ich bin mir so gut wie sicher, dass die Tabakkonzerne diese Entwicklung vorhergesehen (bekommen) und sich bereits in ihrer Liquidproduktion umgestellt haben. Das Paradox liegt auf der Hand: Sie müssen sich von ihrem Kerngeschäft, dem Tabakanbau, als E-Zigaretten-Basis verabschieden, um auf dem Markt bleiben zu können.

In der kursierenden Pressemitteilung wird das BGH-Urteil als Ende einer „unklaren Rechtslage“ gepriesen – und ebenso in den heutigen Medienberichten unhinterfragt übernommen. Es klingt, als ob dieses Grundsatzurteil das lange herbeigesehnte Ende eines anarchistischen Zustandes sei. Tatsächlich ist es aber genau das Gegenteil. Die Tatsache, dass E-Zigaretten bis zum heutigen Tag NICHT RECHTLICH MIT TABAKPRODUKTEN GLEICHGESTELLT WAREN, hat die Realität akkurat widergespiegelt – denn sie sind nun einmal keine.

Stattdessen nimmt die E-Zigarette als Konsumartikel einen absolut eigenständigen Status ein, der aufgrund seiner außerordentlichen Erfolges als risiko-reduzierte Alternative zu Tabakprodukten eine entsprechende juristische Einstufung mehr als verdient hätte.

Hinzu kommt, dass dieses Urteil auch im Hinblick auf seine inhärente Logik völlig inakzeptabel ist. Marihuana und Hanfsamen entstammen ebenso demselben Rohstoff, nämlich der Cannabispflanze. Dennoch fällt das erstere unter Betäubungsmittelgesetz, während Letzteres im Handel frei erhältlich ist.

Die BGH-Gewinner

Pharma profitiert vom BGH e-Zigaretten-UrteilDer heutige Tag wird die Pharmaindustrie in Freudentaumel versetzen. Denn wer genau hinsieht, wird dem ersten Satz des sogenannten „Leitsatzes“ besondere Beachtung schenken:
„Nikotinhaltige Verbrauchsstoffe für elektronische Zigaretten sind keine Arzneimittel, soweit sie nicht zur Rauchentwöhnung bestimmt sind.“ Mit anderen Worten: Sobald ein Hersteller seine nikotinhaltigen Liquids oder Liquid-Kartuschen als „zur Rauchentwöhnung bestimmt“ deklariert, trifft das gefällte Urteil nicht mehr auf ihn zu.

Dafür gelten zwar andere Restriktionen des Arzneimittelgesetzes; an diese jedoch sind die Pharmaunternehmen gewohnt. Sie haben die Kompetenz und die Mittel, sie umzusetzen – und stehen damit auch im Einklang mit dem TPD. Das BGH macht sich in seiner Urteilsbegründung sogar noch die Mühe, die genauen Voraussetzungen für eine Einstufung der vorbefüllten, nikotinhaltigen E-Zigarette als Arzneimittel in seinen Augen dezidiert über drei Seiten (S.10 – 13) hinweg auszubuchstabieren. Die Pharmaunternehmen und ihre Juristen haben nun wenig anderes zu tun, als sich buchstabengetreu an diese Auflistung zu halten, um auch in jedem Fall auf der sicheren Seite zu sein.

Bisher haben Verbraucher selbstverständlich lieber auf dem freien Markt ihre Liquids bezogen; doch vor die Wahl gestellt – keine Liquids oder die aus der Apotheke – ist eine Vorhersage des Kaufverhaltens nicht schwer.

Mehr noch als alle andere wird der Fiskus sich die Hände reiben. Denn dieses Urteil stellt gleichzeitig die endgültige Basis für eine Besteuerung der E-Zigarette, indem es Tabakprodukte neu (und, wie wir weiter unten sehen werden, relativ endgültig) definiert: „Tabakerzeugnisse sind aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellte Erzeugnisse, die zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind.“ (S. 13) Was bedeutet: Mit dem heutigen Tag fällt die E-Zigarette faktisch unter das Tabaksteuergesetz.

Dem BGH ist absolut klar, dass es sich mit dieser Definition auf noch relativ dünnes Eis begibt. Es rechtfertigt diese Auslegung des Begriffes „Tabakerzeugnisse“ deshalb mit unzähligen Zitaten aus anderen Richtlinien, juristischen Artikeln, gefällten Urteilen etc. Absolut haltbar bleibt sie dabei dennoch in keinster Weise, wie ich mir heute in einem kurzen Gespräch mit einem Juristen habe bestätigen lassen.

Meine eigenen Verschwörungstheorien verblassen vor den Folgen dieses Urteils

Ich sage es ungern, aber mit diesem Urteil haben sich alle meine Vermutungen über die Zukunft der E-Zigarette und dem Einfluss der Pharmaindustrie und seiner Handlanger wie DKZ oder WHO auf die Bundesregierung schlimmer bestätigt, als selbst ich es vorausgesagt hatte – und das im Angesicht multipler Vorhaltungen, ich würde mit sensationshungrigen Verschwörungstheorien die noch offenen Dialogfenster zwischen E-Zigarettenindustrie und der Regierung schließen helfen.

Ich sage dies nicht als höfliche Version „Hab ich’s doch gewusst.“ Ich sage es, damit wir endlich die Augen vollständig aufmachen vor der Tatsache, dass der Bund der E-Zigarette auf dem freien Markt ein radikales und totales Ende bereiten will und wird, wenn sich nicht eine geschlossenen Front dagegen bildet.

Blind

So geht’s natürlich auch. Könnte sogar gegen den Passivdampf und das Formaldehyd helfen.

Aber, wieso denn der Bund? Hier geht es doch um die Entscheidung eines, wenn auch weit oben angesiedelten, Gerichtes? Haben wir denn keine Gewaltenteilung, die die Versklavung der Gerichte durch die Regierung unterbindet? Und überhaupt: Es gibt doch eigentlich gar keine Präzedenzfälle in Deutschland. Hier geht es doch eigentlich nur um die offensichtliche Fehlentscheidung in Bezug auf einen singulären Fall. Schön wäre es. Ist es aber nicht.

Dieses Urteil ist Gesetz, auch wenn es sich bescheiden gibt.

Zwar stimmt es, dass es hier um einen einzelnen Streitfall ging. Doch urteilt das BGH nur, wenn es damit hofft, eine Rechtsfrage von grundsätzlichem Interesse letztgültig zu klären oder das bestehende Recht aus einer unklaren in eine klare rechtliche Interpretation zu überführen.

Insofern hat dieses Urteil zwar auf dem Papier für alle kommenden Fälle, in denen es um den freien Verkauf nikotinhaltiger Liquids in den nächsten Monaten geht, keine bindende Wirkung. Es müsste also gegen jeden Händler einzeln geklagt werden, der ab morgen früh weiterhin dieses Rohtabak-Derivat (hüstel) in den Umlauf bringt – und rechtskräftig wäre ein entsprechendes Verbot erst ab Richterspruch.

Rein theoretisch könnte sich auch jeder Richter in dieser Sache anders entscheiden und nikotinhaltige Liquids nicht als Tabakerzeugnis einstufen; denn er ist, als eine der ehernen Statuten unserer Rechtsstaatlichkeit, in seiner Auslegung des Gesetzes unabhängig.

Praktisch jedoch kommt es statistisch betrachtet etwa 1%-mal vor, dass sich ein Richter im Einzelfall entgegen der Rechtsprechung des BGH entscheidet. Begründet wird diese offensichtliche Beugung regelmäßig mit dem Argument der Rechtssicherheit, also der Homogenität der richterlichen Gesetzesauslegung, auf die der Bürger ein Anrecht hat. In der Praxis hat ein Richter wenig Lust zur Revolte, da er ja weiß: Einer der Beteiligten wird Berufung einlegen, das Ganze landet irgendwann wieder vor dem BGH und dort… den Rest kann der clevere Leser sich denken. Deshalb unterwerfen sich die Instanz Gerichte fast ohne Ausnahmen der Rechtsauffassung des BGH – so lernt es schon der angehende Jurist.

Dieser Zusammenhang macht nochmals klarer, um was es sich bei diesem Urteil handelt: Um ein Instrument der Einschüchterung. Es werden nicht alle Händler verklagt werden, weil dies zu teuer kommt und sich die Urteilsfindung über Jahre hinziehen würde. Es wird aber kommuniziert: Wir machen ernst. Und zwar von der Regierung.

Denn der Bundesgerichtshof ist nicht umsonst ein Gericht auf Bundesebene, nämlich das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Zivil- und Strafrechtspflege, der sogenannten ordentlichen Gerichtsbarkeit. Es ist die verfassungsgemäße Aufgabe des BGH, Rechtseinheit zu sichern, grundsätzliche Rechtsfragen zu klären und das Recht fortzubilden. Der BGH untersteht organisatorisch dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz. Verbraucherschutz…klingelt es?

Die Staatsanwaltschaft beim BGH ist der Generalbundesanwalt, ein beim Bund angestellter Beamter, der „die Ansichten und Ziele der jeweils amtierenden Bundesregierung teilen“ soll und bei Nichtbefolgung dieser Exekutivfunktion „jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden“ kann.

Wenn die Historie dieses Rechtsfalls nicht orchestriert war, fress ich eine eCig

Zwar ist das BGH ein reines Revisionsgericht. Es überprüft lediglich die an es herangetragenen Urteile der Instanzgerichte auf Rechtsfehler; an die von diesen getroffenen Entscheidungen ist der BGH gebunden. In diesem Fall hat es ein lupenrein inszeniertes „Probeverfahren“ gegen einen E-Zigarettenhändler auf höchster Instanz legitimiert.

Auch auf die Gefahr hin, wieder einmal der Verschwörungstheorie angeklagt zu werden, wage ich folgende Behauptung: Vom Moment, in dem im September 2010 die (Zitat) „Bezirksregierung A. gegen den Angeklagten eine Untersagungsverfügung erlassen hatte, mit der sie ihm verboten hatte, nikotinhaltige Verbrauchsstoffe für elektronische Zigaretten in Verkehr zu bringen“, war der dann folgende Verlauf ein Test-Verfahren, das genau zum vorliegenden Ergebnis führen sollte.

Denn entscheidend ist, wo dieses Verfahren seine Wurzeln hatte: In einem Verbot einer Bezirksregierung, sprich, im Aussprechen eines Handelsverbotes durch einen kommunalen Arm des Bundes.

Ziel des Ganzen: Die Geburt eines Leitsatzes zum Ende der freien E-Zigarette

Im Archiv des BGH wird das Aktenzeichen als Leitsatzurteil geführt. Den dazugehörigen Leitsatz habe ich eingangs zitiert. Er stellt die wesentliche Essenz der gesamten gerichtlichen Entscheidung dar.

Nicht jedem BGH-Urteil wird vom Entscheidungsorgan ein derartiger Leitsatz vorangestellt. Er wird nur dann für sinnvoll befunden, wenn das Urteil als Leitfaden für die andere Gerichte, die breite Öffentlichkeit, die Medien oder Institutionen dienen soll, denen die Komplexität des Gesamttextes nicht zuzumuten ist; in letzteren Fällen verfolgt der Leitsatz auch den expliziten Zweck, als zitierfähige Quelle zu dienen.

Der Leitsatz hat keine rechtliche Wirkung, aber erprobte Funktionen. Primär soll er als Quasi-Richtlinie für nachgeordnete Gerichte dienen. Das macht den Leitsatz unter kritischen Juristen zu einer umstrittenen Praxis – denn per definitionem macht er häufig nicht hinreichend deutlich, dass es sich beim beschriebenen Sachverhalt immer noch um eine bestimmte, entschiedene Fallkonstellation handelt, der keine absolute Allgemeingültigkeit zukommen darf.

In diesem Fall klingt der Leitsatz wie eine Blaupause für die Zukunft der E-Zigarette in Deutschland. Er kommuniziert klar: E-Zigaretten sind Tabakprodukte (dass dies nicht durch ihre „Gefährlichkeit“ bedingt ist, sondern durch einen juristischen Kniff, ist dem Leitsatz nicht zu entnehmen). Jeder, der sie nicht als solche behandelt, macht sich strafbar – es sei denn, er deklariert sie als Arzneimittel.

Die Kriminalisierung freier Bürger…und wofür?

Ein Satz im ganzen Urteil schockiert mich eigentlich am meisten: „Nach den Urteilsgründen versuchte der Angeklagte, eine „aus seiner Sicht bestehende Gesetzeslücke zu nutzen… Bereits dieser Umstand erfordert eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens und legt nahe, dass der Angeklagte mit Unrechtsbewusstsein handelte.“ (S.21)

Die komplette E-Zigarettenbranche nutzt diese Gesetzeslücke.

Solche entstehen immer, wenn sich disruptive Technologien am Markt schneller entwickeln als die entsprechenden Gesetze – das ist mit der gegenwärtigen Flüchtlingssituation und dem Baurecht genauso. Seit vielen Monaten nutzen wir Gesetzeslücken, um Menschen mit dem menschenrechtlichen Bedürfnis nach Schutz Dächer über dem Kopf zu schaffen. Auf die dabei unklare Rechtslage angesprochen, werden von Seiten des Bundes „weitestgehend Gestaltungsmöglichkeiten“ attestiert. Das Bundeskabinett selbst sagt so uncharakteristisch weise Sätze wie „“An bauplanungsrechtlichen Vorgaben soll kein Vorhaben scheitern, das eine vernünftige und sichere Unterbringungslösung darstellt.“ Aha.

Aber an einem vor der Erfindung der E-Zigarette geschriebenen Gesetzeskörper soll das Inverkehrbringen einer Technologie scheitern, dass eine vernünftige und sichere Alternative zur Tabakzigarette darstellt und schon Millionen Menschenleben gerettet hat? Und die Ausnutzung dieses natürlich gegebenen, rechtlichen Vakuums, die bereits jetzt dem deutschen Gesundheitssystem Milliarden eingespart hat, soll einem „Unrechtsbewusstsein“ gleich kommen?

Hier werden Menschen kriminalisiert, die anderen das Leben retten. Nicht mehr und nicht weniger. Das hat nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun, sondern nur noch mit exekutierter Staatswillkür.

Schockierender Weise nimmt die Unmenschlichkeit dieser Gesetzesauslegung aber hier noch kein Ende: „Für das Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen besteht kein wesentlicher Regelungsunterschied bezüglich verschiedener Tabakerzeugnisse. Ungleich behandelt werden dagegen Tabakerzeugnisse, die zum Rauchen oder Kauen bestimmt sind, und Tabakerzeugnisse zum anderweitigen oralen Gebrauch. Nur für letztere ist das gewerbsmäßige Inverkehrbringen generell bei Strafe verboten.“ (S.31)

Sprich: Das Gericht argumentiert vorab und um einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zuvor zu kommen, dass es sich hier nicht um eine absolute Gleichstellung handele, da ja nikotinhaltige E-Zigaretten generell bei Strafe verboten gehören, während der Handel mit Tabakzigaretten rechtmäßig erlaubt bleibt!

Das BGH ruht sich auf seiner Omnipotenz aus – lassen wir das nicht zu!

Gegen Urteile des Bundesgerichtshofs gibt es keine ordentlichen Rechtsbehelfe. Deshalb bleiben nur noch zwei Möglichkeiten – beide sollten in Anspruch genommen werden.

Gegen die im Urteil bestätigte Gleichstellung von Tabakprodukten und E-Liquids muss Verfassungsbeschwerde als „außerordentlicher Rechtsbehelf“ beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden (Der BGH selbst hält eine entsprechende Involvierung dieser Instanz natürlich nicht für geboten: „Gegen die Anwendung des somit einschlägigen Straftatbestandes des § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG ist daher nicht veranlasst.“). Das ist ein langwieriger Prozess, den aber irgendjemand (hoffentlich ein Kollektiv) auf sich nehmen sollte.

Denn der Gerichtshof weiß genau, und führt dies auch selbst aus, dass „nach Art. 103 Abs. 2 GG eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“ (S.23). Es versucht anschließend auf sechs Seiten nachzuweisen, dass der Bundesgesetzgeber den Tatbestand des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind, bereits in der Bezugsvorschrift innerhalb desselben Gesetzes näher umschrieben hat“. Das Gesetz selbst sowie das ergangene Urteil seien „verfassungsgemäß“.

Mit allem nötigen Respekt: Das, verehrte Richter, ist Bullshit. Die Strafbarkeit vom Handel mit nikotinhaltigem E-Liquid ist bis heute nicht gesetzlich bestimmt. Punkt.

Außerdem sollte der Europäische Gerichtshof (EuGH) angerufen werden, weil es sich hier eindeutig um ein Alleingang der deutschen Gerichtsbarkeit handelt, der unvereinbar ist mit dem Vertrag von Lissabon – egal, ob dass BGH vorsorglich anderes behauptet.

Auch unabhängig von diesen Verstößen ist das Urteil selbst ein juristisches Flickwerk, das einer genauen Durchleuchtung nicht standhält. Dies haben mir unabhängig voneinander heute ein von mir befragter Jurist, sowie eine von einem großen deutschen Liquid-Unternehmen beauftragte Kanzlei bestätigt.

Nun müssen sich Menschen finden, die bereit sind, dieses Flickwerk zu zerreißen.

 

Weiterführende Links
Urteil des Bundesgerichtshof zur elektronischen Zigarette

Bewertung BGH Urteil 08.02.2016 Kanzlei Juravendis beauftragt durch die Happy People GmbH

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IG-ED: Was bedeutet das heutige BGH-Urteil für uns Verbraucher

e-Zigaretten Händler können sich an die Verbände wenden:
Neues Bündnis für Tabakfreien Genuss e.V.
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10 Kommentare
  1. Tom sagte:

    Hat eigentlich irgendwer das Urteil gelesen?
    Der Typ hatte gegen ein Unterlassungsurteil verstoßen. Deswegen wurde er verurteilt und er versuchte revision. Das Verbot gilt für den Angeklagten, nicht aber für ganz Deutschland.

    So versteh ichs zumindest.

  2. stachelschwein sagte:

    für dieses scheinurteil von schauspielern in schwarzen
    kitteln existiert keinerlei gültige rechtsgrundlage vom ver=
    fassungsgemäßen gesetzgeber.keiner dieser schauspieler
    hat einen amtsausweis-geschweige denn gültige befugnisse.

  3. Florian sagte:

    Wie ist das nun, wenn Propylenglykol und Glycerin, zur Verwendung von „flüssigen Verbrauchsstoffen von eZigaretten nicht mehr gestattet ist?

    Nikotinfreie E-Shishas die vorgefüllt verkauft werden werden, bleiben dann wohl weiterhin davon unbetroffen.

    Das mit den Pharmakonzernen macht leider Sinn!

    • Carmen sagte:

      PG und VG sind Bestandteile in Kosmetika und es wird absolut unmöglich sein, diese beiden Stoffe zu verbieten, denn viele Hobby-Kosmetik-Hersteller haben sie auch im Gebrauch.
      Und was interessiert dich das Zeug als offizieller Verbrauchsstoff für E-Zigaretten? Das Zeug ist überall das gleiche, nur das es in vielen Dampfershops überteuert verkauft wird. Ich sag nur 5 Pads Watte zum Preis einer Packung von sonst 150…

  4. Hugo sagte:

    Händler sollten den Ball flachhalten das stimmt (Man kennt ja lokale Ordnungshüter), der Rest ist Aluhut-Verschwörungstheorie Gelaber ala Elsässer und KenFM.

  5. Uwe sagte:

    Ich muß leider bemerken das leute die sowas behaubten und schreiben keine aber auch keine ahnung haben von der materie,mein rat einfach ruhig sein und die die es besser wissen machen zu lassen.

  6. Martin sagte:

    Bullshit hoch 10.
    Die Überschrift allein gibt Aufschluss darüber, unter welchem Anfall von lächerlicher Hysterie dieser selten dämliche Artikel verfasst worden ist.
    Unterstellungen, Mutmaßungen und Fehlinterpretationen noch und nöcher!

  7. Knakki Deluxe sagte:

    Sachlich, fachlich komplett korrekt wieder gegeben !
    Und das hat rein gar Nix mit Panikmache zu tun.
    Jeder der heute Liquids mit Nikotin anbietet spielt juristisches und finanzielles Russisch- Roulette.

Kommentare sind deaktiviert.