Gerry Stimson oder: Welches Problem haben die Gesundheitsbehörden mit E-Zigaretten?

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Professor Gerry Stimson

Die Gesundheitsbehörden und die E-Zigarette

Fortsetzung von: Vergleich des WHO-Berichts mit aktuellen, wissenschaftlichen Erkenntnissen

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Dieses Porträt ist Teil einer Serie, in der wir Dampfaktivisten und ihre Arbeit zur elektrischen Zigarette und Nikotinentwöhnung vorstellen. Viele von ihnen kämpfen seit Jahren gegen rückständige nationale und supranationale Institutionen, um Rauchern den Weg zu einem gesünderen Leben zu ebnen.

Wir wollen damit nicht nur eine zusätzliche Plattform für akkumuliertes Wissen rund ums Dampfen, interessante Links und den aktuellsten Stand der Forschung schaffen. Wir wollen auch den Wissenschaftlern und Ärzten Respekt zollen, die konstant an allen bürokratischen Hürden und Regulierungsbestrebungen vorbei das Fundament für eine objektive Bewertung der E-Zigarette als erfolgreiches Nikotinentwöhnungsmittel schaffen.

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Professor Gerry Stimson hat die englische Regierung, die WHO, die Weltbank, UNAIDS, UNODC und andere im Bezug auf Suchtthemen beraten, bei der Arbeitsgruppe des britischen National Institute for Health and Care Excellence mitgearbeitet, die Richtlinien für die Reduzierung von Tabakkonsum erarbeitet und verschiedene akademische Posten bekleidet.

Vor allem aber ist er Direktor von ‚Knowledge-Action-Change‚. Das von Professor Stimson und Paddy Costall aufgebaute Wissens- und Beratungs-Netzwerk widmet sich der Entwicklung und Verbreitung von empirisch basierten, wissenschaftlich fundierten Strategien und Richtlinien zur Eindämmung von Suchtmittelkonsum, im speziellen Nikotin.

Knowledge-Action-Change organisierte 2013 nicht nur die erste globale Nikotinkonferenz, die nächstes Jahr wiederum in Warschau stattfinden wird. KAC hat außerdem die Webpräsenz nicotinepolicy.net aufgebaut – ein außerordentlich breit gefächertes Web-Magazin rund um die politische und öffentliche Wahrnehmung von Nikotinabhängigkeit und elektrischen Zigaretten mit einer Vielzahl an exklusiven, wissenschaftlichen Artikeln zum Thema. Leider ist die Seite bisher nur auf Englisch abrufbar.

Gerry Stimson hat dort und zuvor auf der ebenfalls lesenswerten Aktivistenwebseite www.saveecigs.com einen längeren Artikel veröffentlicht, der mir eine essenzielle Frage zumindest teilweise beantwortet hat: Woher kommt eigentlich die merkwürdige Zögerlichkeit, der Opportunismus und die Skepsis von Gesundheitsexperten, wenn es um die in meinen Augen offensichtlichen Vorteile der eCigarettes geht? Stimson hat dafür eine exzellente Analyse geliefert, die ich, um einige Facetten ergänzt, hier mal zusammenfassen werde.

E-Zigaretten erfüllen eigentlich, wie Stimson treffend aufzeigt, zwei der klassischen gesundheitspolitischen Anforderungen an eine begrüßenswerte Erfindung: Zum einen reduzieren sie öffentliche und individuelle Gesundheitsrisiken. Zum anderen werden sie von Nikotinabhängigen positiv aufgenommen und pro-aktiv zur Umsetzung einer gesünderen Lebensführung genutzt. Interessanterweise sieht Stimson in diesem Zusammenhang deutliche Parallelen zwischen der Debatte um die Regulierung der E-Zigaretten und der um die Methadon- und Spritzenausgabe durch öffentliche Stellen in den 1990ern – ein Vergleich, der sich mir auch schon irgendwann aufgedrängt hatte.

Es ist schon merkwürdig, dass eine Erfindung, die für die Gesundheitssysteme mit Null Entwicklungs- oder Kommunikationskosten einhergeht und offensichtlich jetzt schon eine bessere Wirkung als alle anderen Nikotinersatzpräparate zeigt, mit so wenig Enthusiasmus aufgenommen wird. Was könnten die Gründe für diese abwartende, manchmal auch explizit abweisende Haltung sein? Stimson führt fünf Gründe an, die ich allesamt nachvollziehbar finde. Erstens war der freie Markt) im Hinblick auf die Durchsetzung von E-Zigaretten schneller als die öffentliche Hand. Das bedeutet, dass Letztere nun zur Umsetzung ihrer eigenen Gesundheitsziele und Strategien im Hinblick auf die eCigarette auf eine Kooperation mit der Industrie, also den Produzenten und deren Interessenvertretungen angewiesen ist – eine Zusammenarbeit, die vielen Vertretern des Gesundheitswesens schon grundsätzlich nicht behagt.

Zweitens waren bisher alle Anti-Rauch-Kampagnen ihrer Natur nach eben dies: ‚Anti‘. Die gesamte Semantik der behördlichen Tabakkritik ist auf Ablehnung und Verteufelung (zu Recht, im Falle von Tabakzigaretten) ausgelegt. Nun fällt es schwer, im Falle von E-Zigaretten auf eine ermutigende Rhetorik umzusteigen. Dies gilt drittens auch für die direkte Kommunikation mit Dampfern und Dampfverbänden. Diese fand mit bekennenden Tabakkonsumenten natürlich nicht auf einer positiven Ebene statt. Sie wurden nicht als Raucher, sondern nur als Aufhörwillige angesprochen, deren Konsum notwendigerweise möglichst negativ dargestellt wurde. Nun muss eine völlig neue Mentalität des Austausches und der gegenseitigen Inspiration geschaffen werden.

Beim vierten Punkt geht es um das mich immer wieder verblüffende Thema zitierter Falschaussagen aus veralteten Studien. Die Gesundheitsbehörden sind personell häufig überlastet, oft bürokratisch verkrustet und nicht gerade für ihr avantgardistisches Denken bekannt. Sie verlassen sich auf die immer gleichen Wissensquellen und akzeptieren offensichtlich unausgewogene Faktenanalysen und subjektive Narrative allzu fraglos, solange sie von akkreditierten Stellen kommen. Fünftens und letztens kann sich das Gesundheitssystem schon deshalb schwer mit der Dampferbewegung identifizieren, weil es sie nicht mit initialisiert hat.

Gleichzeitig sind es aber eben diese Gesundheitsbehörden, die jene Entscheidungsträger beraten, die dann in Brüssel über die EU-Vorgaben abstimmen – und sie sind diejenigen, die hinterher getroffene Entscheidungen ratifizieren müssen und die Freiräume ausfüllen, die ihnen gelassen werden. Deshalb ist es weiterhin so wichtig, und das betont auch Gerry Stimson, dass der Dialog mit den Gesundheitsbehörden auf allen Ebenen gesucht wird.

Weiterführende Links:
Knowledge-Action-Change
nicotinepolicy.net
Twitter Gerry Stimson
Linkedin Gerry Stimson
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